Januar-Lehrgang in Frankfurt
7.-11. Januar 2008
" Finnischer Tango einmal anders "
Doch von Sentimentalität und Selbsterdroslungsgedanken keine Spur. Eher eine elustre Bande lernwilliger Weißkittel aus dem Hause Tomogara zu Kamenz, dem Chemiepott Halle/Leipsch, den verschneiten finnischen Weiten, ein ganzer Bus aus Rotenburg, Einzelkämpfer aus München, Münster, ein Abkömmling Störtebeckers, sowie 4 Bushido-Bouletten, die sich zum diesjährigen „Kickoff“ im KD- Ippon versammelt hatten. Trainiert wurde 2mal täglich 2 Stunden, wobei die Vorbereitung auf die Danprüfungen am Wochenende einen der Trainingsschwerpunkte bildete. Wer Risto schon etwas länger kennt, der weiß, daß er Grundschule, Kata und Kumite als eine Einheit und aufeinander aufbauend betrachtet, und diese auch bewegungskonform und anwendertauglich unterrichtet. Grundschule für Uraken und Tsukis hieß demzufolge nicht in Tsenkutsu Dachi hoch und runter laufen, sondern Basisarbeit, Bewegungsübungen, Beinarbeit.
Jeder weiß nach etlichen Jahren, wie ein Tsuki aussehen muß, doch wie wende ich ihn an, wie schlage ich aus der Vorwärts- bzw. Rückwärtsbewegung, wie bringe ich die Masse ins Ziel, wo ist mein Ziel und vor allem, wie komme ich von Punkt A nach Punkt B. Alles Fragen, auf die man in dieser Woche eine Antwort bekam. Gewichtsverlagerung, belasten, abdrücken, spannen, entspannen. Klingt so einfach, ist es aber meistens nicht. So durften wir in der „Tanzschule Kiiskilä“ erbarmungslos schwitzen.
Spätestens am 2. Tag hatte jeder eine ungefähre Ahnung, wo der so genannte „Grundschulmuskel“ so vor sich hin kontrahiert. Die Schmerzwahrnehmung wies eindeutig auf einen Bereich im Oberschenkel und das Gesäß hin. Schön, kann man diesen Muskel also doch noch anders sinnvoll nutzen. Kombinationen mit eingesprungenem Uraken oder Mae- bzw. Ushiro Geri verstärkten im Laufe der Tage die schmerzrezeptorische Wahrnehmung. Wiederholt ließ Risto uns partnerweise an der Wand Aufstellung nehmen, um das Auge für den richtigen Abstand und das richtige Timing zu schulen. „Und nun locker drauf und der Partner haut nicht ab!“, wie auch mit dem Rücken an der Wand! Doch dies sollte der natürlichen Bewegungsfreude keinen Abbruch tun. Koordinativ wurden diese Übungen durch einen kleinen Judo-Exkurs aufgelockert. Fußhebel im Liegen, eingesprungene Beinschere oder Überrollen mit Würge aus dem Liegen. Auch hierfür mußte man seinen gesamten Bewegungsapparat effektiv einsetzen und benutzten. Eine gewisse Gewandtheit war auch hier von Nöten, um sich der erdrückenden Kilos des Partners zu erwehren.
Tja, und die abendliche Freizeitgestaltung beschränkte sich dann doch auf die flüssige bzw. feste Nahrungsaufnahme. War auch dringend nötig. Ob Haxe, Schnitzellappen oder Dönerteller als Nachtisch, ein jeder versuchte, die tagsüber verbrannten Kalorien irgendwie zu kompensieren. Auch der Saunaausflug nach Heusenstamm bei Obertshausen muß unbedingt noch als Highlight Erwähnung finden. Daß wir munter und ausgelassen in die dortige Schwitzgesellschaft hineinplatzten fand nicht jeder komisch. Hat halt jeder so seine eigene Vorstellung vom geselligen Beisammensein. Und last but not least, wir haben auch gelernt, daß eines der längsten Wörter der Welt eine schier nicht zu bewältigende Artikulationsherausforderung darstellt.
Wer wissen möchte was Epäjärjestelmällistyttämättömyydellänsäänkäänköhän bedeutet, der sei jetzt schon für das Jahr 2009 recht herzlich eingeladen.
Bis dahin schön trainieren,
Oss der Jürgen.
