Karate mit mehr Effektivität
Anlässlich
der Bitte, außerhalb des eigenen Dojos einen Karatekurs unter den Aspekten
„Kraft, Geschwindigkeit und Dynamik“ zu
geben, mache ich mir Gedanken zu diesen Themen. Meine Notizen erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und so und freue ich mich über jedes Feedback!
I. Vorbereitung – muskuläre und
koordinative Voraussetzungen schaffen
Kraft-
und Ausdauertraining sowie Flexibilitätsübungen sollten vor allem im
Anfängerbereich jedes Karatetraining begleiten und umschließen. Hierzu
empfehlen sich neben klassischer Übungen wie Liegestütz, Situps etc.
karatespezifische Bewegungselemente.
Übung: Elemente aus dem Power Pack
Am
Anfang vermutlich eines jeden Karatelebens / Karatetrainings stehen wohl eher
statische, kantige Bewegungen, um den Körper auf Karate vorzubereiten, Kraft zu generieren, Muskeln zu bilden,
die Grund-Ausführung sowie die Endpositionen isolierter Techniken zu
verstehen: „So und so wird ein Tsuki ausgeführt, so ein Age Uke, ein Soto Uke
oder auch ein Zenkutsu Dachi, Kokotsu Dachi etc. Bei uns im Shotokan werden die Karate-Stände, zudem anfangs ziemlich
lang und tief ausgeführt, damit die
Muskulatur gebildet, der Körper vorbereitet wird.
Übung: Tsuki im Heiko Dachi
Übung: Mae Geri im Heisoku Dachi
Anfänger
spannen die Muskulatur im Regelfall bei der Ausführung einer Technik noch
ziemlich lange an – auch dies zur Bildung der Muskulatur und auch zum Schutz
der Gelenke, die bei unkontrolliert ausgeführten Stoß- oder Schnappbewegungen
Schaden nehmen könnten. Mit der Zeit soll es ermöglicht werden, nur ganz kurz
und „auf den Punkt“ zu stoßen, treten, treffen, also den Moment der maximalen
Kraftausübung zu minimieren. Die Trefferwirkung wird so vielleicht weniger
„bombastisch“, aber dafür mehr ex- oder vielmehr „implosiv“.
Durch
das Treffen „auf den Punkt“ mit der maximalen Anspannung in einem kurzen Moment
werden zudem die eigenen Energiereserven geschont: Da der Körper nur kurz die
maximale Kraft aufwenden muss, wird er nicht so schnell erschöpft. Kombiniert
mit der richtigen Atmung kann man länger wehrhaft bleiben, als bei
unkontrolliert und untrainiert andauernd ausgeübter Stärke und Kraft.
Übung: Tsuki im Heiko Dachi – wie vor,
dann schneller, dann schnell und stark
Übung: Mae Geri im Heisoku Dachi – wie
vor, dann schneller, dann schnell und stark
Um
eine Auseinandersetzung mit einem Trainingspartner/einer Trainingspartnerin zu
ermöglichen, Formenläufe zu erlernen, sich im Raum zu bewegen, werden
verschiedene Bewegungsläufe und Schrittfolgen eingeübt. Im Anfängerbereich muss
hier zunächst die Koordination von Armen und Beinen gewährleistet werden. Anschließend
kann am optimalen Einsatz derselben gearbeitet werden. Durch meinen
hochgeschätzten Sensei Risto Kiiskilä weiß ich ja, dass „am Standbein zu
stoppen eine Sünde“ wäre und man z. B. bei der Vorwärtsbewegung im Zenkutsu Dachi
das hintere Bein fließend am (vorderen) Standbein vorbei ziehen muss.
Durch
das Strecken des hinteren Beins erfährt die Technik dann einen Kraft- und
Energieschub nach vorne. Im Folgenden sollte es ermöglicht werden, Knie und
Ellenbogen gleichzeitig zu bewegen, so dass der Arm z. B. nicht erst lange nach
dem Absetzen des Fußes ins Ziel kommt und nur noch der Arm schlägt.
Übung basic: ZK auf drei Zeiten –
fließend am Standbein vorbei
Übung plus: ZK auf drei Zeiten, bei
Zeit drei Fokus auf deutlichen Abdruck vom hinteren Bein
II. Geschwindigkeit generieren
Hierzu
ist es wichtig, die Kraftübertragung zu beschleunigen – die Kraft dadurch vielleicht sogar zu potenzieren. Auch
hierfür müssen Muskulatur und Gelenke gut trainiert sein – es soll ja
gewährleistet sein, dass trotz schneller Bewegung am Ende kurz eine optimale
Anspannung des Körpers gewährleistet ist und dass der eigene Körper keinen Schaden nimmt. Darum ist es wichtig, Bewegungen
zunächst langsam und akkurat auszuführen und erst anschließend schneller zu
werden.
