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Freitag, 17. Mai 2019

Vom Wesen verschiedener Tachikata - Seminar in Wilhelmshaven

Bereits zum zweiten Mal hatte ich die Ehre, von der Budo Akademie Europa (BAE) als Trainerin eingeladen worden zu sein. Meine beiden engsten Kontakte sind Barbara und Claus, denen ich inzwischen auch auf zahlreichen André-Bertel-Lehrgängen begegnet bin. Barbara war vor etwa drei Jahren auf meine Aufzeichnungen in diesem Blog aufmerksam geworden - sie hatte jemanden in Deutschland gesucht, der die Trainingslinie von André Bertel Sensei verfolgt. Ehrlich gesagt ist es mir immer noch befremdlich, wenn mein Name im Zusammenhang mit André Bertel Sensei genannt wird! Da liegen noch so viele Welten zwischen seinem Können und meinen Fähigkeiten und Gedanken .... Es ist daher eine große Ehre und auch Verantwortung für mich, in diese riesigen Fußstapfen zu steigen.

Ich war in 2017 bereits einmal für einen Lehrgang von der BAE eingeladen worden. Damals war es der Wunsch der Verantwortlichen, dass ich Training zu den Themen Kraftübertragung und Dynamik abhalte. Diesmal stand das Thema Tachkata - also alles rund um Stellungen, Positionen, Stände, im Vordergrund. Vor das Seminar zum traditionellen Shotokan Karate stand mir aber noch ein Schnuppertraining im Ju Jutsu bevor sowie eine Selbstverteidigungs-Einheit für Kinder, die ich leiten sollte.

Im Anschluss an ein Jiu Jiutsu Schnuppertraining, welches mir meine KaratefreunInnen Barbara und Claus als sehr liebe Gegenleistung ermöglich hatten, gab es ab 20 Uhr traditionelles Shotokan Karate für Jugendliche und Erwachsene. Man muss wissen, dass das klassische JKA-Karate in der BAE nicht bzw. nur am Rande trainiert wird. Das ASD Karate besteht aus sieben eigenen Kata, karateorientierter Selbstverteidigung mit dazu passenden Kihon-Elementen sowie Fallschule. Das Kihon oder die Kihon-Kumite-Formen, wie wir sie kennen, werden so gut wir gar nicht thematisiert. Auch die Shotokan-Kata sind nicht oder nur rudimentär bekannt. Mein Training beschränkte sich daher auch diesmal weitgehend auf Grundlagen: Ich startete mit "Leihgaben" von Risto Sensei (Mäusefüßchen) und Emanuele Sensei (Schrittfolge mit den wichtigsten Bewegungsrichtungen bei der Beinarbeit (Suri Ashi, ganzer Schritt vor und zurück, Tai Sabaki, Wendung auf der Stelle, große Wendung).

Im Anschluss stellte ich einige der wichtigsten Stellungen des Shotokan Karate vor: Zenkutsu Dachi, Kokotsu Dachi, Kiba Dachi sowie auf speziellen Wunsch der Einladenden: Sochin Dachi und Sanchin Dachi. Bei allen Stellungen erklärte ich zunächst die korrekte Ausführung: den korrekten Abstand zwischen Füßen und Knien, die Ausrichtung der Füße, Oberschenkelinnen- oder -außenspannung, Schrittlänge, Gewichtsverlagerung etc.

Im Anschluss beschäftigten wir uns mit den Wesen bzw. dem Nutzen der verschiedenen Stellungen:

Der Zenkutsu Dachi hat als "Vorwärtsstellung" oder "nach vorne gebogene Stellung" (Schlatt "Enzyklopädie des Shotokan Karate") für mich einen offensiven Charakter - selbst bei Rückwärtsbewegungen mit Block: Die Körperausrichtung bleibt tendenziell immer vorne mit dynamischem Vorwärtsdruck. Wir probierten dies in der Vorwärtsbewegung mit Oi Tsuki aus sowie im einfachen Kihon-Ippon-Kumite (Angriff Oi Tsuki Jodan, Block Age Uke).

Kokotsu Dachi (Rückwärtsstellung, nach hinten gebogene Stellung) hat durch den Schwerpunkt auf dem hinteren Bein eher eine defensive Ausrichtung bzw. bietet selbst beim Angreifen bzw. Konter z. B. mit Shuto Uke noch einen größeren Sicherheitsabstand zwischen Gegner/in und dem eigenen Kopf, als bei Annäherung im Zenkutsu Dachi. Hier mussten wir bereits etwas intensiver die korrekte Stellung üben - die Stände waren zum Teil zu kurz oder viel zu lang, das Körpergewicht "zu mittig" ausgerichtet. Auch das korrekte Vorwärtsgehen von einem Kokotsu Dachi in den nächsten musste geübt werden.

