In der Karateschule Fuji San Münster verfolgen wir ein ganzheitliches Eigenschutz-Konzept, das weit über die körperliche Selbstverteidigung hinaus geht. Wie es der Name der Schule vermuten lässt, liegt unser Ursprung im Karate. Karate ist eine asiatische Kampfkunst, die ihre Wurzeln in der Selbstverteidigung hat. Als Kampfkunst beinhaltet sie Basistechniken, Partner*innen-Training und Formenläufe (Kata). Dadurch unterscheidet sich Karate von Systemen, die ausschließlich den Verteidigungsaspekt fokussieren. Gelegentlich führt dies dazu, dass Karateka bei der Begegnung mit Personen, die in den Verteidigungssystemen zu Hause sind, belächelt werden, da unsere Techniken für die Verteidigung nicht wirklich tauglich seien. Von außen betrachtet mag dieser Eindruck nachvollziehbar sein.
Im traditionellen Karatetraining liegt der Fokus zunächst auf dem Erlernen der Grundtechniken. Hier bietet Karate eine reiche Technikvielfalt an, die es ermöglicht, zu lernen, wie beinahe jeder Teil des Körpers im Verteidigungsfall als Waffe eingesetzt werden kann. Anschließend werden Grundtechniken in Kata (Formen) zusammengefügt, so dass eine Art Kampfkunst-Choreografie entsteht. Das Partner*innen-Training ist anfangs stark stilisiert, so dass ein offenkundiger Bezug zur realen Selbstverteidigung schwerfallen mag. Die Kata können in einzelne Elemente zerlegt und zu für die Selbstverteidigung nützlichen Sequenzen zusammengefügt werden. Diese anwendungsorientierte Formen-Analyse steht bei Anhänger*innen von reinen Kampfsystemen gelegentlich in der Kritik: Es wird unterstellt, Karateka konstruierten sich die Realität passend zur festgelegten Abfolge der Form. Diese Vorgehensweise wäre dann komplett kopfgesteuert, also "top down" (von oben - vom Kopf - nach unten - in die Anwendung, in die Realität oder auch in die Intuition). Es ist tatsächlich ziemlich unwahrscheinlich, dass ein realer Angreifer einige Angriffstechniken so platziert, dass sie z. B. zu den (stilisierten) Techniken Nr. 1-5 aus der Kata Bassai Dai passen. Gleichwohl werden mögliche Bewegungsfolgen durch diese Trainingsform eingeübt, die es ermöglichen, in einer körperlichen Auseinandersetzung einen "Flow" zu entwickeln, der nicht nach einer Technik aufhört. Zweifellos darf das Einüben möglicher Abfolgen nicht dazu führen, dass ausschließlich bestimmte Techniksequenzen automatisiert werden und nichts anderes in Frage kommt! Dies würde genau das Gegenteil dessen auslösen, wofür meiner Meinung nach das aus den Kata generierte freiere Training gedacht ist - es würde Flexibilität einschränken, statt sie zu erweitern!
Allerdings hat das Kampfkunst-Training noch einige andere Elemente, die einen möglichen top-down-Charakter ausgleichen oder zumindest ergänzen können. Viele Karate Dojos bieten zusätzlich zu ihren Karate-Trainings gesonderte Selbstverteidigungs-Trainings an. Leider haben diese dann meistens gar keinen Bezug zu dem Technik-Repertoire in den Karate-Stunden! Diese Diskrepanz tritt umso mehr auf, je mehr das Training in den Dojos auf das reine Absolvieren von Prüfungsprogrammen beschränkt ist. Darum ist es meiner Meinung nach wichtig, möglichst in jedem Training einen direkten Bezug zwischen der stilisierten Trainingsform und der Realität herzustellen. Ich persönlich achte regelmäßig darauf und setze ein hohes Augenmerk auf den Transfer zwischen Kampfkunst und Realität. Dies geschieht unter anderem auch durch Schlagkissentraining und Trainingselemente zur Abhärtung des Körpers, aber auch taktische Trainingselemente wie "niemals am Boden liegen bleiben", Flucht üben nach einer erfolgreichen Abwehr etc. Und ganz besonders üben wir, auf die Intuition zu achten - was wäre mein erster Impuls und warum? Wie schaffe ich es vielleicht, Angst in konstruktive Aggression umzuwandeln und eine Schreck-Starre zu verhindern? Trainingselemente wie diese sorgen dafür, dass das Training auch "bottom-up" funktioniert - also vom Bauchgefühl in die Technik.
Als Fazit lässt sich aus meiner Sicht zusammenfassen, dass Karate sehr gute Voraussetzungen für effektive Selbstverteidigung bietet - wenn in den Trainings neben dem reinen "top down"-Techniktraining auch regelmäßig und ausreichend "bottom up" trainiert wird. Regelmäßiges und intensives Karate-Training bietet mit diesem ausgewogenen Mix aus "top down" und "bottom up" gute Voraussetzungen für ein selbstsicheres Auftreten und für die Möglichkeit, sich zu schützen. Zugleich ist Karate durch die Trainingsdisziplin und die permanente Arbeit an sich selbst ein Lebensweg, der die Fähigkeit der Selbstreflexion stärkt und für Ausgeglichenheit sorgt und auf diesem Weg die Fähigkeiten, mit Konflikten konstruktiv um zugehen und sie ohne Gewalt zu lösen, stärkt.
Wer sich allerdings - z. B. aus beruflichen Gründen - schnell und gezielt auf spezielle Selbstverteidigungssituationen vorbereiten will oder muss, dem könnte das traditionelle Shotokan-Karate-Training nicht zielgerichtet genug sein und der Erfolg mag zu lange auf sich warten lassen. Da bieten sich vielleicht eher Konzepte wie Street Combatives an, welches ich sehr empfehlen kann. Allerdings stellt sich auch hier der Erfolg nicht auf Knopfdruck ein und es muss regelmäßig und konsequent trainiert werden.