Anmerkung: Jürgen Mosler, 3. Dan, trainiert und lehrt Kartate im Bushido Berlin.
http://www.bushido-dojo.de/
Freitag, 25. Januar 2008
Samstag, 12. Januar 2008
Hartes Training zum Lockerwerden - Ristos Intensiv-Lehrgang 2008
Als ich heute Morgen aufwachte und es an allen nur erdenklichen Körperteilen mit oder auch ohne grün-bläuliche Färbung zwickte und zog, ließ ich mir einmal durch den Kopf gehen, was der gestern zu Ende gegangene einwöchige Lehrgang bei JKA-Instructor Risto Kiiskilä mir alles gebracht hat. Es war ein echter Gasshuku: eine Woche lang gemeinsam im Dojo wohnen und trainieren. Insgesamt fanden sich rund 35 Karateka ein, um unter Sensei Kiiskiläs Augen die Gis voll zu schwitzen. Es waren wie immer auch einige Finnen dabei, die ich auch schon von vorangegangenen Lehrgängen kannte. Dazu gab es viele bereits recht bekannte Gesichter aus Berlin, Kamenz, Rotenburg und co., aber auch einige "Neulinge" trauten sich, die harten Strapazen dieses Lehrgangs auf sich zu nehmen.
Zum Teil trainierten alle Leistungsgruppen ab Violettgurt zusammen. Die Gruppen wurden zeitweise aber auch getrennt, damit Risto noch intensiver als sonst auf die einzelnen Lehrgangsteilnehmer eingehen konnte. Das ist wohl der Unterschied zu einem "großen" Gasshuku, bei dem sich unzählige Karateka in der Halle tummeln: Bei Risto ist die Gruppe stets überschaubar und man muss jederzeit damit rechnen, seinem geschulten Auge aufzufallen.
Während die Gruppe der Blau- und Braungurte sich zum großen Teil mit einer Prüfungsvorbereitung bis zum Dan beschäftigte, wurden die Schwarzgurte darüber belehrt, was bei ihnen eben noch nicht "meisterlich" war. Hatten mich die vielen Korrekturvorschläge Ristos im vergangenen Jahr noch irritiert und zum Teil auch frustriert, so konnte ich doch jetzt schon wesentlich mehr mit seinen Hinweisen anfangen. Risto sieht nicht nur den Fehler, er kann auch nach einer kurzen Analyse sofort eine genaue und individuelle Verbesserung bewirken.
Karate ist ein Kampfsport und Kampfsport ist ja eine harte Sache und nur für harte Kerls und Mädels - oder? Ein Schwerpunkt dieses Lehrgangs lag allerdings grade darin, unseren Techniken und Bewegungsabläufen das Harte und Starre zu nehmen. Na klar, wir alle wissen, dass der Körper locker bleiben soll und die Technik nur dann effektiv ist, wenn die Anspannung erst im letzten Moment, z. B. mit der Drehung der Faust, erfolgt. Nur haben sich leider bei dem Ein- oder Anderen im Laufe viele Karatejahre doch Bewegungsmuster eingeschlichen, die dieser Theorie nicht entsprechen. Hier läßt nicht nur die Effektivität der Technik zu wünschen übrig, der Körper ist auch viel schneller erschöpft.
Locker bleiben, wie beim Dauerlauf - so sagt es auch mein heimischer Sensei Michael Jarchau stets -, dann kann man quasi "stundenlang" Randori trainieren, ohne richtig aus der Puste zu kommen. In diese Richtung gingen nun auch Ristos Hinweise. Beim lockeren Freikampf "nicht lauern, sondern locker bewegen". Aus der Bewegung heraus kann man dann auch viel unauffälliger eine Technik vorbereiten und den Partner/Gegner überraschen.
Wenn man dies so liest, könnte man sich fragen, was an diesem Lehrgang denn nun so anstrengend, so intensiv war. Nun, zum Einen sicherlich die Tatsache, dass die Trainingseinheiten sich bis zu zweieinhalb Stunden lang hinzogen. Zweimal täglich wurden wir ordentlich gefordert und gefördert. Apropos Förderung: Sah Risto gravierende Unstimmigkeiten bei den Techniken, so musste auch zwischendurch zusätzlich geübt werden. Eine Karatekarin hatte wohl Probleme bei den Ausholbewegungen. Risto erklärte ihr die korrekte Ausführung - und stellte ihr einen erfahreneren Karateka quasi als Trainingspaten zur Seite. Mit diesem übte sie dann eine halbe Stunde vor der nächsten Trainingseinheit. Der Erfolg war frappierend und Risto mehr als zufrieden mit der Entwicklung dieses Braungurt-Mädels.
