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Samstag, 16. Dezember 2017

Street Combatives Erlensee - Tag 3

Für den Vormittag war das Thema Kontaktmanagement angesetzt - und ich glaube, wir waren alle ganz dankbar für diese Zäsur im Kampfmodus der Fortbildung. Sicherlich war nicht nur ich mit einem ordentlichen Muskelkater im Oberkörper aufgewacht :-)

Joe hatte in der Trainingshalle eine Präsentation aus Powerpoint und Videos vorbereitet. 

Analog zu meinem fünfteiligen Eigenschutz-Konzept hat Street Combatives ein dreiteiliges System aufgestellt: 
Gefahrenmanagement 
Kontaktmanagement
Gewaltmanagement

Unter Gewaltmanagement versteht man z. B. die Entscheidung, nachts aus einer Frankfurter Disco als Frau nicht mit einem öffentlichen Verkehrsmittel nach Hause zu fahren, sondern lieber ein Taxi zu nehmen. 

Gewaltmanagement ist die "Stufe 5" meines Konzepts: der physische/technische Eigenschutz.

Kontaktmanagement setzt bereits bei der Wahrnehmung kritischer Situationen an. So lange ich noch einen großen Bogen um mir nicht geheuer erscheinende Menschen machen kann, tu ich das auch - wechsele z. B. die Straßenseite. 

Natürlich gehören auch kommunikative und deeskalierende Maßnahmen zum Kontaktmanagement. 

Auch Joe berichtete (wie in vorigen Kursen auch Ralf Bongartz) über den tragischen Tod Tugce Albayraks, die medial zu zivilcouragierten Heldin hochstilisiert wurde. Joe ist sicherlich durch seine berufliche Tätigkeit im Frankfurter Raum noch näher dran am Thema. So berichtete er gleich zuvor: Der Tatort war das Mc Donalds Restaurant Offenbach Kaiserlei - ein Ort, der sich schon tagsüber nicht für ein lauschiges Picknick eignet. Und nachts schon gar nicht. Was zwei minderjährige Mädchen dort alleine nachts auf der Toilette zu suchen hatten, sei zumindest verwunderlich. Wie ich schon aus Fortbildungen bei Ralf wusste, war es keinesfalls ausschließlich der nach außen propagierte tragische Todesfall einer mutigen jungen Frau. Vielmehr hatte sich hier die Gewalt im System hochgeschaukelt und es waren auf beiden Seiten Drogen im Spiel (zumindest reichlich Alkohol). Auch wenn es für den ein oder anderen verwerflich erscheint, diese tragische Situation im Nachhinein zu bewerten, und wenn jede Gewaltromantik hier fehl am Platze ist, so muss gesagt werden, dass der Todesfall gegebenen Falls hätte verhindert werden können. Dies war anhand einer Videoaufzeichung auf dem Parkplatz von Mc Donalds deutlich zu erkennen. Gegenseitige Beschimpfungen und Beleidigungen führten schließlich zu dem einen tödlichen Stoß. 

Es ist immer wichtig, Situationen gut wahrzunehmen. 
Visuell, akustisch oder über Nase, Zunge, Haut (die drei letzten spielen eher untergeordnete Rollen). 

Wir wurden noch einmal in das Modell des Ooda Loop eingeführt: observation, orientation, decision, action - insgesamt eine Verknüpfung von Wahrnehmung und Erfahrung. 

Man sollte auch im Training möglichst den Block / die Verteidigung dem Angriff anpassen und nicht umgekehrt.

ORI Loop: Observation - Recoginition - Improvisation
Improvisation geht nur mit Erfahrung. Daher ist es gut, vorher einen Plan zu haben. Die gelingt nur, wenn man vorher im Kopf vergleichbare Situationen durchgespielt hat oder wenn man kurz vor einer Gefahreneskalation schon überlegt hat, was man machen könnte. Man sollte immer gedanklich hoch einsteigen, dann hat man das Ende geplant und wird nicht von der Härte des Angriffs überrascht. Gedanklich hoch planen und in der Ausführung niedrig beginnen - das sei optimal, so Joe.

Video herald sun (Mann mit nacktem Oberkörper in U-Bahn-Station)

U-Bahn-Station Frankfurt Oper - Überfall, bei dem Senior hinter dem Angreifer her geschleift wird.

