Am 14. und 15.07.2012 fand das "1st Double Impact Shotokan-Karate-Seminar" in Stuttgart statt. Als Trainer waren die Senseis Richard Heselton und Nakayama Takeo angekündigt worden, die bis dato zumindest mir beide nicht bekannt waren. Internet Recherchen klärten bald nicht nur darüber auf, dass die beiden Instructoren Schüler des charismatischen Karatemeisters Naka Tatsuya sind, sondern ließen uns auch darüber staunen, dass Sensei Richard für einen Nichtjapaner so herausragende Leistungen und Wettkampferfolge erbracht hatte, wie es mir bisher nur von Stan Schmidt zu Ohren gekommen war.
Es traf sich in Stuttgart ein hochrangiges Grüppchen von in erster Linie Braun- und Schwarzgurten, die zum Teil sogar noch weiter angereist waren als wir Münsteraner. Die Tatsache, dass rund 50 Teilnehmer weniger trainierten, als erhofft, lag offenbar nicht nur darin begründet, dass die beiden Senseis bisher in Deutschland weitgehend unbekannt waren, sondern auch darin, dass der Lehrgang terminlich etwas zwischen dem Pfingstlehrgang in Berlin mit den Senseis Naka und Kiiskilä und dem Gasshuku in Konstanz eingequetscht war.
Die zeitliche Nähe zum Pfingstlehrgang war allerdings für die Karateka, die auch an diesem teilgenommen hatten, ein echtes Plus. Denn die Handschrift Sensei Nakas war bei dem Lehrgang in Stuttgart unverkennbar.
Sensei Richard Heselton vermittelte die Grundprinzipien der Naka-Linie: Bereits die Aufwärmgymnastik war systematisch so aufgebaut, dass sie über funktionale Kräftigungsübungen und plyometrische Bewegungsmuster optimal auf sein reaktives Karatetraining vorbereitete: Ob wir auf allen Vieren mit unseren Beinen "bouncen" oder wie Spiderman im Vorwärts- oder Rückwärtsgang durch die Halle krabbeln sollten - oder ob unser Muskelapparat durch ungewohnte Halteübungen zu sprengen drohte - es gab bereits hier viele Impulse für das Training daheim und schon beim Aufwärmtraining wurde klar, dass wir ab jetzt nicht mehr "so wie immer" trainieren würden.
Nakayama Sensei vermittelte uns innerhalb kürzester Zeit die kleine "Kihon-Kata", die auch Sensei Naka in Berlin im Gepäck hatte - sehr anspruchsvolles Kihon mit blitzschnellen, explosiven Tsukis und gestochen scharfen Geris!
Das Kihon-Training fand bei beiden Senseis ansonsten zu einem großen Teil auf der Stelle statt: Tsukis im Shizen-Tai in verschiedene Richtungen wie bei Sensei Naka in Berlin oder im Musobi-Dachi (wobei es hierbei schon wesentlich schwieriger war, den Impuls aus der Hüfte kommen zu lassen), Tsukis, die zum Geri gehörten, und anspruchsvolle Wechsel-Kombinationen mit Kizami- und Gyaku-Tsukis, bei denen wir je einen Schritt in Zenkutsu-Dachi vor und schnell wieder zurück in Shizen-Tai gehen sollten - alle Bewegungsmuster waren sehr reaktiv und dynamisch, ohne große Pausen zwischen den einzelnen Techniken, mit möglichst wenig "dead time" zwischendurch. "I want you to learn to use your breath for speed", war ein Leitsatz von Sensei Richard, und da mein Trainingspartner und ich dieses Prinzip schon von vielen Trainings bei Risto Kiiskilä kannten, fiel es uns nicht schwer, z. B. drei Tsukis auf einem Atemzug auszuführen. Es machte richtig Spaß, zu sehen, ob man es schneller schaffte, als der Nachbar! Unterstützen lassen sollten wir uns dabei durch den Schwung der einzelnen Techniken: Das Hikite der einen Technik ist gleichzeitig die Ausholbewegung für die nächste. So schlug und trat man fortwährend um sich, fühlte sich wie ein Perpetuum Mobile und brauchte fast keine Muskelkraft.
