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Mittwoch, 13. Oktober 2021

Traumatherapie und Systemisches Aggressionsmanagement (SAM)

Was hat die Verarbeitung von Traumata mit dem Systemischen Aggressionsmanagement (SAM) zu tun? - Erstaunlich viel! 

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit dem Schutz vor und der Entstehung von Gewalt. Als Karateka, Karatelehrerin und Trainerin für Selbstbehauptung und Selbstverteidigung wurde mir schnell deutlich, dass Eigenschutztraining reduziert auf körperliche Selbstverteidigung sehr eindimensional ist und unter Umständen mehr schaden kann als zu nützen. Im Jahr 2013 - fast zeitgleich mit der Gründung der eigenen Karateschule - sah ich in einer TV-Talkshow den Deeskalationstrainer Ralf Bongartz. Ich kontaktierte ihn und ließ mich durch ihn zur Fachpädagogin für Konfliktkommunikation ausbilden - ein Fachbereich, in dem die körperliche Abwehr hinter deeskalierenden Methoden zurück tritt. Durch Ralf erfuhr ich zum ersten Mal von SAM, dem Systemischen Aggressionsmangement, welches von Dirk Schöwe in Rostock entwickelt und vermittelt wird. SAM beschäftigt sich nicht nur mit dem Schutz vor Aggressionen und Gewalt, sondern vor allem auch mit der Entstehung: Das Modell der "Aggressions-Acht" veranschaulicht quasi "kinderleicht", dass Aggressionen und Gewalt grundsätzlich unerfüllte Bedürfnisse vorangehen. 

Aggressions-Acht nach Dirk Schöwe

Ziel ist es nach SAM, bei sich selbst und bei anderen Personen zu erkennen, an welcher Stelle der "Acht" wir oder andere uns bzw. sich in einer Krisensituation befinden - und zu versuchen, die kritische Hemmschwelle in der Mitte zwischen den beiden Aggressions-Kreisen nicht zu überschreiten. Andererseits ist es ggf. möglich, durch Bewusstmachen des Modells auch aus dem kritischen Kreis (auf der Grafik in rot dargestellt) wieder heraus zu kommen oder unser Gegenüber dort herauszuführen - wenn es möglich ist, die eigenen unter der Wut liegenden Bedürfnisse oder die des Gegenübers zu sehen und zumindest ein stückweit anzuerkennen. Mit diesem Bild lässt sich sehr gut in verschiedenen Kontexten arbeiten - wegen der Anschaulichkeit des Modells sogar - wie schon oben angedeutet - bereits mit Kindern. 

Ein Ziel, mit gewalttätigem Verhalten umzugehen könnte bei der Arbeit mit der "Acht" sein, Aggressionen kontrolliert auszuagieren - z. B. durch das Schlagen gegen Schlagkissen, statt gegen andere Gegenstände oder gegen Personen. Dies kann ggf. für eine kurze Entspannung sorgen und wie eine Art "Aggressions-Blitzableiter" wirken. Es sollte aber nicht ausschließlich beim Ausagieren bleiben - denn wenn die unerfüllten Wünsche und Bedürnisse unter der Wut nicht erkannt werden, können Wut und Aggression immer wieder zu Gewalt führen. 

Aus psychotraumatologischer Sicht ist hier z. B. das Modell von Sabine Lehmann (FifaP) hilfreich: Sabine entwickelte das Modell "vom Fühlhirn und vom Denkhirn" - auch dies ist vor allem bereits bei der Arbeit mit Kindern sehr hilfreich, da schon Kinder im Vorschulalter hier Methoden erlernen, aus dem diffusen Emotionsstrudel, der die akute Gewaltsituation auslösen kann, herauszukommen: Durch ein Stoppen der eskalierten Situation ist es möglich, kurz innezuhalten und der Ursache der aktuellen Wut auf den Grund zu gehen. Wenn dies regelmäßig praktiziert wird, können auf kognitiver Ebene Strategien entwickelt werden, um künftig mit Wut und Aggressionen umzugehen, ohne dass die Hemmschwelle überschritten und Gewalt ausgeübt wird. 