Anstrengend war aber auch das Training an sich: Beim Partnertraining durften wir dann auch ausgiebig - der Puls lag dann häufig doch über dem beim Dauerlauf - Wechselschritte, Suri-Ashis üben. Mein kleiner persönlicher Erfolg fand sich überraschender Weise beim Ashi-Barai, den ich sonst nie so recht hinbekomme. Ich hatte in dieser Einheit Jukka aus Lahti als Partner, einen hochkarätigen finnischen Karateka, der sich durch viel Karate-Erfahrung und eine ausgesprochene Härte auszeichnet. Tori griff bei dieser Übung an mit Kizami-Tsuki und Gyaku-Tsuki. Uke stand links vor und sollte quasi im Zurückgehen eher springen als gehen und mit dem rechten Fuß das vordere Bein des Angreifers fegen, bevor dies abgesetzt ist. Sowohl Jukka, als auch ich bekamen große Augen, als mir dieser Feger regelmäßig gelang!
Den Ashi-Barai zu üben, das ist regelmäßig mit blauen Flecken an den Schienbeinen verbunden. Vermutlich lag es an der großen Erfahrung und Kontrolle meiner Trainingspartner, denn dieser Körperteil ist erstaunlicher Weise eine der wenigen Körperstellen, die "unversehrt" sind. Ansonsten gab es reichlich "Tuchfühlungen" und Bodychecks! Bei einer Übung ging es z. B. darum, den Mae-Geri zu üben. Hierzu stellte sich der Trainingspartner, der quasi der "Dummy" war, in ca. 2 Meter Abstand vor die Hallenwand. Der Ausführende stand links vor und sollte mit rechts den Fußtritt ausführen. Besonderheit: während des Kicks rutscht der Körper mit Suri-Ashi auf dem Standbein vor, der "Dummy" geht einen Schritt zurück und wird getroffen, wenn er grade wieder festen Boden unter den Füßen hat. Hier hatte man keine Chance, den Tritt zu blocken oder zu mildern! Trainingspartner Alex kickte mich etwa 30 Mal nicht besonders zärtlich gegen die Wand. Aber das meinen Körper durchströmende Adrenalin bewirkte wohl, dass ich die Wucht des Aufpralls nicht spürte und die Schmerzen sich erst nach dem Training einstellten.
Es gab einige Trainingselemente dieser Art, die "Samthandschuhe" konnten also getrost in der Umkleidekabine bleiben. Hinzu kam, dass der Lehrgang zu 80 Prozent aus männlichen Teilnehmern bestand. Es wurde also nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Natürlich wurde auch ausgiebig Kata trainiert. Heian- und Senteikatas und die ausgewählten Prüfungskatas Sochin und Jitte. Es gab eine "reine" Kataeinheit am Dienstagvormittag, die mich persönlich an die Grenzen meiner Belastbarkeit brachte. Risto hatte viele gute Ratschläge für uns, die ich auch zum großen Teil schon einmal von ihm gehört - leider aber auch wieder vergessen hatte. Drehungen und Rückwärtsbewegungen, Ausholbewegungen - es gibt so viele Besonderheiten, an die man stets denken muss!
Kihon und Kata sind zwei wichtige Bestandteile des Karate - aus beidem lassen sich wertvolle Elemente für das Kumite entnehmen. Schwierig nur, jetzt die starren und kantigen Bewegungen in lockere, fließende und doch dynamische und effektive Technicken zu verwandeln, die ihr Ziel nicht verfehlen und den Partner "ausschalten". Eine sehr gute Vorbereitung hierzu ist Ristos Kata Hokkyokuko, eine Halbfreikampfkata mit vielen Suri-Ashis und Wechselsprüngen. Mein finnischer Karatefreund Reijo Kangas hatte mir vor Beginn des Lehrgangs geraten: Fahr nicht hin, wenn Du die Hokkyokuko nicht kannst! Risto wird das von Dir, die so regelmäßig auf seine Lehrgänge geht, erwarten! So versuchte ich einige Tage vor der Karatewoche, mir die Kata vom Ablauf her einzuprägen - und stellte plötzliche einen guten Fortschritt in meinem Kumite fest! Ich war lockerer und mir fielen plötzlich neue Bewegungsabläufe und Technikkombinationen ein, die ich unbewusst dieser Kata entnommen hatte.
