Dienstag, 27. März 2007

Intensiv-Lehrgang mit Risto Kiiskilä Januar 2007

Intensiv-Lehrgang 2007 mit Risto Kiiskilä vom 08.-12.01.2007

Trainieren, worauf es ankommt

Das neue Jahr war kaum geschlüpft, da fand nun schon zum 13. Mal der Intensiv-Lehrgang mit Risto in seinem Dojo in Frankfurt statt. Zum 13. – aber für mich zum ersten Mal! Der Lehrgang war nicht nur intensiv, sondern auch international: Es waren deutsche Teilnehmer u. a. aus Berlin, Kamenz, Rotenburg und Münster angereist und auch Finnen aus Lahti, Oulu und Rovaniemi sowie einige Karateka aus Estland. Demzufolge waren hier wieder einmal nicht nur körperliche sondern auch sprachliche Fertigkeiten gefordert. Da kam man schon einmal ein wenig durcheinander, wen man in welcher Sprache anreden sollte und es wurde hauptsächlich „Finglisch“ gesprochen.

Auch andere dieser rund 40 Karatebegeisterten, die sich größtenteils für diese Woche extra Urlaub genommen hatten, waren wie ich schon am Sonntag vor Lehrgangsbeginn angereist. Es wurde bereits in diversen Gesprächen an diesem Abend klar: Hier wird nur trainiert, worauf es ankommt. Jedoch: Vom Violettgurt bis zum hoch graduierten Danträger – es war ein bunt gemischter Haufen an Wissbegierigen versammelt. Wie soll man da auf einen Punkt bringen, „worauf es ankommt“? Für den einen steht vielleicht die Kata im Vordergrund, der andere möchte beim Kihon etwas dazulernen und der Dritte kann es nicht abwarten, sich im Kumite zu messen. Aber egal, was uns „Bedürftigen“ auch fehlte: Risto hatte für jeden etwas im Angebot. Und wieder Mal hatte er auch jeden im Auge. Es wurde jeder Fehler gesehen, niemand konnte sich verstecken, auch nicht in „Reihe vier“.

Nach ausgiebigem Ausschlafen und Frühstücken bat Risto uns zweimal täglich ins Dojo. Zudem wurde ein eigenständiges Vorwärmen und Dehnen erwartet. Zumeist starteten wir mit Kihon oder mit Kata. Selbst wenn wir das Training einmal mit einer Art Aufwärmübung begonnen hatten, so war dies dennoch kein Aufwärmen im klassischen Sinne, welches sich nach und nach steigert und dann eine angenehme Wärme durch den Körper strömen lässt, der dadurch allmählich wach wird und sich auf die kommenden Übungen zu freuen beginnt. Nein – hier ging es gleich richtig los, so dass wir bereits nach wenigen Minuten „gut durch“ waren und man sich zu fragen begann, wie man den Rest der Einheit durchstehen sollte. Dies war vielleicht zu Beginn der Woche noch eine neue und interessante Herausforderung – je weiter die Tage jedoch durch den Kalender purzelten, desto mehr dachte man schon wieder mit Grauen an die ersten Minuten der kommenden Trainingseinheit, da die geschundenen Gliedmaßen inzwischen merklich schmerzten und auch die ein oder andere Hornhaut sich schon stante pede aus dem Staube gemacht hatte. Aber wahres Karate ist, dieses „Oh nein!“ bei der Willensbildung auszuschalten und einfach weiter zu machen.

Kaum war die Einheit jedoch fortgeschritten, hatte man keine Gelegenheit mehr, daran zu denken, was noch kommen könnte oder wie lange das Training noch dauern mag. Ähnlich dem in dem Buch „Moving Zen“ beschriebenen angestrebten Zustand waren wir alle physisch und mental so voll auf die komplexen Übungen konzentriert, dass für andere Gedanken kein Platz blieb. Selbst wenn der ein oder andere eventuell geneigt gewesen wäre, einen Blick auf die sich an der Wand befindlichen Uhr zu riskieren, so wurde die Sicht doch meist durch das durch den Schweiß verursachte Brennen in den Augen fast unmöglich.

Etwas mehr Beweglichkeit, bitte! Darauf legte Risto wie immer viel Wert. Beweglichkeit ja – aber bitte keine unnötigen Bewegungen, wie z. B. meine redundanten Ausholbewegungen vor dem Gyaku-Tsuki oder bitte kein unnützes Herumrudern mit den Armen bei der Ausführung der Fußtritte oder -feger. Die Beweglichkeit sollte vielmehr in der Hüfte vorhanden sein. Hüfte, was ist das eigentlich? Wer sich von den Teilnehmern jetzt verstohlen an die Körperseite in Höhe der Pobacken fasste, der ging fehl: Die Hüften sitzen laut Risto „in den Oberschenkeln“. Das dort oberhalb ist lediglich der Knochen. Will meinen: Die Hüftdrehung muss ihren Impuls aus den Oberschenkeln bekommen. Ich weiß nicht, wie viele Hüftdrehungen ich in dieser Woche versucht habe. Ich weiß nur, dass meine Hüftknochen an die Grenze ihrer Belastbarkeit gekommen und mir jetzt immer noch gram sind. Sicher ist für mich: Ristos Hüften müssen aus Gummi bestehen! Anders ist diese Beweglichkeit für mich nicht erklärbar!