Die eigene Atmung als Hilfsmittel nutzen, den Schwung der einen Technik für die nächste und dann noch die naturgegebene Schwerkraft:"Use gravity - it's all around here. And it's free!" Wie schon bei Sensei Naka in Berlin sollten wir versuchen, uns beim Vorwärtsgehen nach vorne fallen zu lassen. Der Körper versucht automatisch, einen Sturz zu verhindern und sich aufzufangen. Die Vorwärtsbewegung wird auf diese Weise erheblich schneller, als ein bewusstes Verlagern des Schwerpunktes und absichtliches Vorwärtsgehen. Dieses - ich nenne es mal: reaktive Schwerkrafttraining führte zu unglaublich schnellen Techniken mit minimalen aber explosiven Kimephasen. Am Ende flog man beinahe durch die Kombinationen und war froh, wenn die Gedanken den Armen und Beinen zeitlich noch folgen konnten!
Dieses für viele von uns neue Karatekonzept - angefangen bei einer vorbereitenden Aufwärmphase, über Grundlagen-Kihon-Training, wurde schließlich auch auf Katas und das Partnertraining übertragen. Allerdings muss ich sagen, dass es vermutlich noch einiger Übung und Verinnerlichung bedarf, bis die grundlegenden Bewegungsabläufe so automatisiert sind, dass sie sich auf alle Karatebereiche übertragen lassen. Einen erheblichen Vorteil haben hierbei alle Karateka, die schon länger weniger statisch und eher dynamisch trainieren - aber obwohl auch ich schon viele Jahre bemüht bin, den eher dynamischen Weg zu gehen, werden noch viele Schweißtropfen den Gi durchdringen, bevor das Konzept komplett umgesetzt werden kann.
Hier noch ein paar Technik-Details:
1. Reaktivkrafttraining: Shizen-Tai, linke Faust nach vorne; zwei Tsukis je 45 Grad nach vorne, erst mit rechts nach links schlagen, dann mit links nach rechts schlagen und zum Schluss mittig - dann mit der anderen Seite starten. Immer Sanbon-Tsukis, aber nicht im Sanbon-Rhythmus (hä-hähä), sondern gleichmäßig und so schnell es geht, möglichst auf einem Atemzug, das Hikite bereits als Ausholbewegung für den nächsten Tsuki ausnutzen (reaktiv), minimale Kimephase, Impuls aus der Hüfte kommen lassen (Naka hatte sogar noch auf einen "double-twist" der Hüfte bestanden, das wurde bei diesem Lehrgang nicht so explizit gefordert). Die "Senior-Grades" sollten schließlich am Ende nach vorne zwei Tsukis ausführen und trotzdem schneller sein als die Farbgurte.
Variante: aus dem Shizen-Tai links und rechts nicht Gyaku-, sondern Kizami-Tsuki (also nach links mit der linken Faust, nach rechts mit der rechten) schlagen, zum Abschluss in die Mitte Tsuki (bei Naka war es hier ein abschließender Kage-Tsuki)
2. Schwerkrafttraining: Aus dem Shizen-Tai links raus in den Kiba-Dachi "fallen", die Schwerkraft ausnutzen, nicht erst runter und dann zur Seite (dadurch hätte man schon wieder Zeit verloren), dabei Tsuki mit rechts, wieder in Shizen-Tai, zur anderen Seite.