Neben
der eigenen Muskelkraft kann man weitere Energiequellen nutzen, die die eigene
Kraft unterstützen bzw. auch für größere Geschwindigkeit sorgen können:
1. Schwerkraft – die Schwerkraft ist
immer da – sie umgibt uns ständig und kann uns bei der Beschleunigung unserer Karatetechniken unterstützen. Statt uns aktiv durch Aufwendung von
Muskelkraft bewegen zu müssen, können wir versuchen, die Schwerkraft einen Teil
der Aufgabe übernehmen zu lassen.
Übung basic: Aus dem ZK über das
vordere Knie nach vorne „fallen“ und dadurch schneller werden
Übung basic / Alternative: Hammerfaust
mit Partner an der Pratze
Übung: Kriri Kaeshi mit Tsuku im ZK –
dabei Schwerpunkt vorne lassen
Übung plus: Wendung auf dem vorderen
Bein wie in der Kata Gankaku li vor KK mit Gyaku Tsuki um 180 Grad in KB re vor mit
Gedan Barei
2. Bodenkraft - Wenn bei der
Schwerkraft die Kraft genutzt wird, die von oben nach unten fällt, können wir
im zweiten Aspekt, der Bodenkraft, Energie aus dem Boden - also quasi von unten nach oben - schöpfen.
Hierbei ist es jetzt wichtig, dass wir im Kihon gut gearbeitet, den
Körper gut vorbereitet haben. Wer z. B. trainiert hat, die Techniken und Bewegungen mit gutem Fersenkontakt zum Boden auszuüben, hat jetzt Vorteile, da er dadurch ein hohes Kraftpotenzial generieren kann. Durch
guten Bodenkontakt können Techniken
geerdet und stabilisiert werden. Techniken aus dem "Herumhüpfen" im reinen
Sport- oder Wettkampfkarate sehen zwar athletisch aus, ihnen mangelt es aber
meist an Kraft und Effektivität.
Übung basic: Tsuki im Heiko Dachi – erst ohne
Vorgabe, dann mit Fokus auf den Verlauf der Technik: Der Tsuki beginnt in der
Ferse, Kraftverlauf über Fuß- und Kniegelenk, Hüfte, Rücken, Schulter,
Ellenbogen bis in die Faust.
3. Innenspannung bei Tachi Waza: Fortgeschrittene
Karateka sollten darauf achten, bei
Karateständen eine Innenspannung aufzubauen. Dies ist im Anfängerbereich
sehr schwer, vor allem, bei Ständen, bei denen die Knie grundsätzlich eine
Außenausrichtung haben (Kokotsu Dachi, Kiba Dachi). Hier sollte man zunächst
darauf achten, dass die Knie nicht aktiv nach außen gedrückt werden (wie man es
z. B. vor 30 Jahren zuweilen noch vermittelt bekam). Die Knie sollten vielmehr
grade über die Fußspitzen geschoben werden. Auf diese Weise werden auch Bänder
und Gelenke geschont.
Wenn
es den vermutlich eher fortgeschrittenen Karateka gelingt, auch bei diesen
Stellungen zusätzlich durch Muskelkraft und Gelenkstellung eine Innenspannung zu generieren
(selbstverständlich ohne die Knie nach innen fallen zu lassen), dann
komprimiert sich die Kraft aus dem Boden und sorgt für mehr Stabilität und
stärkere Techniken.
Übung basic: Zenkutsu Dachi mit
Hüftdrehung, bei Hüftstellung Shomen werden die Oberschenkel fest zusammen
gezogen. Bei der Hüftrotation darauf achten, dass das beim hinteren Bein der
Oberschenkel ausgedreht ist, während Knie und Unterschenkel die Richtung bei
behalten.
Übung plus: selbe Übung, aber auch bei
Hanmi-Hüftstellung darauf achten, dass zwar die Hüfte ausgedreht, eine
Innenspannung in den Oberschenkeln aber bestehen bleibt
Übung plus / Alternative: Innenspannung
auch bei Kokotsu Dachi und Kiba Dachi
III: Dynamik für explosive Techniken
Dynamik ist laut Wikipedia "eine von Kräften erzeugte Bewegung", "voll innerer Bewegung", "mit schneller Veränderung", "mit Tatendrang, voller Energie, etwas zu vollbringen".
Dynamik ist laut Wikipedia "eine von Kräften erzeugte Bewegung", "voll innerer Bewegung", "mit schneller Veränderung", "mit Tatendrang, voller Energie, etwas zu vollbringen".