Regelgerechte Spannung und Entspannung der Muskeln – und zwar beides jeweils im richtigen Moment. Das ist ein weiterer Baustein für präzise Karatetechniken. Nur so kann z. B. der Tsuki auf den Punkt gebracht und kontrolliert werden. Nur so kann das Rückgrat des Gegners anvisiert, der Fauststoß dennoch im letzten Moment gestoppt werden. Nur so werden die Techniken nicht geschoben, sondern gestoßen. Zudem spart es Energie, denn eine permanente Anspannung erschöpft viel mehr als die kurze aber explosive Kraftaufwendung. Schließlich ermöglicht die perfekte Balance aus Spannung und Entspannung auch eine schnellere Ausführung der Techniken, so dass man im Kampf den entscheidenden Sekunden-Bruchteil eher am Gegner ist, als dieser einen hätte treffen können.

i-Tüpfelchen war wieder einmal die exakte Atemtechnik, auf die Risto wie immer genauestens achtete. Wenn die Bewegungen zu langsam waren, lag es möglicher Weise schlicht an der zu langsamen Atmung. U-We war diesmal nicht dabei und auch Ha-Ha-hatten wir diesmal nicht viel zu lachen. Dafür hatten wir im Rhythmus ganzer Symphonien zu atmen, um bei den komplexen Übungen die einzelnen Techniken jeweils richtig zu betonen. Dies animierte gar die verletzungsbedingt auf den Zuschauerrang verwiesenen Lehrgangsteilnehmer dazu, uns mit fiktiven Taktstöcken zu dirigieren.

Schwerpunktverlagerung und Standbein benutzen – hiermit und mit der daraus resultierenden Kraftübertragung wird das Risto-Puzzle komplett. Die Übungspalette war umfangreich. Block und Konter, Vor-Seit-Vor-Bewegungen um den Gegner zu täuschen oder sich ihm fast unbemerkt zu nähern, Suri-Ashi vor, seitlich, zurück - das Rascheln und Rauschen der über die Tatamis wischenden Fußsohlen wurde nur selten von dem draußen tobendem Wintersturm oder dem prasselndem Regen übertönt. Am Ende einer jeden Trainingseinheit hatten wir dann alle die Gelegenheit, zu überprüfen: Hatten wir gemerkt und genug geübt „worauf es ankommt“? Dann hieß es nämlich immer „locker Freikampf“ – und zwar egal, wie müde oder kaputt wir schon waren. Jetzt kam quasi die Stunde der Wahrheit und die Interpretation des Wörtchens „locker“ hat wahrlich eine große Spannbreite! Es war für mich unglaublich faszinierend, wie unterschiedlich meine Gegner waren! Vom finnischen Nationalkadermitglied Mika über die brillanten Athleten aus z. B. Berlin und Kamenz zu einigen nicht weniger motivierten Karate-Veteranen war alles dabei. Mein erklärter Lieblingsgegner war der mir sowohl in Alter als auch Karatepräzision bereits vorausgeeilte Pavo aus Oulu. Kämpften wir miteinander, knisterte die Luft zwischen uns förmlich vor Spannung! So macht Karate Spaß!

Theorie – auch neben den Übungen zur Leibesertüchtigung wurde uns allerhand abverlangt. Und dies nicht nur in den endlos scheinenden nächtlichen Diskussionen über das Für und Wider spezieller Techniken oder der Frage, ob es sich bei der Aufbewahrung von Bier in Plastikflaschen um einen Stilbruch handelte! Nein, dieser Lehrgang beinhaltete auch eine ganz besondere Neuheit: Durch Andreas Förster, Inhaber des Fitnessstudios Inform und Mitglied des Karatevereins Bushido Berlin, wurde uns in einem fünfstündigen Lehrgang der „Fitnessführerschein“ vermittelt. Andreas verfügt als Diplomsportlehrer und langjähriger Danträger über umfangreiches Hintergrundwissen zum Thema Fitness. In diesem Kurs wurden uns erahnte oder fast wieder vergessene Hintergründe bezüglich körperlicher Vorgänge wie Muskelaufbau und Pulsfrequenz vermittelt. Es wurde uns aber auch verdeutlicht, welche unterschiedlichen Trainingsziele beim Fitnesstraining verfolgt und wie diese erreicht werden könnten. Durch die praktische Veranschaulichung einzelner Muskelgruppen anhand von „Modell Claudia“ oder die eindrucksvollen Vorführungen einiger Fitness-Neulinge beim Bankdrücken oder Butterfly wurden die theoretischen Unterweisungen aufgelockert. Ich bin mir sicher, dass der Fitnessführerschein den ein oder anderen zu konsequenterem Fitness- oder Ausdauer-Training neben dem Karate motiviert hat. Jedenfalls fassten sich überraschend viele Lehrgangsteilnehmer schon im Verlauf der folgenden Trainingseinheiten hin und wieder mal an die Schlagader, um den Puls zu messen.

Oh ja, ich gebe es zu: Ich war sehr froh, als ich meine letzte Trainingseinheit unverletzt überstanden hatte. So wurde mir auch wohl nur halb im Scherz bei der Verabschiedung zu meinem ersten überstandenen Intensiv-Lehrgang gratuliert. Andererseits ratterten bei mir bereits auf dem Rückweg im Zug schon die Gedanken, wie ich das, was ich auf dem Lehrgang vermittelt bekommen hatte, wohl in den nächsten Wochen üben werde. Ich werde vermutlich so lange über den heimischen Parkettboden rutschen, bis das in Kürze vorgesehene Abschleifen des Holzes überflüssig geworden sein wird.

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