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Sonntag, 17. Mai 2015

Kata Special Course 2015 in Groß Umstadt

Unser Karateverband hat jährlich zwei ganz große Trainings-Events anzubieten – neben dem Gasshuku, welches regelmäßig Anfang August stattfindet, gibt es mit dem Kata Special Course noch eine Veranstaltung, die sich an dem verlängerten Wochenende um Christi Himmelfahrt herum ausschließlich mit der Trainingsform Kata beschäftigt. Wie auch beim Gasshuku wechseln die Austragungsorte jährlich und stets werden recht malerische Orte oder Orte, die auch für mitreisende Familien einen besonderen Freizeitwert besitzen, ausgesucht. In diesem Jahr war – bereits zum 10. Mal – Groß Umstadt im Odenwald Ort des Geschehens. Natürlich hatten auch Torsten und ich uns im Vorfeld Lehrgangskarten gesichert und eine Unterkunft reserviert. Aus organisatorischen Gründen reisten wir diesmal getrennt an, was sich im Nachhinein als sehr günstig erwies.


Unsere Unterkunft, das Gästehaus Regina, ist – naja, ich würde mal sagen: bedingt zu empfehlen und vor allem für Trainierende mit schmalem Geldbeutel günstig, die auch einen kurzen Weg zu den Trainingshallen wünschen. Ansonsten muss man schon ein Fan skurriler Baukunst und gefliester Schlichtheit sein, die vergeblich versucht, ihren Ausgleich durch recht schrille Wanddekorationen zu suchen. Ganz erstaunlicher Weise gewöhnte ich mich aber doch nach einer Weile an die Unterkunft, die mir zum Abschied beim Bezahlen mit einer recht günstigen Rechnung wie zur Versöhnung die Hand reichte.


Zauberhafte Wanddeko im Gästehaus Regina
Groß Umstadt ist ein nettes Örtchen mit einer umfangreichen Gastronomie – an jeder Ecke gibt es ein Restaurant, ein Eiscafé oder ein Bistro. Langeweile kommt so zwischen den Trainingseinheiten nicht auf und man trifft ja auch alle Nase lang Menschen in Karate-Gis, mit denen man in alten Zeiten schwelgt, oder die man neu kennen lernt.

Nachdem Torsten und ich den ersten Abend bei gutem Essen und einem Glas Wein hatten ausklingen lassen, ging am nächsten Morgen um sehr angenehme 10 Uhr das erste Training für uns los. Nach dem Motto „das Beste kommt zuerst“ hatten wir direkt 90 Minuten Training bei unserem „Chef“, Shihan Ochi. Ich kann nicht sagen, woran es liegt, aber die Trainings bei Ochi Sensei begeistern mich immer mehr! Ich hatte in den vergangenen Wochen mehrfach die Gelegenheit, in seinem Dojo in Bottrop trainieren zu dürfen und konnte auch zwei Einheiten unter seinen Anweisungen beim Instructor-Lehrgang in Bochum genießen. Auch der Lehrgang mit unserem Chief Instructor in Münster war für mich ein spitzenmäßiges Erlebnis und das vor einigen Wochen in Dresden stattfindende Karate-Seminar Takudai (Ochi Sensei mit  Naka Sensei und anderen Großmeistern, die zum Teil schon zu Lebzeiten wahre Karate-Legenden sind!) gehört für mich in die erste Liga der Karate-Events überhaupt. Es sind Trainings mit einem hohen Anspruch an die Konzentration und Koordination – sei es durch eine Abwandlung im klassischen Kumite oder durch neue und längere Kihon-Variationen – manchmal sind es nur Nuancen, die die gewohnten Bewegungsmuster aufbrechen und zu etwas Neuem werden lassen. Es ist immer empfehlenswert, in diesen Trainings besonders gut zuzuhören, sonst kann es schon einmal eine liebevolle Kopfnuss setzen oder es wird einem symbolisch der Schwarze Gürtel abgenommen. Ochi Sensei startete mit einer der höchsten Katas unserer Stilrichtung, der Gojuishiho Scho. Neunzig Minuten lang scheuchte uns der Karate-Großmeister durch die Halle und sorgte für einen fulminanten Start des Karate-Großereignisses!

Auch am Nachmittag wurde die Gruppe ab 2. Dan hinsichtlich der Trainingszeiten verwöhnt: Unsere zweite Einheit begann um 14.30 Uhr und war um 16.00 Uhr beendet, so dass noch genügend Freizeit für Gespräche, Ausflüge oder Entspannung blieb. Am ersten Tag ging es gleich hochkarätig weiter mit Training bei Sensei Toribio Osterkamp und einer meiner Lieblingskatas: Sochin! Sensei Toribio überraschte uns mit abgewandelten Kata-Sequenzen, aus denen heraus er mit uns  eine anspruchsvolle Bunkai-Übung erarbeitete. Ich kann mir vorstellen, dass diese Übung auch mit bis zu fünf Trainierenden funktioniert. Vermutlich wollte Toribio uns das Training aber erleichtern und hat uns die Sequenz daher zu zweit ausführen lassen, wobei jeweils einer den Part des Uke inne hatte, der andere von verschiedenen Seiten aus angreifen musste. Hier wurde mein Kampfgeist geweckt und am Ende hatte ich in meiner Vorstellung all meine Gegner zur Strecke gebracht – auch wenn ich manchmal in der Hitze des Gefechts rechts und links verwechselte oder eine ganz neue Technikvariante einbaute. Natürlich führten wir auch die Kata mehrfach aus und gingen dann glücklich-erschöpft in den Nachmittag.