Nach einer besonders intensiven Kumiteeinheit am Dienstag Abend fuhr ich dann recht erschöpft aber auch zufrieden mit der Straßenbahn durch die Frankfurter City zur Wohnung meiner Schwester am anderen Stadtrand. Die Fahrt dauert ca. 1 Stunde und die ein- und aussteigenden Leute bildeten ein buntes Bild aller erdenklichen Nationalitäten und sozialen Schichten. Deutsche, Türken, Inder, Russen und viele weitere Nationalitäten prägen das Bild. Und auch vom Banker bis zum Penner ist alles dabei. So ca. auf halber Strecke bemerkte ich einen ungepflegten Mann mittleren Alters, drei Sitze neben mir. In einer Scheibe gegenüber spiegelte sich sein Gesicht, welches zu mir hinüberstarrte. Nun gut, dachte ich, Gucken ist ja nicht verboten. Außerdem bot ich nach dem ausgiebigen und erschöpfenden Karatetraining sicher nicht grade einen verlockenden Anblick! Nach einer Weile hörte ich seine Stimme: "Du: Fechenheim Post, ich habe Dich gesehen!" Da fuhr mir der Schreck durch die Glieder - woher kannte der Typ meine End-Haltestelle! Plötzlich saß er neben mir, säuselte in mein Ohr, wie sehr ich ihm gefiele und dass er eine schöne große Wohnung habe, in die ich gerne mitkommen sollte. Als er mir dann den Arm um die Schulter legen wollte, platzte mir aber der Kragen! Jetzt sei Schluss, wies ich ihn zurecht! Auch das Fotografieren mit seinem Handy wusste ich ihn zu verbieten! Fieberhaft überlegte ich, wie ich, ohne die Situation eskalieren zu lassen, aus dieser Nummer wieder herauskäme! Kurzer Hand sprang ich dann bereits vor Erreichen meiner End-Station noch schnell durch die bereits halb geschlossene Tür der Straßenbahn und entschwand meinem "Verehrer" durch dunkle Umwege. Puh, das war ja nochmal gut gegangen! Als ich Risto und den Karatefreunden am nächsten Tag von dieser Begebenheit berichtete, kamen natürlich viele dumme Sprüche, wie: "Bring ihn doch nächstes Mal mit hierher, in Deine Wohnung!" Oder: "Zeig ihm nächstes Mal ein Foto von uns und sag, dass Du gleich Deine Freunde holst." Risto aber reagierte sehr spontan und fürsorglich: Zum Aufwärmen und auch zum Ende der nächsten Einheit gab es ein ausgezeichnetes Selbstverteidigungstraining, bei dem ich mit meinem Trainingspartner Alex aus Berlin die letzten Kraftreserven mobilisieren musste!
In den Trainingspausen wurde individuell enstpannt, sei es auf dem Dojo-Sofa oder per Luftmatratze im grade nicht genutzten Dojo. Andere unternahmen einen City-Bummel oder gingen Essen. Am Donnerstag hatte Risto einen Besuch in einer Sauna-Schwimmlandschaft in Obertshausen (oder war es Heusenstamm?) organisiert. Hier wurde in einigen Saunen zu bestimmten Zeiten ein Aufguss durch das Personal "zelebriert". Zwar sind mir Aufgüsse dieser Art auch aus der Münsteraner Saunalandschaft vertraut, was hier geboten wurde, konnte allerdings bereits als weit überzogen und lächerlich bezeichnet werden. Wir alle waren uns einig, dass die während des Aufgusses verordnete Schweigepflicht mehr als albern war und setzten uns auch häufig kichernd darüber hinweg. Risto klärte uns dann auch auf: "Wisst ihr, was Aufguss-Meister auf finnisch heißt? - Kasper!"
Dann hieß es am Freitag Mittag für die meisten Abschied nehmen. Nur zwei ganz unentwegte Lehrgangsteilnehmer beschlossen, noch am Lehrgang von Shihan-Ochi in Obertshausen am anschließenden Wochenende teilzunehmen und dort ihre Dan-Prüfungen abzulegen. Für alle anderen heißt es wohl jetzt, die vielen Tipps und Ratschläge Ristos in das alltägliche Dojotraining einfließen zu lassen und sich so ein wenig davon anzueignen.