Eine Karatetechnik generiert Dynamik demnach durch
Bewegung, Kraft und Geschwindigkeit, gestützt von Entschlossenheit und
unbedingtem Tatendrang. Wenn wir die Dynamik unserer Techniken steigern wollen,
um diese noch effektiver zu machen, müssen wir all diese Komponenten ausbauen.
Während
Anfänger die Kraftübertragung „auf den Punkt“ meist noch so umsetzen, dass sie
versuchen, die Muskulatur möglichst vieler Körperbereiche gleichzeitig
anzuspannen, sollten Fortgeschrittene versuchen, die Muskelketten wie in einem
Domino-Effekt nacheinander zu aktivieren.
Bei
der Anspannung aller Muskeln in einem Moment wird die Kraftausübung eher im
eigenen Körper verwirklicht – was im Anfängerbereich durchaus noch Sinn macht,
da wir ja hier noch die Voraussetzungen für kraftvolle Techniken erarbeiten
müssen. Auf Dauer sollte ein Karateka aber in der Lage sein, Muskulatur und
Gelenke der Reihe nach zu aktivieren mit dem Effekt, dass die Kraft sich über
den End- und Trefferpunkt der Körpers (z. B. die Faust) weiterbewegt und tief
in den gegnerischen Körper eindringt. Mit zunehmender Trainingserfahrung muss für
einen effektiven Schlag immer weniger Muskelkraft aktiv generiert werden, im
Optimalfall kann der Körper so eingesetzt werden, dass ein Großteil der Kraft
schon durch eine optimale Gelenkstellung übertragen wird.
Übung basic: Hüft-Rotation im ZK mit
Gyaku Tsuki, Fokus auf Kraftaufbau durch Aktivierung der einzelnen Muskelketten
und Gelenke von der Ferse über Kniegelenk, Hüfte, Rücken, Schulter, Ellenbogen,
Faust
Übung plus: zu zweit zusammen, einer
führt Choko Tsuki aus, der andere Partner drückt frontal gegen die Faust des
Tsuki – bleibt der Druck bestehen? Im weiteren Verlauf der Übung führt der
erste zunächst Uchi Uke aus, streckt dann den Unterarm zum Tsuki. Wieder
Kontrolle durch den Partner – Druck nach vorne vorhanden?
Ergebnis
sollte sein, dass bei der zweiten Ausführung der Druck wesentlich stärker ist –
obwohl keine erhöhte Muskelkraft aufgewandt wurde – es hat sich nur die
Gelenkstellung verändert!
IV. Mentales Training
Tatendrang
und Entschlossenheit? Ja, genau! Eine
wirksame Karatetechnik muss mit Tatendrang und entschlossen durchgeführt
werden, denn „Halbherzigkeit ist der Tod“, wie schon mein erster Sensei Jochen
Glaß sagte, dem ich die Basis meines Karatelebens verdanke! Natürlich ist es unumgänglich, neu zu erlernende Techniken oder
Technikabfolgen oder Techniken zu Beginn einer neuen Übung mit einem neuen
Partner/einer neuen Partnerin umsichtig auszuführen. Andernfalls ist kein
Lernerfolg zu erzielen und die Verletzungsgefahr (die eigene und die des
Trainingspartners/der Trainingspartnerin) wäre zu groß. Mit Fortschreiten der
Übung muss aber die Intensität und Entschlossenheit der Technikausführung
maximal gesteigert werden.
Genau
so, wie sich die körperliche Kraft durch spezielles Krafttraining üben lässt,
so lassen sich auch Entschlossenheit und Tatendrang trainieren – hierfür
ist es unumgänglich, sich mit einem oder mehreren Trainingspartnern immer
wieder intensiv in „unbequeme“ und kritische Trainingssituationen zu begeben.
Wer immer nur in seinem Wohlfühl-Bereich trainiert, wird diese Entschlossenheit
kaum erreichen können.
Zudem
lässt sich Entschlossenheit durch mentales Training, durch „Kopfkino“
generieren: Sich reale Selbstverteidigungssituationen vorstellen oder
Wettkampfszenen – und dann mehrfach oder regelmäßig im Geiste durchgehen.
Weitere
Übungsmöglichkeiten:
Jiyu
Ippon Kumite: beim Konter kommt die Faust vor dem Absetzen des Beines (Dynamik)
Kihon
Ippon Kumite: Angriff mit Tsuki - Block Te Osae Uke
-
zunächst im ZK, ohne weitere Vorgabe, dann
Konter
-
dann Block im KB, Gewicht tief sinken lassen
(Bodenkraft)
Wenden auf der Ferse (Bodenkraft) bei Mawate und großen Wendungen
Wenden auf der Ferse (Bodenkraft) bei Mawate und großen Wendungen