Der zweite Trainingstag begann dann nicht so schön, da Torsten krankheitsbedingt abreisen musste. Ein Kata Special ohne meinen „Kata-Mann“ konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen – nichts desto Trotz machte ich mich tapfer auf zur ersten Einheit: Nijushiho mit unserem National Coach Sensei Thomas Schulze. Sein Fokus lag – wie auch schon beim Samurai Spirit Seminar in Siegen – auf Techniken mit viel Spannung und tiefer Basis – dies muss nicht zwingend bedeuten, tiefer zu stehen, aber wir sollten eine stabile Mitte haben und viel Kraft aus dem Hara generieren. All dies wurde gepaart mit einer Lockerheit im Oberkörper und heraus kam eine kraftvolle, dynamische und explosive Nijushiho! Ein super Training, ein motivierender Trainer und eine auf diese Art auch für mich schöne Kata. Ein bisschen wehmütig dachte ich zwischendurch daran, wie sehr mit Sicherheit auch Torsten diese Einheit gefallen hätte, da die Nijushiho zu seinen Kata-Favoriten gehört!

Sensei Julian Chees ist immer ein Garant für exquisites Kata-Training! So freute ich mich schon sehr auf seine Einheit am Nachmittag. Es stand die anspruchsvolle Gojushiho Dai auf dem Programm, die, wenn man sie nicht (wie schon einmal bei einem Chees-Lehrgang in Münster geschehen)  „ura“ ausführt, für eine extreme Kräftigung des linken Oberschenkels sorgt. Wir begannen mit der wohl schwierigsten Stellung der Kata: der Wendung im Neko Ashi Dashi. Julian Sensei riet uns, die Wendung aufzuteilen und zunächst den hinteren Fuß zu drehen, um für Stabilität zu sorgen. Es gab zahlreiche weitere Tipps und Basisübungen – aber was wäre ein Kata-Training bei Julian, wenn es nicht auch kniffelige Bunkai-Sequenzen hätte? So übten wir zu dritt und beherzt eine Anlehnung an die Starttechnik der Kata – Backpfeifen inklusive :-) 

Leider wurde das Training gut fünf Minuten vorzeitig abgebrochen, als wir grade mit einer zweiten Bunkai-Übung begonnen hatten, die wir so leider nicht vertiefen konnten: Unser DJKB-Präsident nutzte das Ende der Einheit dazu, dem Ausrichter des Groß-Umstädter-Lehrgangs für seinen Einsatz zu danken und überreichte ihm eine Urkunde. Eine mit Sicherheit verdiente Ehrung, aber meiner Meinung nach hätte diese besser im Rahmen einer Lehrgangsfeier vorgenommen werden können – so wären nicht nur die Trainierenden der Gruppe ab 2. Dan Zeuge der Laudatio geworden und wir hätten noch ein bisschen mehr vom Training bei Julian gehabt.


Den Nachmittag verbrachte ich dann alleine mit einem Mix aus Kultur und Wellness – sprich: Ich holte das nach, was Torsten und ich eigentlich am Vortag gemeinsam hätten unternehmen wollen. Also machte ich mich alleine auf die Suche nach der Ausgrabungsstätte der römischen Villa Haselburg und bestaunte bei herrlichstem Sonnenschein die Relikte aus alten Zeiten. Auf dem Weg dorthin war ich ich bereits eher zufällig auf die Veste Otzberg gestoßen, eine mittelalterliche Burgruine, und konnte auch hier ehrfurchtsvoll durch die alten Gemäuer spazieren. Schließlich hatte ich mir dann eine Erholung in der Odenwaldtherme verdient – eine kleine, aber feine Saunalandschaft im beschaulichen Ort Bad König, in der mich vor allem die vierteilige Aufgussprozedur namens „extra heiß“ kreislaufmäßig vollends forderte.




Burgruine Veste Otzberg 

Römische Villa Hasenburg (Ausgrabungsstätte) 
Gut erholt sprang ich am nächsten Morgen dann bereits um 7 Uhr aus den Federn, um die Einheit bei Shihan Omura um 08.30 Uhr mitzunehmen. Über den charismatischen Nationaltrainer Thailands hatte ich über meine Senseis Michael Jarchau und Andreas Klein schon viel Beeindruckndes gehört und so war ich sehr gespannt auf sein Training der Kata Gankaku! Ich hatte mich zu diesem Zweck der Gruppe bis 1. Kyu angeschlossen.