Wer sich mit Selbstverteidigung, Eigenschutz oder Konfliktkommunikation beschäftigt, sollte meiner Meinung nach eine gewisse Vorstellung des Themas Trauma haben. Zum einen weil ein Großteil der Menschen, die Selbstverteidigung erlernen wollen, bereits in der Vergangenheit Gewalt erfahren haben und nun lernen wollen, sich vor neuer Gewalt zu schützen. Es muss daher damit gerechnet werden, dass Menschen im Training getriggert oder gar retraumatisiert werden. Dies erfordert einerseits eine besondere Sensibilität hinsichtlich der Übungen und auf der anderen Seite sollten wir wissen, wie wir  z. B. mit einer/m dissoziierten Teilnehmer/in im Training umgehen können. Auch die Absicht, mit der Personen Selbstverteidigung lernen möchten, kann hellhörig machen: Menschen, die bereits im Unterricht durchblicken lassen, dass sie von dem Wunsch nach Rache oder Heimzahlung angetrieben werden, sollten wir möglichst nicht konventionell unterrichten. 

Ich selber habe mich erstmals im Zusammenhang mit dem Studiengang "Geprüfte/r Trainer*in für Selbstverteidigung" bei Armin Hutter an der ILS-Akademie intensiver mit dem Thema Trauma beschäftigt. Hutter hatte das Thema im Zusammenhang mit den Fight-, Flight-, Freeze-Reaktionen im Rahmen der Selbstverteidigung tiefer beleuchtet. Nachdem mein Interesse daran, das Thema tiefer zu erforschen, geweckt war, absolvierte ich zunächst im Anschluss an den Studiengang eine Ausbildung zur Traumapädagogin/Traumafachberaterin (FifaP). Anschließend erlernte ich die EMDR-Technik zur Traumaverarbeitung und begann an der UTA-Akademie in Köln eine zweijährige Ausbildung in der NARM Traumatherapie. NARM beleuchtet Entwicklungstraumata, die - je nachdem, in welchem Alter die stärksten Belastungen stattfanden - verschiedene Ausprägungen annehmen können. Nach der Betrachtungsweise von NARM besteht ein ganz elementarer Zusammenhang zwischen Wut/Aggressionen und einem tief liegenden Schmerz, einer ganz "alten" und tief liegenden Trauer. Ob Erlebtes hier ins Gewicht fällt, um uns zu prägen, dauerhaft zu belasten und "Glaubenssätze" in uns zu verankern, ist ganz individuell. Ganz unbestritten kann erlebte oder beobachtete familiäre Gewalt, können Missbrauch und Vernachlässigung hier die Saat für Entwicklungstraumata setzen. Manchmal reichen aber auch besondere Lebensumstände (z. B. schwere körperliche oder psychische Krankheit eines Elternteils oder eines anderen Familienmitglieds, ein besonders rigider Erziehungsstil oder der Wunsch der Eltern, das Kind könne stellvertretend für Vater oder Mutter eine Sportskanone, eine Eislaufprinzessin oder ein zweiter Mozart werden) aus, um in unserem Alltag als Erwachsene einen Widerhall zu finden und uns vielleicht ein Leben lang zu belasten. Da wir den Ursprung der Belastungen oft im Unterbewusstsein versteckt haben oder die Erlebnisse zwar noch abrufen - den Zusammenhang zu unseren aktuellen emotionalen Disbalancen aber oft nicht erkennen, können die alten Wunden und Schmerzen im Alltag zum Gefühl unerfüllter Bedürfnisse werden und den Verlauf der Aggressions-Acht in Gang setzen. 

Durch das NARM-Coaching können alte Wunden, versteckter Schmerz, verdeckte Trauer angesehen und aufkommende Wut gehalten werden. Sie muss dann nicht mehr ausagiert werden. Es kann gelingen, die Aggressionen im "grünen" Bereich der Aggressions-Acht zu belassen und frühzeitig aufzulösen. Dies ist meiner Meinung nach ein wichtiger Bestandteil effektiven Eigenschutzes, da durch den NARM-Ansatz die Möglichkeit, sich deeskalierend zu verhalten und in Diskussionen und Auseinandersetzungen nicht auf die "Status-Wippe" zu springen, deutlich verbessert wird. 






Montag, 10. Oktober 2016

Zivilcourage - kann auch schief gehen!

