In den letzten Wochen beschäftigte mich das Thema "Wettbewerb im Kinder- und Jugendalter" sehr stark. Ausgelöst wurde dies durch die aktuelle Debatte um die mögliche Abschaffung der Bundesjugendspiele und z. B. auch die ewige Diskussion darüber, ob denn nun die Leistungen von Grundschülern benotet werden sollten oder nicht. Meiner Meinung nach wäre sowohl die Abschaffung der Bundesjugendspiele, als auch der Benotung im Grundschulalter eine fatale Entwicklung.
Warum diskutieren wir solche Themen überhaupt? Sind die Kinder heute weniger leistungsfähig oder -bereit, als früher? Ich denke nicht. Setzen Kinder sich durch frühes Vergleichen miteinander gegenseitig unter Druck? Ich glaube kaum - denn meine Erfahrung ist, dass grade Kinder noch ganz intuitiv den gegenseitigen Vergleich lieben! Sind es vielleicht eher die Eltern, die hier Vergleiche scheuen und möglicherweise Angst haben, das eigene Kind sei "schlechter" als das der anderen Eltern? Vielleicht. Aber es wäre sehr schade, wenn Kindern durch diese mit Sicherheit ganz wohl gemeinte (Über-)Fürsorge der Eltern die Möglichkeit genommen wird, Reize zu erfahren und Grenzen in ihrem Alltag zu erleben. Denn eine übertriebene Fürsorge schadet m. E. genauso wie übertriebener Druck.
Gewinnen und Verlieren lernen
Als mein Sohn etwa zwei Jahre alt war, begann die Zeit der Verabredungen. Anfangs trafen sich vermutlich eher die Mütter zum Kaffeetrinken und die Kleinkinder waren mit dabei. Zunehmend wurden dann auch die Kinder im Spiel angeleitet. Ich erinnere mich noch gut an eine Situation, in der mein Sohn und ein anderes Kind unter Anleitung ein Brettspiel spielen sollten. Als die Spielentscheidung anstand, also die Frage, wer Gewinner oder Verlierer ist, griff die andere Mutter besorgt ein und behauptete, es gäbe jetzt zwei erste Plätze! Ich war schockiert! Wo war da denn der Reiz am Spiel, die Freude am Gewinnen? Wie sollen Kinder so lernen, Ehrgeiz zu haben um ein Spiel zu gewinnen oder allgemein ein Ziel zu erreichen? Wie sollen sie eine Frustrationstoleranz im Leben entwickeln? Ich persönlich bin der Meinung, dass Spiele und kleine Wettkämpfe sehr wichtig sind für die Persönlichkeitsentwicklung. Wie schön ist es doch, ein Leben lang Freude am Spiel zu haben - oder heißt es nicht auch häufig: "Diese Aufgabe hat er oder sie spielerisch gemeistert"? Das kann man nur lernen, wenn man auch wirklich spielt - unter Einhaltung von Regeln und Grenzen und mit allen positiven und negativen Konsequenzen!