Nach dem Aufwärmen durch einen jungen Braungurt begann der Shihan direkt mit sehr anspruchsvollen Kihon-Kombinationen, bei denen es ihm vor allem auf den korrekten Hüfteinsatz ankam. Offensichtlich sah er bei uns hier noch einen erhöhten Trainingsbedarf – und er ging vielleicht auch davon aus, dass der Ablauf der Schwarzgurtkata, die das Bild eines Kranichs auf dem Felsen symbolisiert, schon bekannt ist. Jedenfalls verblieb für das eigentliche Kata-Training leider nur eine knappe halbe Stunde.


Omura Sensei auf den Plakat des diesjährigen Kata Special 
Zu Demonstrationszwecken suchte Omura Sensei einen fortgeschrittenen Karateka, der die Kata bereits beherrscht. Seine vortreffliche Wahl fiel auf Jakob Schmidt, der mit einer bewundernswerten Leichtigkeit und Akkuratesse Technik für Technik ausführte und sich dafür einen dicken Applaus verdiente! Das war Karate auf allerhöchstem Niveau und hinterließ einen optimalen Eindruck davon, wie die Kata aussehen kann! Wir anderen versuchten uns dann anschließend an der Ausführung der Kata, die über einige anspruchsvolle Drehungen und Wackelgefahr bergende Einbein-Stände verfügt. Insgesamt hätte sich wohl der Großteil der Gruppe noch eine weitere Vertiefung der Kata gewünscht – manchmal sind 90 Minuten einfach zu kurz – vor allem, wenn man das seltene Vergnügen hat, bei einem der im Ausland lebenden, japanischen Großmeister zu trainieren. Mir persönlich hat es sehr gut gefallen, dass der Shihan den Unterricht auf Englisch und ohne Übersetzung abhielt. So werden unnötige Trainingspausen verhindert und viele Aspekte lassen sich – mal abgesehen davon, dass Englisch den meisten Trainierenden geläufig ist – ja auch durch Zusehen und Nachahmung erkennen und ableiten.

Da ich bereits am späten Samstagnachmittag abreisen musste, hatte ich mir als letzte Einheit und weiteren Höhepunkt eine weitere Einheit in der Gruppe bis 1. Kyu ausgesucht: Chinte bei dem von mir sehr geschätzten Sensei Jean-Pierre Fischer. Der aus Frankreich stammende und heute in Luxemburg lebende Kata-Spezialist ist seit langem einer der Lieblingstrainer von Torsten und mir. Für ihn nahmen wir sogar vor etwa vier Jahren die Strapazen einer langen Autofahrt nach Crosne bei Paris auf uns und wurden dort mit einem erstklassigen Lehrgang bei ihm und seinem langjährigen Trainingspartner Jean-Michel Blanchard belohnt! Jetzt also mein aktueller Kata-Favorit Chinte bei Jean-Pierre – ich war sehr gespannt! Nach dem von Jean-Pierre persönlich ausgeführten Aufwärmtraining begannen wir mit Kihon-Übungen, bei denen der Sensei uns aufforderte, möglichst stabil und tief zu stehen. Vor allem bei Schritt- oder Stand-Wechseln sollten wir den Schwerpunkt auf einer Höhe lassen. Dies brachte natürlich ruckzuck unsere Oberschenkel zum Brennen und sorgte für eine gute Trainingsvorbereitung. Anschließend gab es – viele kannten es schon von dem Wahl-Luxemburger – verschiedene Sequenzen der Kata „auf der Stelle“, also lediglich die Armtechniken und Kicks der Kata aus dem Shizen Tai heraus. Schließlich fügten wir Stände und Techniken zusammen und führten die Kata Stück für Stück aus. Der Sensei ließ es sich nicht nehmen, uns umfassend zu korrigieren und da er meine Vorliebe für die Kata kannte, durfte auch ich vor der Trainingsgruppe eine Sequenz vorführen. Leider stießen die Feinheiten, die ich mir in den letzten Wochen und Monaten für die Chinte angeeignet hatte, bei Jean-Pierre nicht vollumfänglich auf Gegenliebe und so gab es zahlreiche Änderungswünsche, die mich zum Teil irritierten. Ich werde in den nächsten Wochen daran arbeiten, mir hier eine korrekte und zu mir passende Ausführungsversion zu überlegen.


Nachdenklich und etwas weniger euphorisch als zwischen den übrigen Einheiten trat ich den Heimweg an. Die vergangenen Tage waren ein Mix aus Technik und Kampfgeist, Ausführung und Partnertraining, Bekanntem und Neuem, Sicherheit und Zweifel – sechs eindrucksvolle Trainings, nicht immer nur in der eigenen Wohlfühlzone. Ich denke, so muss Karate sein, denn wie sagte mein Sensei Risto einst so schön? „Karate fängt dann an, wenn die Selbstzweifel schneller wachsen, als das Können.“ Oss.