"Nutze Deine Angst - damit die Zivilcourage nicht in die Hose geht!" So hätte der ergänzte Titel des Seminars mit Ralf Bongartz lauten können, das tatsächlich nur unter dem Namen "Nutze Deine Angst" am 08.10.2016 im Fuji San stattfand.

Zivilcourage und Deeskalation waren die Themen des Seminars, zwei Begriffe, die mich seit einigen Jahren beschäftigen. Und unmittelbar eine Woche vor dem Seminar hatte ich selber hautnah ein Erlebnis, in dem ich Zivilcourage zu üben hatte. Leider ging dabei ziemlich viel daneben und darum hatte ich gleich ein Gesprächsthema, als ich Ralf am Abend vor dem Seminar im Hotel abholte und wir uns zu einer Vorbesprechung zum Seminar trafen.

Ich erzählte Ralf, dass ich mich mit meinem Mann auf der Rückreise aus dem späten Sommerurlaub befunden hatte. Unser Flug hatte Verspätung und so waren wir froh, als wir kurz nach Mitternacht endlich im Regionalzug vom Flughafen Düsseldorf nach Münster saßen. Der Zug war schon rappelvoll, aber wir bekamen noch je einen Sitzplatz, unter dem wir unser Gepäck verstauen konnten.

Nach einer Weile stieg ein Mann ein, etwas ungepflegt, schlaksig und vermutlich auch angetrunken oder bekifft - er machte jedenfalls keinen nüchternen Eindruck. Er setzte sich im Winkel von 90 Grad zu mir auf eine Bank neben eine sehr adrette blonde Frau, die er direkt ansprach und nach der Station in Herne fragte. Genau genommen fragte er nur:"Herne?", und die Frau antwortete ihm sehr freundlich, dass es bis Herne noch ein paar Stationen seien. Er fragte noch etwas und die Frau antwortete überaus freundlich, dass sie darauf leider keine Auskunft geben könne. Sie wollte sich dann ihre Ohrstöpsel wieder in die Ohren stecken und augenscheinlich ihre Ruhe haben. Der Mann aber ließ nicht ab! Er textete sie weiter zu und sie schüttelte den Kopf, bat um Abstand und um Ruhe. Daraufhin griff der Mann ihren Arm und hielt sie fest, zog sie ein Stück zu sich ran und versuchte, sie zu streicheln. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! "Fassen Sie die Frau nicht an!", rief ich zu ihm rüber. Ein erstaunter Blick in meine Richtung seitens des Kerls und ein dankbarer aus den Augen der Frau.

Der Mann war sichtlich verärgert, dass ich es gewagt hatte, ihn zu stören und in die Situation einzugreifen. Er wandte sich jetzt mir zu und murmelte mir mit wütendem Blick zum größten Teil unverständliches Zeug entgegen. Jedes zweite Wort war "Assi" oder "Nazi". Das ging bei mir links rein und rechts wieder raus, ließ mich kalt. Gleichwohl hatte ich das Bedürfnis, mich zu behaupten und hielt seinem Blick stand. Er murmelte weiter und weiter aber mich beeindruckte das nicht. Die blonde Frau war inzwischen mit einem gehauchten "Danke" an mir vorbei gezogen und ausgestiegen und eine andere Frau hatte vergeblich versucht, dem Mann klar zu machen, dass grade "Herne" war und er hätte aussteigen müssen. Der Mann bekam davon aber nichts mit und murmelte mir weiter irgendwelche Beleidigungen entgegen. Auch wenn es langsam ermüdend war, hätte ich das vermutlich mit stoischer Ruhe bis Münster weiter ausgehalten. Aber plötzlich geschah etwas total überraschendes: Mein Mann sprang auf und brüllte den anderen Kerl lauthals an:"Jetzt reichts mir aber! Lass meine Frau in Ruhe! Ich hab jetzt aber mal echt die Schnauze voll!" Oder so ähnlich. Der Typ riss den Blick von mir, sprang ebenfalls auf und stierte jetzt meinen Mann an, murmelte jetzt ihm seine Unfreundlichkeiten entgegen. Mein Mann - sonst die Ruhe in Person! - geriet immer mehr in Rage und das übertrug sich auch auf den anderen Kerl, der jetzt begann, seine Jacke auszuziehen und sich auf den "Kampf" einzustellen. Ich ging dazwischen, indem ich versuchte, meinen Mann zu beruhigen, was aber nur mäßig erfolgreich verlief. Zeitgleich kam ein stockbesoffenes Pärchen, das schon mit acht vollen Bierdosen in die Bahn eingestiegen war, auf den anderen Kerl zu, versuchte ihn zu beschwichtigen und bot ihm ein Bier an, um ihn abzulenken. Glücklicherweise gelang das auch. Die drei saßen uns dann gegenüber und nun mussten wir uns von allen drei anhören, wie "Assi" und "Nazi" wir sind bzw. was für beschissene Streitschlichter wir wären! Hä? Nun, ich fands total ungerecht! Aber was willste machen? Immerhin war der Streit soweit geschlichtet und ich hatte jetzt eine Menge Hausaufgaben, indem ich darüber nachdache, wie die gut gemeinte Absicht, einer Frau zu helfen, so eskalieren konnte!

