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Dienstag, 27. Juni 2023

Sicherheit für Ihr Kind - vom Sinn und Unsinn der "Passwort-Regel"

 Warum sich Familien nicht auf die "Passwort-Regel" verlassen sollten ...

In meinem Kurs "Zivilhelden" in Coerde mit Müttern und Kindern ging es unter anderem auch um das Thema "Steig nicht in (fremde) Autos ein". bzw. "Gehe nicht mit (fremden) Personen mit". Hier weiche ich in meinen Kursen vermutlich von einigen populären Methoden ab.

1. Wer ist "fremd"? Fremd ist ganz unbestritten wohl eine Person, die ein Kind noch nie gesehen hat. Als fremd kann man auch Personen bezeichnen, deren Namen man nicht kennt oder die man nur selten sieht. Oder man definiert als fremd alle Personen, die nicht zur Familie gehören. Ich halte auch das für zu ungenau - zumal der größte Teil der Gewalttaten gegen Kinder durch Personen geschieht, die zur Familie oder zum engeren Bekanntenkreis gehören. Ich empfehle hier daher, dass in der Familie klar definiert wird, mit wem ein Kind mitfahren oder mitgehen darf. Dies können "nur Mama und Papa" sein. Oder "auch Oma". Oder vielleicht "Kinderfrau Judith", die das Kind wochentäglich betreut. "Und was ist, wenn das Kind mal mit einem befreundeten Kind im Auto dessen Mutter mitfahren will?" - Dann sollte man das vorher besprechen und für das eine Mal vereinbaren.
2. "Passwort-Regel": Immer wieder lese ich den Ratschlag, dass Eltern mit ihren Kindern ein Passwort vereinbaren sollen: Kommt dann z.B. jemand in die Kita und fordert das Kind auf, mitzukommen oder ins Auto zu steigen, muss das Kind nach dem zwischen ihm und den Eltern vereinbarten "Passwort" fragen. Nur wer das richtige Passwort nennen kann, ist vertrauenswürdig (offenbar egal, ob die Person dem Kind bekannt ist oder nicht) und mit der Person darf und soll das Kind dann mitgehen.
Ich überlege immer wieder, für welchen Fall diese Regelung geeignet ist. Wenn schon beim Wegbringen in die Kita oder Schule klar ist, dass die gewohnte Bezugsperson das Kind nicht selbst abholen kann, dann kann man das bereits zu diesem Zeitpunkt mit Kind und Erzieher*innen / Lehrer*innen besprechen. Sollte es sich um einen Notfall handeln (Mama hatte einen Unfall und ist im Krankenhaus), ist es m.E. zweifelhaft, ob die Mutter noch der abholenden Person das passende Passwort hat sagen können. Und das Kind? Sagt man dem Kind: "Mama hatte einen Unfall und liegt im Krankenhaus", was geht dann wohl in dem Kind vor? Stress und Angst mischen sich zu einem Cocktail, der aller Erfahrung nach das Denken erschwert. Kann sich ein Kind dann noch an die Passwortregel erinnern? Oder an das richtige Passwort? Oder möchte es nur schnell Mama sehen?

Wie oft will man das üben und wiederholen, bis man sicher gehen kann, dass die Regel bei allen Stellen erinnert wird? Wird das Kind auch beim von der Mutter getrennt lebenden Vater nach dem Passwort fragen, wenn er es ohne Absprache von der Kita abholt? Oder beim netten Nachbarn, der das Kind mal "ausnahmsweise" abholen will?
Sollte man die Energie, die in die Passwort-Geschichte aufgewandt wird, nicht besser in andere Strategien investieren, die wirklich wirken? Meiner Meinung nach wiegt diese Idee Eltern und Kinder fälschlicherweise in Sicherheit.
Im Kurs "Zivilhelden" sprach ich dann auch das Thema "Nicht mitgehen/nicht einsteigen" an. Eine Mutter winkte gleich ab: "Ach, da haben wir ja die Passwortregel, nicht wahr (zum Kind)?" Das Kind nickte eifrig. Die Mutter zu den anderen Müttern: "Wenn jemand will, dass meine Tochter mitgeht, fragt meine Tochter nach dem Passwort und nur wenn das richtige Passwort genannt wird, geht sie mit." Tochter nickt wieder. Pause. "Mama?" "Ja?" "Wie ist denn nochmal das Passwort?"


Dienstag, 23. Februar 2021

Selbstverteidigung top down oder bottom up - Teil II

Warum Frauen sich nicht (allein) auf Luisa verlassen sollten...


Ist Luisa hier? Es ist eine einfache Frage, die aber in einer schwierigen Situation helfen soll: Wenn Frauen sich beim Ausgehen sexuell belästigt fühlen. Ist Luisa hier?

Die Idee: Wenn eine Frau bedrängt wird, kann sie sich an die Mitarbeiter wenden und nach der imaginären Luisa fragen. Das Barpersonal soll dann helfen. Ein Taxi rufen, zum Beispiel. Oder an einem ruhigen Ort das weitere Vorgehen besprechen. Diese Idee ist zurückzuführen auf eine Kampagne des Frauennotrufs Münster, die Ende 2016 ins Leben gerufen wurde. Natürlich überlegte ich, ob ich das Luisa-Konzept in meine Eigenschutz-Kurse mit einbeziehen könnte. Ich entschied mich dagegen. Und dies aus folgenden Gründen: 

Die Methode ist für Frauen gedacht, die auf einer öffentlichen Party oder Disco, vielleicht auch beim Stadt-, Schützen- oder Betriebsfest belästigt werden. Dies ist meiner Meinung nach nur ein kleiner Bereich, in dem Frauen Schutz benötigen könnten - ich denke, es macht mehr Sinn, Lösungen anzubieten, die breiter, situationsübergreifend oder sogar grundsätzlich wirksam sind. 