Manche Eltern möchten nicht, dass ihre Kinder ein Spiel verlieren, weil sie fürchten, ihre Kinder durch die negative Erfahrungen zu enttäuschen. Sie möchten ihnen die Erfahrung ersparen, traurig zu werden. Dabei sagt das Wort es schon deutlich: Eine Ent-Täuschung verhindert eine Täuschung, deckt wahre Tatsachen auf (z. B. verloren zu haben). Durch eine ersparte Ent-Täuschung findet daher im Umkehrschluss eine Täuschung statt - dem Kind wird die Auseinandersetzung mit der Realität erspart, mit der Tatsache, dass es diesmal verloren hat. Das kann sicherlich von Fall zu Fall einmal sinnvoll sein - auf Dauer führt dies jedoch zu einer verzerrten Wahrnehmung der Umwelt und zu einer falschen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Manche Eltern möchten nicht, dass ihre Kinder ein Spiel verlieren, weil sie fürchten, ihre Kinder durch die negative Erfahrungen zu enttäuschen. Sie möchten ihnen die Erfahrung ersparen, traurig zu werden. Dabei sagt das Wort es schon deutlich: Eine Ent-Täuschung verhindert eine Täuschung, deckt wahre Tatsachen auf (z. B. verloren zu haben). Durch eine ersparte Ent-Täuschung findet daher im Umkehrschluss eine Täuschung statt - dem Kind wird die Auseinandersetzung mit der Realität erspart, mit der Tatsache, dass es diesmal verloren hat. Das kann sicherlich von Fall zu Fall einmal sinnvoll sein - auf Dauer führt dies jedoch zu einer verzerrten Wahrnehmung der Umwelt und zu einer falschen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Interessant ist hier eine Entwicklung, die sich aktuell offenbar im Kinder- und Jugendfußball zeigt: Hier soll es am Rande der Spielfelder bei mutmaßlichen Fehlentscheidungen der Schiedsrichter oder generell bei einem unerwünschten Spielergebnis zu Unmutsbekundungen bis hin zu Gewaltausbrüchen gekommen sein - auf Seiten der zusehenden Eltern! Hier sind m. E. in erster Linie die Eitelkeiten der Eltern verletzt und die Kinder bekommen den Eindruck, Verlieren sei etwas ganz Dramatisches! Dabei gehört Verlieren einfach zum Spiel dazu - einer gewinnt, einer verliert. So einfach ist das. Gewinnen ist ein schönes Gefühl, Verlieren ein doofes. Aber eins, mit dem ich leben kann. Und wenn ich mich mehr anstrenge, gewinne ich vielleicht auch mal. Oder ich bin vielleicht immer schlecht beim Fußball, dafür kann ich aber gut Schach spielen. Oder vielleicht bin ich auch in keiner Disziplin der oder die Beste, dafür halte ich aber die Mannschaft bei Laune und sorge für einen guten Teamgeist.
Umgang mit Regelverstößen
Wie bereits weiter oben beschrieben ist es m. E. wichtig, dass Kinder Grenzen kennen lernen. Das gilt z. B. beim Überschreiten fremder Grenzen durch Fehlverhalten. Im Spiel ist dies z. B. ein Regelverstoß, ein Schummeln oder der Versuch, sich vorzudrängeln. Hier sollten in den Spielregeln klare Konsequenzen vorgesehen sein, die dann auch durchgezogen werden. Später kann dies dann auf generelles Fehlverhalten gegenüber anderen Personen übertragen werden: beim Ärgern anderer Kinder, Unfreundlichkeiten gegenüber Erwachsenen, Sachbeschädigung etc. Auch hier sollten Kinder früh angemessene und spürbare Konsequenzen erfahren, wie sie es ja bereits aus den "Spielregeln" kennen. Mit spürbar meine ich nicht physisch spürbar, also etwa in Form von Schlägen oder Hausarrest, sondern eine Wiedergutmachung, die "weh" tut. Wenn man beim Brettspiel etwa "vier Felder zurück gehen" musste, kann es im realen Leben z. B. eine offizielle Entschuldigung sein oder die Reparatur der beschädigten Sache bzw. Anschaffung einer neuen vom eigenen Taschengeld und dergleichen.