Mir hat der Lehrgang auf jeden Fall wieder ein paar zusätzliche Teile zu meinem ganz persönlichen Karate-Puzzle beschert. Viele Bewegungsabläufe und Zusammenhänge erschließen sich mehr und mehr. Hoffentlich bleiben diese Fortschritte auch noch, wenn die blauen Flecken schon der Vergangenheit angehören.
Zum Teil trainierten alle Leistungsgruppen ab Violettgurt zusammen. Die Gruppen wurden zeitweise aber auch getrennt, damit Risto noch intensiver als sonst auf die einzelnen Lehrgangsteilnehmer eingehen konnte. Das ist wohl der Unterschied zu einem "großen" Gasshuku, bei dem sich unzählige Karateka in der Halle tummeln: Bei Risto ist die Gruppe stets überschaubar und man muss jederzeit damit rechnen, seinem geschulten Auge aufzufallen.
Während die Gruppe der Blau- und Braungurte sich zum großen Teil mit einer Prüfungsvorbereitung bis zum Dan beschäftigte, wurden die Schwarzgurte darüber belehrt, was bei ihnen eben noch nicht "meisterlich" war. Hatten mich die vielen Korrekturvorschläge Ristos im vergangenen Jahr noch irritiert und zum Teil auch frustriert, so konnte ich doch jetzt schon wesentlich mehr mit seinen Hinweisen anfangen. Risto sieht nicht nur den Fehler, er kann auch nach einer kurzen Analyse sofort eine genaue und individuelle Verbesserung bewirken.
Karate ist ein Kampfsport und Kampfsport ist ja eine harte Sache und nur für harte Kerls und Mädels - oder? Ein Schwerpunkt dieses Lehrgangs lag allerdings grade darin, unseren Techniken und Bewegungsabläufen das Harte und Starre zu nehmen. Na klar, wir alle wissen, dass der Körper locker bleiben soll und die Technik nur dann effektiv ist, wenn die Anspannung erst im letzten Moment, z. B. mit der Drehung der Faust, erfolgt. Nur haben sich leider bei dem Ein- oder Anderen im Laufe viele Karatejahre doch Bewegungsmuster eingeschlichen, die dieser Theorie nicht entsprechen. Hier läßt nicht nur die Effektivität der Technik zu wünschen übrig, der Körper ist auch viel schneller erschöpft.
Locker bleiben, wie beim Dauerlauf - so sagt es auch mein heimischer Sensei Michael Jarchau stets -, dann kann man quasi "stundenlang" Randori trainieren, ohne richtig aus der Puste zu kommen. In diese Richtung gingen nun auch Ristos Hinweise. Beim lockeren Freikampf "nicht lauern, sondern locker bewegen". Aus der Bewegung heraus kann man dann auch viel unauffälliger eine Technik vorbereiten und den Partner/Gegner überraschen.
Wenn man dies so liest, könnte man sich fragen, was an diesem Lehrgang denn nun so anstrengend, so intensiv war. Nun, zum Einen sicherlich die Tatsache, dass die Trainingseinheiten sich bis zu zweieinhalb Stunden lang hinzogen. Zweimal täglich wurden wir ordentlich gefordert und gefördert. Apropos Förderung: Sah Risto gravierende Unstimmigkeiten bei den Techniken, so musste auch zwischendurch zusätzlich geübt werden. Eine Karatekarin hatte wohl Probleme bei den Ausholbewegungen. Risto erklärte ihr die korrekte Ausführung - und stellte ihr einen erfahreneren Karateka quasi als Trainingspaten zur Seite. Mit diesem übte sie dann eine halbe Stunde vor der nächsten Trainingseinheit. Der Erfolg war frappierend und Risto mehr als zufrieden mit der Entwicklung dieses Braungurt-Mädels.