Täterinterview: Lage checken durch Ansprechen

Täter schlagen meist nur mit einem Arm, wechseln dann ggf. - beidseitige Angriffe im Wechsel sind die absolute Ausnahme! Es macht kaum Sinn, so was zu trainieren. Man sollte besser einen Weg durch die Deckung suchen und sich dann "freiballern".

In einer Klopperei geht man "zurück in die Höhle": Selbst Profiboxer nutzen Colaflaschen und Schrimfständer als "Waffen"

Nonverbale Anzeichen für Gewalt:
- grooming ("Zurechtmachen" -> Übersprungshandlung; Versuch, sich zu legitimieren; kein direkter Blickkontakt; bewusst auffällig unauffällig verhalten
- Scannen des Umfelds (Zeugen, Menschen, die dem Opfer beistehen könnten, Polizei?)
- Gewichtsverlagerung, um einen effektiven Schlag oder Tritt ausführen zu können, hier kann man ideal mit dem Cover Crash Counter einem Angriff zuvor kommen)
- Griff in die Tasche, Verbergen der Hände (Waffe holen?)
- Fäuste ballen
- durchgehendes Nichtbefolgen von Anweisungen
- Ausziehen der Kleidung
- wenn Angreifer (mindestens) zu zweit sind: taktisches Positionieren
- versteckte Kommunikation mit "Freunden" (Muttersprache Türkisch o. ä., Geheimzeichen...)
- Stimmungsschwankungen
- "aggressiv wirkende Kleidung"
- leerer Blick (Gegner schon im "Tunnel")
- gewalttätige Vita
- Brüsten -> zeigt alle verletzlichen Punkte (Adern, Kehlkopf etc.)
- Fingerzeig auf Opfer
- sichtbare, angeschwollene Adern (Blut schießt in die Muskeln)
- Atemfrequenz erhöht (Sauerstoff in den Körper pumpen)

Verbale Anzeichen:
- versteckte oder offene Drohungen ("Ich stech Dich ab!")
- offensive und beleidigende Worte
- Schreien, Kreischen
- unverständliche Aussprache
- schnelle Aussprache

Achtung: Nicht an die Sprechweise des anderen anpassen! Wenn der schnell wird, und laut, nicht auch so sprechen, sondern ruhig und möglichst mit normaler Lautstärke weiter.
Nicht beleidigen! Ggf. nur noch einsilbige Antworten geben.

Manchmal kann ein falsches Wort ausreichen. So sagte ein Polizist zu einem Aggressor, um diesen zu beruhigen: "Ey, komm runter! Das ist doch gar nicht Dein Niveau!" Der Angesprochene rastete total aus, weil er nicht wusste, was Niveau ist.

Kontaktmanagement Polizei: Als erstes Handschuhe anziehen

Es ist sinnvoll, mit einem konkreten Selbstverteidigungsplan in die Situation zu gehen - man kann dann ja reden und "runterhandeln". Das verschafft Handlungsspielräume. Wenn man so in eine Situation geht, kann man improvisieren, statt nur zu reagieren. Kopfkino kann helfen.

Wenn man unter Hochstress ist und im "Tunnel", kann man unter Umständen keine Taschenlampe oder Pistole mehr bedienen.

Vor Gericht wird häufig gestritten, welche Version wahr ist - eigentlich sind beide wahr, es kommt auf die Sichtweise an.

Systemisches Denken ist wichtig! Was löwen wir vielleicht selbst durch unser Verhalten aus?

Es macht keinen Sinn, einen Angriff zu modifizieren, um eine Abwehr zu begründen.

Praxisteil Kontaktmanagement:
Wie wir es kennen: Hände mit der offenen Handfläche nach unten zeigen lassen - aber am Besten auf Schulterhöhe, damit man sehen kann, ob der Angreifer eventuell eine Waffe zieht.
Wenn man an einer Wand steht, Hände auf Kopfhöhe und Ellenbogen eng an die Rippen.

Person nicht anfassen! Das kann Gewaltreaktion auslösen!

Wir bleiben mobil! Wir weichen nicht aus.

Kurz bevor es knallt nicht mehr reden - bzw. nur noch einsilbige Hochstatus-Befehle/Alphakommandos: "Bleiben Sie stehen!" "Stopp!" "Nicht weiter!" Wenn man zu viel versucht, zu deeskalieren und den Wechsel zum Hochstatus nicht schafft, verpasst den ersten Schlag.

