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Dienstag, 31. Oktober 2017

Karate mit mehr Effektivität

Karate mit mehr Effektivität

Anlässlich der Bitte, außerhalb des eigenen Dojos einen Karatekurs unter den Aspekten „Kraft, Geschwindigkeit und Dynamik“  zu geben, mache ich mir Gedanken zu diesen Themen. Meine Notizen erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und so und freue ich mich über jedes Feedback!

I. Vorbereitung – muskuläre und koordinative Voraussetzungen schaffen
Kraft- und Ausdauertraining sowie Flexibilitätsübungen sollten vor allem im Anfängerbereich jedes Karatetraining begleiten und umschließen. Hierzu empfehlen sich neben klassischer Übungen wie Liegestütz, Situps etc. karatespezifische Bewegungselemente.

Übung: Elemente aus dem Power Pack

Am Anfang vermutlich eines jeden Karatelebens / Karatetrainings stehen wohl eher statische, kantige Bewegungen, um den Körper auf Karate vorzubereiten, Kraft zu generieren, Muskeln zu bilden, die Grund-Ausführung sowie die Endpositionen isolierter Techniken zu verstehen: „So und so wird ein Tsuki ausgeführt, so ein Age Uke, ein Soto Uke oder auch ein Zenkutsu Dachi, Kokotsu Dachi etc.  Bei uns im Shotokan werden die Karate-Stände, zudem anfangs ziemlich lang und tief ausgeführt, damit die Muskulatur gebildet, der Körper vorbereitet wird.

Übung: Tsuki im Heiko Dachi

Übung: Mae Geri im Heisoku Dachi

Anfänger spannen die Muskulatur im Regelfall bei der Ausführung einer Technik noch ziemlich lange an – auch dies zur Bildung der Muskulatur und auch zum Schutz der Gelenke, die bei unkontrolliert ausgeführten Stoß- oder Schnappbewegungen Schaden nehmen könnten. Mit der Zeit soll es ermöglicht werden, nur ganz kurz und „auf den Punkt“ zu stoßen, treten, treffen, also den Moment der maximalen Kraftausübung zu minimieren. Die Trefferwirkung wird so vielleicht weniger „bombastisch“, aber dafür mehr ex- oder vielmehr „implosiv“.

Durch das Treffen „auf den Punkt“ mit der maximalen Anspannung in einem kurzen Moment werden zudem die eigenen Energiereserven geschont: Da der Körper nur kurz die maximale Kraft aufwenden muss, wird er nicht so schnell erschöpft. Kombiniert mit der richtigen Atmung kann man länger wehrhaft bleiben, als bei unkontrolliert und untrainiert andauernd ausgeübter Stärke und Kraft.

Übung: Tsuki im Heiko Dachi – wie vor, dann schneller, dann schnell und stark

Übung: Mae Geri im Heisoku Dachi – wie vor, dann schneller, dann schnell und stark

Um eine Auseinandersetzung mit einem Trainingspartner/einer Trainingspartnerin zu ermöglichen, Formenläufe zu erlernen, sich im Raum zu bewegen, werden verschiedene Bewegungsläufe und Schrittfolgen eingeübt. Im Anfängerbereich muss hier zunächst die Koordination von Armen und Beinen gewährleistet werden. Anschließend kann am optimalen Einsatz derselben gearbeitet werden. Durch meinen hochgeschätzten Sensei Risto Kiiskilä weiß ich ja, dass „am Standbein zu stoppen eine Sünde“ wäre und man  z. B.  bei der Vorwärtsbewegung im Zenkutsu Dachi das hintere Bein fließend am (vorderen) Standbein vorbei ziehen muss.

Durch das Strecken des hinteren Beins erfährt die Technik dann einen Kraft- und Energieschub nach vorne. Im Folgenden sollte es ermöglicht werden, Knie und Ellenbogen gleichzeitig zu bewegen, so dass der Arm z. B. nicht erst lange nach dem Absetzen des Fußes ins Ziel kommt und nur noch der Arm schlägt.

Übung basic: ZK auf drei Zeiten – fließend am Standbein vorbei

Übung plus: ZK auf drei Zeiten, bei Zeit drei Fokus auf deutlichen Abdruck vom hinteren Bein

II. Geschwindigkeit generieren
Hierzu ist es wichtig, die Kraftübertragung zu beschleunigen – die Kraft dadurch vielleicht sogar zu potenzieren. Auch hierfür müssen Muskulatur und Gelenke gut trainiert sein – es soll ja gewährleistet sein, dass trotz schneller Bewegung am Ende kurz eine optimale Anspannung des Körpers gewährleistet ist und dass der eigene Körper keinen Schaden nimmt. Darum ist es wichtig, Bewegungen zunächst langsam und akkurat auszuführen und erst anschließend schneller zu werden.