Die eigenen Grenzen ausloten
Viele Kinder (und Erwachsene) kennen aber auch die eigenen Grenzen gar nicht mehr. Dies ist m. E. vermutlich die Entwicklung mit der weitreichendsten negativen Tragweite und m. E. einer der Gründe, warum Depressionen, Ängste und Burn Out heute bereits im Kinder- und Jugendalter weit verbreitet sind. Ich las neulich ein Buch, in dem die These aufgestellt wurde, dass viele Menschen heute ein (vielleicht im doppelten Sinne) so "reizloses" Leben führen, dass sie jede Adrenalinausschüttung für Angst halten! Ohne jetzt biologisch in die Tiefe gehen zu wollen oder können ist Adrenalin zunächst einmal ein Hormon, das in Stresssituationen ausgeschüttet wird. Dieser Stress kann verschiedene Ursachen haben und z. B. auch eine durch einen Wettkampf ausgelöste Aufregung oder Spannung sein, die nicht zwingend negativ oder schädlich ist! Adrenalin setzt im Körper Vorgänge in Gang, die uns dazu befähigen können, über uns selbst hinaus zu wachsen und m. E. ist es sehr vorteilhaft, wenn bereits Kinder lernen, damit umzugehen. Stress kann auch lähmen und vielleicht ist es auch gut, einmal diese Erfahrung zu machen - bestenfalls auch dies bereits im Kinder- und Jugendalter. Dann fällt uns vielleicht auch eine Lösung ein, um aus der Stressfalle herauszukommen und die Lähmung abzuschütteln, in den "fight-or-flight"-Modus zu wechseln. Ich denke, dass es zwangsläufig zu einer Adrenalinausschüttung kommt, wenn wir an unsere persönlichen Leistungsgrenzen kommen, also in Leistungsbereiche, die wir nicht alltäglich erleben. Diese Grenzen des Machbaren sollten m. E. gelegentlich ausgetestet werden, um ein Gespür dafür zu bekommen, was wir (grade noch) schaffen und welche Kraftanstrengungen tatsächlich über unsere Fähigkeiten gehen. Positiver Nebeneffekt ist zwangsläufig, dass wir mit jedem neuen Herantasten unsere persönliche Grenze meist immer noch ein Stück weit weiter nach hinten verschieben können und unsere Leistung bis zu einem gewissen Punkt steigern können. Wo lässt sich dies gefahrloser austesten und auch üben als in einem Spiel oder Wettkampf?
"Ein Leben lang kämpfen" - Helden des Alltags werden!
Die Heldinnen und Helden in Actionfilmen oder auch in unserem Alltag beeindrucken uns meistens dadurch, dass sie in scheinbar ausweglosen Situationen offenbar übermenschliche Kräfte mobilisieren: Sie sind beinahe eine Klippe hinabgestürzt, hängen nur noch mit den Fingern an der Felskante - und ziehen sich doch noch wieder hinauf. Sie retten jemanden unter Einsatz des eigenen Lebens, indem sie alleine einen schweren Gegenstand zur Seite schieben, für den man sonst die Kraft von zwei oder drei Personen benötigt hätte. Eine Voraussetzung für ein "starkes Verhalten" kann natürlich körperliche Stärke und Fitness sein. Meine Vermutung ist aber, dass solche Höchstleistungen auch bei einer guten körperlichen Verfassung nur dann möglich sind, wenn ein Mensch - möglichst bereits in jungen Jahren - erfahren hat, was auch mental alles in ihm steckt. Und wenn diese Fähigkeiten auch geschult werden. Hierbei kann es natürlich auch passieren, sich zweitweise mit Versagensängsten herumplagen zu müssen, mit der Frage: "Pack ich das?" Bestenfalls führt dies irgendwann dazu, dass sich ein Mensch vor einer Aufgabe sagen kann: "Ich schaff das jetzt!" Und die Aufgabe dann auch bestmöglich löst.
Neben einer positiven Verstärkung, die (nicht nur) Kinder ganz unbestritten immer wieder brauchen, müssen Menschen daher meiner Meinung nach auch ab dem Kindergartenalter immer wieder Situationen geboten werden, in denen sie sich ausprobieren und auch mit anderen Personen messen können. Uns allen sollten möglichst ein Leben lang immer wieder Möglichkeiten geboten werden, Reize zu erfahren, die wir wahrnehmen und für uns als angenehm und unangenehm einordnen können, als erträglich und unerträglich. Nur so lernen wir meiner Meinung nach, auf eine vernünftige Art und Weise mit Stress und Druck im Alltag umzugehen. Ein lebenslanges Schonen und In-Watte-Packen ist m. E. fatal - es lebe der Wettkampf!