Anstrengend war aber auch das Training an sich: Beim Partnertraining durften wir dann auch ausgiebig - der Puls lag dann häufig doch über dem beim Dauerlauf - Wechselschritte, Suri-Ashis üben. Mein kleiner persönlicher Erfolg fand sich überraschender Weise beim Ashi-Barai, den ich sonst nie so recht hinbekomme. Ich hatte in dieser Einheit Jukka aus Lahti als Partner, einen hochkarätigen finnischen Karateka, der sich durch viel Karate-Erfahrung und eine ausgesprochene Härte auszeichnet. Tori griff bei dieser Übung an mit Kizami-Tsuki und Gyaku-Tsuki. Uke stand links vor und sollte quasi im Zurückgehen eher springen als gehen und mit dem rechten Fuß das vordere Bein des Angreifers fegen, bevor dies abgesetzt ist. Sowohl Jukka, als auch ich bekamen große Augen, als mir dieser Feger regelmäßig gelang!
Den Ashi-Barai zu üben, das ist regelmäßig mit blauen Flecken an den Schienbeinen verbunden. Vermutlich lag es an der großen Erfahrung und Kontrolle meiner Trainingspartner, denn dieser Körperteil ist erstaunlicher Weise eine der wenigen Körperstellen, die "unversehrt" sind. Ansonsten gab es reichlich "Tuchfühlungen" und Bodychecks! Bei einer Übung ging es z. B. darum, den Mae-Geri zu üben. Hierzu stellte sich der Trainingspartner, der quasi der "Dummy" war, in ca. 2 Meter Abstand vor die Hallenwand. Der Ausführende stand links vor und sollte mit rechts den Fußtritt ausführen. Besonderheit: während des Kicks rutscht der Körper mit Suri-Ashi auf dem Standbein vor, der "Dummy" geht einen Schritt zurück und wird getroffen, wenn er grade wieder festen Boden unter den Füßen hat. Hier hatte man keine Chance, den Tritt zu blocken oder zu mildern! Trainingspartner Alex kickte mich etwa 30 Mal nicht besonders zärtlich gegen die Wand. Aber das meinen Körper durchströmende Adrenalin bewirkte wohl, dass ich die Wucht des Aufpralls nicht spürte und die Schmerzen sich erst nach dem Training einstellten.
Es gab einige Trainingselemente dieser Art, die "Samthandschuhe" konnten also getrost in der Umkleidekabine bleiben. Hinzu kam, dass der Lehrgang zu 80 Prozent aus männlichen Teilnehmern bestand. Es wurde also nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Natürlich wurde auch ausgiebig Kata trainiert. Heian- und Senteikatas und die ausgewählten Prüfungskatas Sochin und Jitte. Es gab eine "reine" Kataeinheit am Dienstagvormittag, die mich persönlich an die Grenzen meiner Belastbarkeit brachte. Risto hatte viele gute Ratschläge für uns, die ich auch zum großen Teil schon einmal von ihm gehört - leider aber auch wieder vergessen hatte. Drehungen und Rückwärtsbewegungen, Ausholbewegungen - es gibt so viele Besonderheiten, an die man stets denken muss!
Kihon und Kata sind zwei wichtige Bestandteile des Karate - aus beidem lassen sich wertvolle Elemente für das Kumite entnehmen. Schwierig nur, jetzt die starren und kantigen Bewegungen in lockere, fließende und doch dynamische und effektive Technicken zu verwandeln, die ihr Ziel nicht verfehlen und den Partner "ausschalten". Eine sehr gute Vorbereitung hierzu ist Ristos Kata Hokkyokuko, eine Halbfreikampfkata mit vielen Suri-Ashis und Wechselsprüngen. Mein finnischer Karatefreund Reijo Kangas hatte mir vor Beginn des Lehrgangs geraten: Fahr nicht hin, wenn Du die Hokkyokuko nicht kannst! Risto wird das von Dir, die so regelmäßig auf seine Lehrgänge geht, erwarten! So versuchte ich einige Tage vor der Karatewoche, mir die Kata vom Ablauf her einzuprägen - und stellte plötzliche einen guten Fortschritt in meinem Kumite fest! Ich war lockerer und mir fielen plötzlich neue Bewegungsabläufe und Technikkombinationen ein, die ich unbewusst dieser Kata entnommen hatte.