Neben der eigenen Muskelkraft kann man weitere Energiequellen nutzen, die die eigene Kraft unterstützen bzw. auch für größere Geschwindigkeit sorgen können:

1. Schwerkraft – die Schwerkraft ist immer da – sie umgibt uns ständig und kann uns bei der Beschleunigung unserer Karatetechniken unterstützen. Statt uns aktiv durch Aufwendung von Muskelkraft bewegen zu müssen, können wir versuchen, die Schwerkraft einen Teil der Aufgabe übernehmen zu lassen.

Übung basic: Aus dem ZK über das vordere Knie nach vorne „fallen“ und dadurch schneller werden

Übung basic / Alternative: Hammerfaust mit Partner an der Pratze

Übung: Kriri Kaeshi mit Tsuku im ZK – dabei Schwerpunkt vorne lassen

Übung plus: Wendung auf dem vorderen Bein wie in der Kata Gankaku li vor KK mit Gyaku Tsuki um 180 Grad in KB re vor mit Gedan Barei


2. Bodenkraft - Wenn bei der Schwerkraft die Kraft genutzt wird, die von oben nach unten fällt, können wir im zweiten Aspekt, der Bodenkraft, Energie aus dem Boden  - also quasi von unten nach oben - schöpfen. Hierbei ist es jetzt wichtig, dass wir im Kihon gut gearbeitet, den Körper gut vorbereitet haben. Wer z. B. trainiert hat, die Techniken und Bewegungen mit gutem Fersenkontakt zum Boden auszuüben, hat jetzt Vorteile, da er dadurch ein hohes Kraftpotenzial generieren kann. Durch guten Bodenkontakt können Techniken geerdet und stabilisiert werden. Techniken aus dem "Herumhüpfen" im reinen Sport- oder Wettkampfkarate sehen zwar athletisch aus, ihnen mangelt es aber meist an Kraft und Effektivität.

Übung basic: Tsuki im Heiko Dachi – erst ohne Vorgabe, dann mit Fokus auf den Verlauf der Technik: Der Tsuki beginnt in der Ferse, Kraftverlauf über Fuß- und Kniegelenk, Hüfte, Rücken, Schulter, Ellenbogen bis in die Faust.

3. Innenspannung bei Tachi Waza: Fortgeschrittene Karateka sollten darauf achten, bei  Karateständen eine Innenspannung aufzubauen. Dies ist im Anfängerbereich sehr schwer, vor allem, bei Ständen, bei denen die Knie grundsätzlich eine Außenausrichtung haben (Kokotsu Dachi, Kiba Dachi). Hier sollte man zunächst darauf achten, dass die Knie nicht aktiv nach außen gedrückt werden (wie man es z. B. vor 30 Jahren zuweilen noch vermittelt bekam). Die Knie sollten vielmehr grade über die Fußspitzen geschoben werden. Auf diese Weise werden auch Bänder und Gelenke geschont.

Wenn es den vermutlich eher fortgeschrittenen Karateka gelingt, auch bei diesen Stellungen zusätzlich durch Muskelkraft und Gelenkstellung eine Innenspannung zu generieren (selbstverständlich ohne die Knie nach innen fallen zu lassen), dann komprimiert sich die Kraft aus dem Boden und sorgt für mehr Stabilität und stärkere Techniken.

Übung basic: Zenkutsu Dachi mit Hüftdrehung, bei Hüftstellung Shomen werden die Oberschenkel fest zusammen gezogen. Bei der Hüftrotation darauf achten, dass das beim hinteren Bein der Oberschenkel ausgedreht ist, während Knie und Unterschenkel die Richtung bei behalten.

Übung plus: selbe Übung, aber auch bei Hanmi-Hüftstellung darauf achten, dass zwar die Hüfte ausgedreht, eine Innenspannung in den Oberschenkeln aber bestehen bleibt

Übung plus / Alternative: Innenspannung auch bei Kokotsu Dachi und Kiba Dachi

III: Dynamik für explosive Techniken
Dynamik ist laut Wikipedia "eine von Kräften erzeugte Bewegung", "voll innerer Bewegung", "mit schneller Veränderung", "mit Tatendrang, voller Energie, etwas zu vollbringen".