Die Übungen zum Kiba Dachi, von meinem geschätzten Trainingspartner Torsten in einem Essay als "Mutter aller Stände" bezeichnet, werden wohl in den nächsten Tagen bei dem/der ein oder andren Teilnehmenden für ordentlich Muskelkater in den Oberschenkeln sorgen :-) Auch hier wurde auf die korrekte Standbreite, Ausrichtung der Knie etc. geachtet. Der Kiba Dachi als Stellung, die starke Stabilität bietet, dafür aber wenig dynamisch ist, sorgt schon für ordentlich "Groundpower" - erfordert aber bei korrekter Ausführung auch einen ausgeprägten Krafteinsatz. Wir übten hier die Übergänge aus dem Kiba Dachi in den Zenkutsu Dachi und Kokotsu Dachi, möglichst ohne die Fersen zu bewegen, damit die Schrittlänge sich nicht verändert.

Fudo Dachi oder Sochin Dachi - der "Master of Groundpower" - ließ sich dann auch gut aus dem Kiba Dachi erklären: aus der seitlichen Stellung das Gewicht auf eines der Beine verlagert, den Druck dadurch in diese Richtung verlagert, den hinteren Fuß leicht in Kraftrichtung eingedreht - und fertig ist der Sochin Dachi! Das hintere Bein bleibt gebeugt, selbst wenn die Hüfte auf "Shomen" eingedreht ist. Wir übten auch hier zunächst die korrekte Ausführung, dann das Vorwärtsgehen im Sochin Dachi. Anschließend ließ ich einige kurze Passagen aus den Kata Bassai Dai, Chinte und Unsu intensiver üben, bei denen ein Wechsel vom Sochin Dachi mit Tate Shuto Uke in Zenkutsu Dachi mit Gyaku Tsuki oder Tate Tsuki bzw. Hasami Tsuki (Sochin Dachi) in Oi Tsuki (Zenkutsu Dachi) erfolgt. Für großen "Spaß" sorgte dann die vierfach-Kombination Tate Shuto Uke / Gyaku Tsuki mit Viertelkreis- bzw. Halbkreisdrehung aus der Kata Unsu :-)

Abschließend gingen wir noch auf den Sanchin Dachi ein. Sanchin Dachi wirkte für die meisten der anwesenden Karteka wohl wie eine Stellung von einem anderen Stern! Eigentlich verwunderlich, da es sich m. E. um eine Position handelt, die im Selbstverteidigungsfall beinahe intuitiv eingenommen wird, um den Unterleib zu schützen! Dies hatte ich grade am Nachmittag bei einem Spiel in der Kindergruppe ("Kinderklau") noch gesehen: Mein Co-Trainer Kilian hatte ein Kind "geschnappt", dass sich - der Spiel-Vorgabe gemäß - zappelnd, schreiend und windend aus dem Griff zu befreien suchte. Als er in der Körpermitte getroffen zu werden drohte, drückte er intuitiv die Oberschenkel zusammen - und stand im Sanchin Dachi! Beim Sanchin Dachi ist durch die kraftvolle Innenspannung der Oberschenkel der Gedan-Bereich abgedeckt. Die Stellung ist sehr kurz (die Fußspitze des hinteren Fußes soll sich auf der Höhe der Ferse des vorderen Fußes befinden) und eine Vorwärtsbewegung von einem Sochin Dachi in den nächsten bringt daher keinen großen Raumgewinn. Ohne dass ich dies explizit gefordert hätte, erfolgte die Vorwärtsbewegung bei allen Teilnehmenden eher langsam. Mir kam der Gedanke, ob der zweite Name der Stellung ("Sanduhrstellung") vielleicht nicht nur auf das Bodendiagramm zurück zu führen ist, sondern auch noch einen Bezug zur Geschwindigkeit der Fortbewegung hat :-)

Nachdem die verschiedenen Merkmale und "Charaktere" der unterschiedlichen Stellungen im Einzelnen wahrgenommen worden waren, bot ich der Gruppe noch die Gelegenheit, die Unterschiede durch die Ausführung der Kata Taikyoku Shodan in verschiedenen Durchgängen - jeweils ausschließlich in einer der Stellungen - wahrzunehmen.

Die Vorbereitung auf den kleinen Lehrgang sowie die Durchführung und vor allem auch die Offenheit der Karateka für die traditionellen Shotkoan-Impulse haben mir wieder einmal viel Freude gemacht! Ich freue mich sehr über die Zusammenarbeit mit der Budo Akademie Europa und bin glücklich darüber, hier viele neue Freundinnen und Freunde gefunden zu haben!