Ich kam zu dem Schluss, dass ich folgendes hätte anders und besser machen können:
- Grundsätzlich war die Idee, den Mann davon abzuhalten, die Frau zu begrapschen ok. Allerdings hätte ich mir vorher von der Frau einen "Auftrag" dafür holen sollen, z. B. mit der Frage: "Entschuldigung, brauchen Sie Hilfe?" Es war zwar für mich augenscheinlich, dass sie die Berührung nicht wollte, aber vielleicht hätte sie sich ja auch selber kurz darauf geäußert. Dadurch, dass ich die Frau angesprochen hätte und nicht den Typen, hätte er ggf. noch die Gelegenheit gehabt, sein Gesicht zu wahren und die Situation wäre nicht so eskaliert.
- Nachdem er mich so auf dem Kieker hatte, mich anstarrte und anmurmelte, hätte ich nicht versuchen sollen, den Blick aufrecht zu halten. Ich hätte auf derselben Augenhöhe woanders hinblicken können oder ich hätte vielleicht mal nicken können und ihm irgendetwas Deeskalierendes zurückmurmeln können, wie: "Hey, ist ja nicht gegen Sie persönlich, aber ich finde es nicht in Ordnung, wenn Sie Frauen anfassen." - Naja, liest sich hier etwas albern, aber in der Situation hätte es vielleicht geholfen.
- Ich hätte auch versuchen können, einen anderen Platz zu finden (war allerdings nicht so einfach, da der Zug recht voll war und ich ja auch noch mein Gepäck dabei hatte) und dem Typen aus dem Weg zu gehen.

Drei gute Ideen, die mir erst im Nachhinein kamen. Wie sagte Coach Ralf so schön, als ich ihm von dem Vorfall erzählte? "Da kann man noch so viele Trainings machen, häufig macht das limbische System in der Realität doch was es will." Denn ich hatte einfach das Gefühl, dass ich mich behaupten müsste, in dem Moment. Dass ich hier hätte deeskalieren können und sollen, kam mir gar nicht in den Sinn, ich war einfach sauer, dass da eine Frau belästigt wurde!

Außerdem hatte mich geärgert, dass sich dann auch noch Unbeteiligte gegen mich stellten und im Nachhinein MICH dann als Blödmann abstempelten, obwohl ich doch helfen wollte. Da war also auch noch eine gehörige Portion gekränkter Eitelkeit mit im Spiel.

Dass mich der Vorfall so ärgerlich machte, ließ mein Coach Ralf nicht gelten: Es mache keinen Sinn, so einen hohen Perfektionismus anzustreben. Letztlich hatte ich mein Ziel erreicht: Die Frau wurde nicht mehr belästigt. Wie andere Personen, die um mich herum stehen, reagieren könnten, konnte ich schlecht voraussehen. Vielleicht muss man das künftig mal mehr mit berücksichtigen, aber letztlich ist ja diesmal zum Glück alles gut gegangen. Durch das Seminar bei Ralf am 08.10.2016 bei uns im Dojo sind mir viele Sachverhalte zu den Themen Zivilcourage und Deeskalation noch einmal bewusst geworden und ich werde mich bemühen, diese weiter zu reflektieren und im Hinterkopf zu halten. All jene Leser, die deeskalatives Verhalten in diesem Fall fehl am Platze finden mögen, bitte ich, sich vorzustellen, wie eine weitere Eskalation in einem Zug-Wagon hätte ausgehen können - und wer möglicherweise von Zeugen hinterher als erster Täter genannt worden wäre (eventuell mein Mann?).