Links vor in ZK mit Kizami-Tsuki, zurück, dann rechts
Links vor mit Gyaku-Tsuki rechts, dann zurück, hantei
Links vor mit Gyaku-Tsuki (re), beim Zurückgehen ins Shizen-Tai Kizami-Tsuki mit links, so dass in der Entstellung die Fäuste beide wieder an der Hüfte sind, hantei
Links raus in KB mit Tsuki rechts, von da aus sofort links zurück und mit links Gyaku-Tsuki, dann sofort links vor und Kizami-Tsuki mit links, Shizen-Tai, hantei
Mae-Geri aus Musobi-Dachi
Shizen-Tai, Mae-Geri, vorne absetzen im ZK, hinteres Bein Mae-Geri, vorne absetzen, Kizami Mae-Geri und absetzen im Shizen-Tai
Aus Kamae:
- vor mit Kizami-Tsuk / Gyaku-Tsuki
- sofort danach (ohne "dead time") Gyaku-Tsuki / Kizami (beim Zurückziehen des Beines den Kizami schon wieder an der Hüfte haben, Faust also schneller zurück als das Bein)
- dann den Risto-Shuffle, aber nicht im Halbkreis, sondern vorwärts, wird dann eine Art "Hopserlauf" - eignet sich hervorragend zum Antäuschen und Unterbrechen des Rhythmus) und wieder Kizami oder Gyaku-Tsuki
Diese Übungen hatten wir am Freitagabend bei der inoffiziellen Trainingseinheit mit Richard gemacht. In einer der letzten beidenTrainingseinheit am Sonntag, bei der ich leider nur als Zuschauerin teilnehmen durfte, hat Richard diese Übung noch etwas ausgebaut: Er ist quasi vorwärts gerannt und hat zwischendurch den Gegner direkt Brust an Brust angerempelt, ihm so die Chance zum Konter genommen. Erstaunlicher Weise wirkte selbst das bei ihm nicht unkontrolliert oder rumpelig!
Nakayamas Kihon-Kata
1. rechtes Bein 45 Grad nach hinten raus und Gyaku-tsuki mit rechts, dann im Stand Age-Uke und mit demselben Arm Uraken (Peitsche) und Gyaku-Tsuki. Dann Mae-Geri, hinten absetzen mit Gyaku-Tsuki
2. ZK
rückwärts mit Soto-Uke, Gyaku-Tsuki, mit dem zurückziehen des Gyaku-Tsuki Drehung einleiten (wie Heian Sandan) und absetzen im KB mit Yoko-Uraken Gyaku-Tsuki
3. Vor mit KK und Uchi-Uke (beim KK darauf achten, dass der Schwerpunkt abgesenkt wird (Schwerkraft) und nicht das Gewicht zur Seite geht). Im Vorgehen uchi Uke zum Kizami Tsuki strecken und Absetzen ZK mit Sanbon-Tsuki
4. KK mit Shuto Uke, wendung mit KK und Shuto-Uke, Kizami Mawashi-Geri und Absetzen mit Gyaku-Tsuki
Techniken aneinander gefügt, nach dem Mae-Geri-Gyaku-Tsuki einen Schritt vor mit Oi-Tsuki im ZK dann rückwärts mit Soto-Uke-Gyaku-Tsuki
Partnertraining - Reaktivität (von Nakayama Sensei - bei den Braungurten gesehen)
A steht im Shizen-Tai, B geht rechts zurück mit Gedan-Barai
Angriff vor in ZK mit chudan Tsuki, Block re zurück und mit li Gedan Barai
dann geht A vor mit Tsuki chudan, B zurück mit Block Gedan Barai
Das Ganze zunächst auf zwei Zeiten, später auf eine Zeit, die Pausen minimieren, immer gleich wieder vor nach dem Block
Bei den Schwarzguten mit Richard eine Kumite-Übung, die stark an Ristos Training erinnerte:
Beide voreinander im Kamae, einer bleibt zunächst stehen, der andere verringert die Distanz, indem er mit Suri-Ashi vorrutscht (dabei hinteres/Standbein unter Schwerpunkt ziehen, vorderes Bein nach vorne schieben) und Gyaku-Tsuki. Anders als bei Risto hier aber keine Pause vor dem Tsuki, sondern unmittelbar (keine "dead time", ist klar!) vor.
Jetzt sofort wieder mit dem vorderen Bein abstoßen und 45 Grad nach hinten rechts raus, um sofort wieder von hinten nach vorne zu katapultieren und um die Deckung des Partners herum Kizami- oder Gyaku-Tsuki zu schlagen.
Nakayama-Sensei mit den Black-Belts (eine im Prinzip ganz einfache Übung, aber der Wechsel zwischen den Kumiteformen machts offenbar schwierig)
A re zurück Gedan Barai, B Shizen-Tai, Angriff durch A mit Tsuki Jodan, B geht zurück in ZK mit Age-Uke/Gyaku-Tsuki, dann beide voreinander in Kamae und Jiyu-Ippon-Kumite - B greift jetzt zuerst an mit Tsuki Jodan, A blockt und kontert - de facto ist es im Regelfall beim Kihon-Ipppon-Kumite geblieben...