Übung 1:
zu zweit, A läuft gradeaus, B kommt ihm entgegen, kurz vor der Begegnung kreuzt B den Weg von A bewusst. A nimmt die Hände hoch (Schulterhöhe) wirft kurzen Blick auf B und geht weiter. Achtung, wichtig: nach dem Passieren kurz über die Schulter blicken, ob B hinterher kommt.

Variante: B spricht A an "Haste mal Feuer", "Haste mal n Euro", "Wie spät ist es". A geht weiter ohne zu stoppen, sagt "Nein, ich rauche nicht", "Nein, hab selber kein Geld", "Nein, tut mir Leid" o. ä., wieder über die Schulter blicken

Variante: B bleibt hartnäckig an A dran, penetriert, A versucht, auszuweichen und Schleifen zu laufen. B wird lauter und aggressiver. Irgendwann muss A sich entscheiden, ob er den ersten Schlag setzt.

Variante C: B bekommt einen Kumpel zur Seite - multiple Opponenten! Diese greifen asymmetrisch an, A muss versuchen, um sie herum zu gehen oder zwischen ihnen hindurch.


Nachmittag in Schöneck in der Traktor-Garage/Scheune (mit Traktor :-))

Harter Betonboden, Enge, kalt.
Wiederholung aller bisherigen Techniken mit Partner/in, dann neue Techniken:

Single-Neck-Tie: statt Underhook wird aus dem Cover Crash Counter der rechte Arm an den Nacken des anderen geführt, dann mit Ruck nach hinten gestoßen und wieder aufgefangen, aber in einem Abstand, in dem man den Ellbogenstoß durchführen kann.

Alternative: Kopf weghalten, dann mit dem anderen Arm drumherum greifen und "Bowlingkugel" - Nase, Augen, Mund - was auch immer - greifen und ziehen.

Double-Neck-Tie: Beide Hände werden an den Hals gelegt - man kann den anderen jetzt in den Take-Down (war das so?)

Alternative: Kopf erst mit rechts halten, dann diagonal unter den linken Arm ziehen und in die Guillotine nehmen: Hände übereinander legen wie beim Beginn der Meykio und die (eigene) Hüfte durchdrücken, hochkommen.

Das übten wir dann unter höherem Impact mit dem Partner und im Anschluss mit wechselnden Partnern. Joe kritisierte, dass einige von uns nur herum standen und sich dauernd nur die Boxhandschuhe an- und auszogen, die Schuhe banden.

Als Höhepunkt des Tages griff Joe gegen Ende der Einheit in der Scheune das Thema Kontaktmanagement erneut auf: Die Gruppe bildete einen großen Kreis, zwei von uns wurden mit Helmen ausgestattet, einer bekam Boxhandschuhe an. Die zwei Aktiven wurden von zwei "Rettern" unterstützt, die z. B. immer im Blick haben sollten, ob die Helme noch sitzen etc.
Auf Kommando Break sollte sofort gestoppt werden. (Nicht Stopp, weil man sonst auf Stopp konditioniert wird und im Ernstfall ggf. auch bei Stopp aufhört, obwohl es noch weitergehen müsste).
Der mit den Boxhandschuhen sollte zuerst der Pöbler/Belästigende sein (Übung wie am Vormittag). Der andere sollte versuchen, das abzuschütteln oder im entscheidenen Moment den ersten Schlag machen, konnte auch sein, dass es sich ergibt, dass der Angreifer den ersten Schlag machte - darauf kam es wohl nicht so an. Im Kampf sollte man dann versuchen, den anderen so zu drehen, dass er mit dem Rücken zu einem steht (Rückenposition - seine "Waffen" zeigen weg, meine zeigen zu ihm).
Annika und ich kamen als letzte dran. Ich konnte zuerst meine Sicherung durchführen (Annika hatte angegriffen). Im zweiten Durchgang wurde die Szene abgebrochen, bevor wir richtig loslegten - Annika und ich wurden von unseren Helfern auseinander gerissen. Ich war total verwundert - hatte ich was falsch gemacht? Erklärung war, dass der Freund von Annika die Szene genutzt hatte, um Annika mit einem Ring zu überraschen - eine wohl standesgemäße Verlobung unter Combattanten :-)

Im Anschluss gab es Sekt und etwas zu essen, aber ich verabschiedete mich schnell, da ich zu meiner Schwester nach Seligenstadt fahren wollte, mit der ich verabredet war.