Nun - eine kleine Genugtuung bekam ich am Ende auch noch: Auch das betrunkene Pärchen mit den Bierdosen hatte nach einer Weile (wir waren ja lange schon an "Herne" vorbei!) genug von dem Laberkopp und war entgegen der Fahrrichtung in einen anderen Bereich des Wagons gegangen. Die Abwesenheit der beiden fiel dem Typen aber erst später irgendwann bei einem Halt an einem Dorf-Bahnhof plötzlich auf und er vermutete wohl, dass die beiden grade ausgestiegen waren. Er sprang aus dem Zug und die Türen schlossen sich. Als er seinen Irrtum bemerkte, trommelte er wie wild von außen gegen die Türen, die aber geschlossen blieben. So wird er wohl die Nacht auf dem Bahnhof in - ich glaube es war - Buldern verbracht haben.....

Freitag, 16. Januar 2015

Schmiede das Eisen, solange es kalt ist

Schmiede das Eisen, solange es kalt ist


Seminar "Verhandeln in kritischen Situationen" mit Ralf Bongartz in Itzehoe

Auf Ralf Bongartz bin ich über eine TV-Sendung aufmerksam geworden: Ich habe ihn in einer Talk-Runde mit Günther Jauch im Anschluss an einen Tatort gesehen, bei dem es um einen Überfall in einer U-Bahn-Station ging. http://daserste.ndr.de/guentherjauch/rueckblick/jugendgewalt165.html

Nach langem Suchen fand ich jetzt endlich ein Seminar zum Thema Deeskalation, das Ralf Bongartz leiten sollte: "Verhandeln in kritischen Situationen - Deeskalaktion durch Kommunikation und Körpersprache" hieß das Thema. Und das Seminar fand in Itzehoe statt, etwa 30 km nördlich von Hamburg in der Via Nova Akademie.

Mein Trainings- und Dojo-Partner Torsten Uhlemann entschloss sich kurzer Hand auch zur Teilnahme am Seminar, so dass wir von den insgesamt 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern immerhin zwei Personen waren, die nicht hauptberuflich im pädagogischen oder therapeutischen Bereich arbeiten. Vor Beginn des Seminars sprach uns Ralf Bongartz dann auch recht interessiert an:"Seid Ihr die von der Karateschule?" Es stellte sich dann heraus, dass sein Interesse nicht nur unserem Exoten-Status geschuldet war, sondern nicht zuletzt auch der Tatsache, dass Ralf selber einige Jahre lang im Dojo Troisdorf trainiert hat! Da war das Eis natürlich sofort gebrochen und es war dann auch nicht verwunderlich, dass Begriffe wie Hara und Ki Bestandteil vieler Seminar-Sequenzen waren. Nochmal zurück zur eben erwähnten Metapher "Eis gebrochen" - Ralf Bongartz macht es wohl jedem Seminarteilnehmer leicht, schnell anzukommen und sich auf die Übungen, Methoden und Fragerunden einzulassen - durch seine offene, herzliche, unterhaltsame und absolut authentische Art entstehen keinerlei Berührungsängste. Durch seinen beruflichen Hintergrund (20 Jahre Tätigkeit bei der Polizei als Streife und bei der Kripo) sowie seine langjährige Seminartätigkeit ist seine fachliche Kompetenz vollumfänglich überzeugend. Seine pantomimischen und schauspielerischen Fähigkeiten veranschaulichen Emotionen und Situationen in Sekundenbruchteilen, so dass das Lernen einfach eine Freude ist!

Wir starteten mit Atemübungen, lernten das Hara kennen, dass wir wie eine Kugel, einen kleinen Ball empfinden sollten, der nicht prall mit Luft gefüllt ist, aber über eine "entspannte Festigkeit" verfügt. Ich glaube, so konnten sich auch die Teilnehmer/innen ohne Kampfkunsthintergrund gut vorstellen, wie sich unsere innere Mitte anfühlen sollte. Diese entspannte Festigkeit sollten wir dann möglichst in allen gespielten Stress-Situationen wieder aufrufen, was auch für mich nicht immer einfach war.