Nach einer besonders intensiven Kumiteeinheit am Dienstag Abend fuhr ich dann recht erschöpft aber auch zufrieden mit der Straßenbahn durch die Frankfurter City zur Wohnung meiner Schwester am anderen Stadtrand. Die Fahrt dauert ca. 1 Stunde und die ein- und aussteigenden Leute bildeten ein buntes Bild aller erdenklichen Nationalitäten und sozialen Schichten. Deutsche, Türken, Inder, Russen und viele weitere Nationalitäten prägen das Bild. Und auch vom Banker bis zum Penner ist alles dabei. So ca. auf halber Strecke bemerkte ich einen ungepflegten Mann mittleren Alters, drei Sitze neben mir. In einer Scheibe gegenüber spiegelte sich sein Gesicht, welches zu mir hinüberstarrte. Nun gut, dachte ich, Gucken ist ja nicht verboten. Außerdem bot ich nach dem ausgiebigen und erschöpfenden Karatetraining sicher nicht grade einen verlockenden Anblick! Nach einer Weile hörte ich seine Stimme: "Du: Fechenheim Post, ich habe Dich gesehen!" Da fuhr mir der Schreck durch die Glieder - woher kannte der Typ meine End-Haltestelle! Plötzlich saß er neben mir, säuselte in mein Ohr, wie sehr ich ihm gefiele und dass er eine schöne große Wohnung habe, in die ich gerne mitkommen sollte. Als er mir dann den Arm um die Schulter legen wollte, platzte mir aber der Kragen! Jetzt sei Schluss, wies ich ihn zurecht! Auch das Fotografieren mit seinem Handy wusste ich ihn zu verbieten! Fieberhaft überlegte ich, wie ich, ohne die Situation eskalieren zu lassen, aus dieser Nummer wieder herauskäme! Kurzer Hand sprang ich dann bereits vor Erreichen meiner End-Station noch schnell durch die bereits halb geschlossene Tür der Straßenbahn und entschwand meinem "Verehrer" durch dunkle Umwege. Puh, das war ja nochmal gut gegangen! Als ich Risto und den Karatefreunden am nächsten Tag von dieser Begebenheit berichtete, kamen natürlich viele dumme Sprüche, wie: "Bring ihn doch nächstes Mal mit hierher, in Deine Wohnung!" Oder: "Zeig ihm nächstes Mal ein Foto von uns und sag, dass Du gleich Deine Freunde holst." Risto aber reagierte sehr spontan und fürsorglich: Zum Aufwärmen und auch zum Ende der nächsten Einheit gab es ein ausgezeichnetes Selbstverteidigungstraining, bei dem ich mit meinem Trainingspartner Alex aus Berlin die letzten Kraftreserven mobilisieren musste!
In den Trainingspausen wurde individuell enstpannt, sei es auf dem Dojo-Sofa oder per Luftmatratze im grade nicht genutzten Dojo. Andere unternahmen einen City-Bummel oder gingen Essen. Am Donnerstag hatte Risto einen Besuch in einer Sauna-Schwimmlandschaft in Obertshausen (oder war es Heusenstamm?) organisiert. Hier wurde in einigen Saunen zu bestimmten Zeiten ein Aufguss durch das Personal "zelebriert". Zwar sind mir Aufgüsse dieser Art auch aus der Münsteraner Saunalandschaft vertraut, was hier geboten wurde, konnte allerdings bereits als weit überzogen und lächerlich bezeichnet werden. Wir alle waren uns einig, dass die während des Aufgusses verordnete Schweigepflicht mehr als albern war und setzten uns auch häufig kichernd darüber hinweg. Risto klärte uns dann auch auf: "Wisst ihr, was Aufguss-Meister auf finnisch heißt? - Kasper!"
Dann hieß es am Freitag Mittag für die meisten Abschied nehmen. Nur zwei ganz unentwegte Lehrgangsteilnehmer beschlossen, noch am Lehrgang von Shihan-Ochi in Obertshausen am anschließenden Wochenende teilzunehmen und dort ihre Dan-Prüfungen abzulegen. Für alle anderen heißt es wohl jetzt, die vielen Tipps und Ratschläge Ristos in das alltägliche Dojotraining einfließen zu lassen und sich so ein wenig davon anzueignen.
Mir hat der Lehrgang auf jeden Fall wieder ein paar zusätzliche Teile zu meinem ganz persönlichen Karate-Puzzle beschert. Viele Bewegungsabläufe und Zusammenhänge erschließen sich mehr und mehr. Hoffentlich bleiben diese Fortschritte auch noch, wenn die blauen Flecken schon der Vergangenheit angehören.
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