Die Frau müsste in jedem Fall erst einmal die Gelegenheit bekommen, in die Nähe einer Theke zu gelangen, um das Barpersonal anzusprechen. Das wird vermutlich nicht immer möglich sein - vor allem nicht bei größeren Veranstaltungen oder wenn sich z. B. bei einem Stadtfest lange Schlangen an der Getränketheke gebildet haben.

Das Barpersonal muss geschult sein. Laut Seite des Frauennotrufs Münster sind bereits in zahlreichen Städten in Deutschland und auch in der Schweiz einige Lokale an der Aktion beteiligt. Aber was ist, wenn die Frau sich in einem anderen Lokal befindet oder z. B. auf einem Stadtfest? Bei der hohen Fluktuation des Personals im Gastgewerbe ist es vermutlich auch in den teilnehmenden Lokalen nicht immer möglich, ständig alle Personen über die Kampagne zu informieren. Schlimmstenfalls heißt es dann "Luisa? - Nee, kenn ich nicht." 

Oder die Bedienung hinter dem Tresen kennt die Kampagne, hat aber gerade drei Bestellungen zu erledigen und ist bemüht, den Überblick zu behalten - nicht immer kann dann sofort reagiert werden. Hat die Frau dann keine andere Möglichkeit erlernt, sich zu helfen, wäre das eine sehr unglückliche Situation. 

Ist zudem noch Alkohol im Spiel oder empfindet die Frau Angst, so kann dies Stress auslösen und die Abruffähigkeit vermindern, so dass der Frau vielleicht der Name Luisa nicht einfällt. 

Zudem haben ja inzwischen durch die groß angelegte Kampagne auch Männer von dem "Luisa-Code" gehört und das, was ja ursprünglich bezweckt worden war, nämlich, dass eine Frau unbemerkt und quasi auch in Gegenwart des Belästigers durch Nennung des "Codes" um Hilfe bitten kann, kann dann zumindest nicht mehr unbemerkt funktionieren. 

Ich denke daher, dass es sinnvoller ist, Frauen ein breiteres Repertoire für ihren Eigenschutz zur Verfügung zu stellen. Sie sollen in meinen Angeboten lernen,

- ihrer inneren Stimme zu folgen und ihrem Bauchgefühl zu vertrauen, wenn sie sich in Gegenwart eines Mannes (es kann natürlich auch eine Frau sein) nicht wohl fühlen 

- erwünschte Annäherung von Belästigung zu unterscheiden und ihre eigenen Grenzen zu definieren 

- die Fähigkeit zu entwickeln, sich abzugrenzen und in diesem Prozess kreativ zu sein 

- klar zu formulieren, was sie wollen und was sie nicht wollen

- ein sicheres Auftreten zu erlangen durch eine starke Stimme und eine selbstsichere Körperhaltung 

- einen Gefahrenradar zu entwickeln und zu wissen, in welchen Situationen sich welches Maß an Aufmerksamkeit empfiehlt 

- ihr Freizeitverhalten so zu gestalten und ggf. zu planen, dass sie sich weitgehend sicher fühlen (z. B. rechtzeitig zu überlegen, wie sie zu einer Party hinkommen und vor allem: nachts wieder zurück nach Hause)

- intuitive Selbstverteidigungs-Handlungen zu entwickeln

Die "Luisa-Kampagne" ist ganz unbestritten eine gute Gelegenheit, um auf den Umstand der sexuellen Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam zu machen - für den effektiven Eigenschutz ist sie m. E. aber nur sehr begrenzt einsetzbar. Es ist zudem ein "top down"-Konzept und damit sehr Kopf-gesteuert, da die Frauen in einer bestimmten, brenzligen Situation, die möglicherweise mit Angst und Stress behaftet ist, einen bestimmten Satz abrufen sollen. Aus meiner Sicht sollte Eigenschutz möglichst intuitiv und damit "bottom up" - als quasi "aus dem Bauch heraus" erfolgen. 

Ähnlich geht es mir mit dem Konzept aus Kinder-Kursen, bei dem ein "Passwort" zwischen Eltern und Kindern vereinbart werden soll, damit die Kinder nicht mit fremden Personen mitgehen. Die Personen sollten dann durch das Kind nach dem Passwort gefragt werden und nur wenn das richtige Passwort gesagt wird, geht das Kind mit. Ganz ehrlich? - Als Kind hätte ich in einer Situation, in der ich Angst habe, weil mich z. B. ein fremder Erwachsener anspricht, bestimmt nicht an so eine Frage gedacht! Und leider geschehen die meisten Übergriff auf Kinder nicht durch wildfremde Personen - sondern z. B. durch Verwandte, Lehrer*innen, Priester etc. Ich bezweifle, dass hier eine Passwort-Regel funktioniert. Es ist demnach wieder eine "top down"-Regel, die ich für unpraktisch halte. Meine Empfehlung: Das Kind geht grundsätzlich nicht mit fremden Personen mit. Sollte es Ausnahmen geben, müssen diese EINZELFÄLLE im Familienkontext vereinbart werden.