Neben den Karate-Elementen gab es noch Übungen mit Prinzipien aus dem Krav Maga und dem Wing Tsun, die aber allesamt auch für Nicht-Kampfkünstler umzusetzen waren. Da Ralf Bongartz auch eine langjährige Feldenkrais-Erfahrung hat, wurden auch Übungen aus diesem Bereich hinzu genommen.

In erster Linie ging es thematisch natürlich um die Reaktionen in Stress-Situationen. Nicht verwunderlich also, dass wir uns nicht immer nur mit Wattebäuschchen beworfen haben, sondern auch handfeste Pöbeleien gespielt wurden, in denen wir den Unterschied erleben konnten, was sich in uns verändert, je nachdem ob wir unserem Partner sagen "Ich find Dich gut" oder ihm entgegenschleudern "Ich find Dich scheiße!".

Wie kann man mit Menschen kommunizieren, die aufgebracht oder emotional erregt sind? Sehr schlecht bis gar nicht - denn:"Schmiede das Eisen, solange es kalt ist," so der Dozent. Bevor wir also über das eigentliche Problem oder Thema reden können, muss die Lage zunächst deeskaliert werden.

Wir lernten im Folgenden mögliche Deeskalatoren kennen, wie z. B. das Rausdrehen der eigenen Körperachse (Füße in T-Stellung), ruhige und nicht zu laute Stimme, Ich-Botschaften, das Spiegeln der Emotionen unseres Gegenübers und nicht zuletzt auch das Bewusstsein und bewusste Einsetzen unseres eigenen Status - wenn man den anderen "von oben herab" behandelt, fürchtet er im Regelfall einen Gesichtsverlust und kann die Situation dann meist nicht ohne weitere Eskalation verlassen.

Besonders interessant - vermutlich auch für die Pädagogen unter uns - war die KEB, die kontrolliert eskalierende Beharrlichkeit. Hier geht es darum, in Situationen angemessen zu reagieren und vor allem geringfügige Regelverstöße (Handynutzung im Unterricht trotz mehrfacher Ermahnung) nicht mit einer übertriebenen Reaktion zu ahnden. Dies alles bedarf allerdings - wir merkten es schon im Seminar - einer intensiven Übung. Aber auch Überreaktionen sind meist nicht irreversibel - meist lassen sie sich durch eine ganz einfache Maßnahme wieder gut machen: durch eine Entschuldigung beim Gegenüber!

Nicht immer verläuft ein Vorgehen in einer KEB wunschgemäß deeskalierend. Am Ende sollte dann für unser Gegenüber die Wahl stehen "Horror oder Happy End"? Hinter dieser sehr anschaulichen Formulierung stehen letztlich zwei Konsequenzen, zwischen denen der Aggressor die Wahl hat. Es geht also nicht mehr um eine Drohung oder Ankündigung: "Wenn Du nicht sofort...dann....!", sondern dem Gegenüber soll vordergründig mehr die Entscheidung überlassen werden, ob er die angekündigte Konsequenz tatsächlich möchte. Durch die Klarstellung "Du hast die Wahl!", kann z. B. der Schüler oder Jugendliche noch ohne einen Gesichtsverlust einlenken.

Dieses Kommunikationskonzept gehört zu den Methoden der so genannten neuen Autorität, bei denen zwar Wert auf Regeleinhaltungen gelegt wird, die Konsequenzen aber wertschätzender durchgesetzt werden, als nach der "alten Schule", also der Autorität, die wir vermutlich alle noch aus Kindertagen und aus der Schule kennen. Letztlich, so Ralf Bongartz, ist diese Art der Erziehung und Menschenführung nicht nur angenehmer für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für Lehrer oder andere Erziehungsberechtigte. Wieviele Pädagogen, die von Burn-Out bedroht sind, könnten hiervon profitieren!

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich das zweitägige Seminar absolut überzeugt hat! Ich werde auf jeden Fall weitere Seminare zu diesem Thema besuchen.