Eine  Karatetechnik generiert Dynamik demnach durch Bewegung, Kraft und Geschwindigkeit, gestützt von Entschlossenheit und unbedingtem Tatendrang. Wenn wir die Dynamik unserer Techniken steigern wollen, um diese noch effektiver zu machen, müssen wir all diese Komponenten ausbauen.

Während Anfänger die Kraftübertragung „auf den Punkt“ meist noch so umsetzen, dass sie versuchen, die Muskulatur möglichst vieler Körperbereiche gleichzeitig anzuspannen, sollten Fortgeschrittene versuchen, die Muskelketten wie in einem Domino-Effekt nacheinander zu aktivieren.

Bei der Anspannung aller Muskeln in einem Moment wird die Kraftausübung eher im eigenen Körper verwirklicht – was im Anfängerbereich durchaus noch Sinn macht, da wir ja hier noch die Voraussetzungen für kraftvolle Techniken erarbeiten müssen. Auf Dauer sollte ein Karateka aber in der Lage sein, Muskulatur und Gelenke der Reihe nach zu aktivieren mit dem Effekt, dass die Kraft sich über den End- und Trefferpunkt der Körpers (z. B. die Faust) weiterbewegt und tief in den gegnerischen Körper eindringt.  Mit zunehmender Trainingserfahrung muss für einen effektiven Schlag immer weniger Muskelkraft aktiv generiert werden, im Optimalfall kann der Körper so eingesetzt werden, dass ein Großteil der Kraft schon durch eine optimale Gelenkstellung übertragen wird.

Übung basic: Hüft-Rotation im ZK mit Gyaku Tsuki, Fokus auf Kraftaufbau durch Aktivierung der einzelnen Muskelketten und Gelenke von der Ferse über Kniegelenk, Hüfte, Rücken, Schulter, Ellenbogen, Faust

Übung plus: zu zweit zusammen, einer führt Choko Tsuki aus, der andere Partner drückt frontal gegen die Faust des Tsuki – bleibt der Druck bestehen? Im weiteren Verlauf der Übung führt der erste zunächst Uchi Uke aus, streckt dann den Unterarm zum Tsuki. Wieder Kontrolle durch den Partner – Druck nach vorne vorhanden?
Ergebnis sollte sein, dass bei der zweiten Ausführung der Druck wesentlich stärker ist – obwohl keine erhöhte Muskelkraft aufgewandt wurde – es hat sich nur die Gelenkstellung verändert!

IV. Mentales Training
Tatendrang und Entschlossenheit?  Ja, genau! Eine wirksame Karatetechnik muss mit Tatendrang und entschlossen durchgeführt werden, denn „Halbherzigkeit ist der Tod“, wie schon mein erster Sensei Jochen Glaß sagte, dem ich die Basis meines Karatelebens verdanke! Natürlich ist es unumgänglich, neu zu erlernende Techniken oder Technikabfolgen oder Techniken zu Beginn einer neuen Übung mit einem neuen Partner/einer neuen Partnerin umsichtig auszuführen. Andernfalls ist kein Lernerfolg zu erzielen und die Verletzungsgefahr (die eigene und die des Trainingspartners/der Trainingspartnerin) wäre zu groß. Mit Fortschreiten der Übung muss aber die Intensität und Entschlossenheit der Technikausführung maximal gesteigert werden.

Genau so, wie sich die körperliche Kraft durch spezielles Krafttraining üben lässt, so lassen sich auch  Entschlossenheit und Tatendrang trainieren – hierfür ist es unumgänglich, sich mit einem oder mehreren Trainingspartnern immer wieder intensiv in „unbequeme“ und kritische Trainingssituationen zu begeben. Wer immer nur in seinem Wohlfühl-Bereich trainiert, wird diese Entschlossenheit kaum erreichen können.
Zudem lässt sich Entschlossenheit durch mentales Training, durch „Kopfkino“ generieren: Sich reale Selbstverteidigungssituationen vorstellen oder Wettkampfszenen – und dann mehrfach oder regelmäßig im Geiste durchgehen.


Weitere Übungsmöglichkeiten:

Jiyu Ippon Kumite: beim Konter kommt die Faust vor dem Absetzen des Beines (Dynamik)

Kihon Ippon Kumite: Angriff mit Tsuki - Block Te Osae Uke
-       zunächst im ZK, ohne weitere Vorgabe, dann Konter
-       dann Block im KB, Gewicht tief sinken lassen (Bodenkraft)
   
     Wenden auf der Ferse (Bodenkraft) bei  Mawate und großen Wendungen