Am ersten Novemberwochenende 2014 richtete das Dojo Halle / Westfalen einen der in dieser Region äußerst seltenen Lehrgänge mit Sensei Iain Abernethy aus. Ich hätte jetzt fast gesagt, Iain sei Schotte, aber er stammt aus dem District Cumbria, kurz vor der schottischen Grenze. Sein Akzent ist für meine Begriffe allerdings schon arg schottisch geprägt, was das Verständnis seiner umfassenden Vorträge zuweilen etwas schwierig gestaltete. Er selbst meinte schmunzelnd am Ende des Lehrgangs, dass wir viel geleistet hätten - zunächst hätten wir seine Vorträge ins Englische und dann ins Deutsche zu übertragen gehabt ;-) Iain trägt den 6. Dan der World Combat Association und der British Combat Association sowie dem Britischen Karate Verband. Sein Alter habe ich nirgends gefunden - ich schätze ihn auf Anfang, Mitte vierzig.
Obgleich Iain seine Wurzeln im Karate hat, sind seine Seminare für meine Begriffe recht stiloffen. Bei dem Lehrgang, den der Verein aus Halle ausgerichtet hat, trainierten z. B. Karateka aller Graduierungen gemeinsam - es wurden daher keine graduierungsspezifischen Kenntnisse voraus gesetzt. Obgleich das Thema am Samstag schwerpunktmäßig die Kata Naihanchi (Tekki Shodan) war, führten wir die Kata nicht einmal "am Stück" aus, sondern beschäftigten uns ausschließlich mit den Anwendungen. Iain machte jeweils Etappen der Kata vor und zeigte dann seine Interpretation. Diese waren ausschließlich Nahkampf-orientiert. Wer auf diesem Lehrgang klassische Kihon-Techniken erwartet hat (z. B. Bunkai Sequenzen, bei denen der Angreifer aus dem Zenkutsu Dachi heraus mit Oi Tsuki angreift), der wurde enttäuscht - oder wäre zumindest verwirrt gewesen: Es gab überhaupt keine klassischen bzw. klassisch-tiefen Karatestände, und auch auf das traditionelle An- und Abgrüßen im Zeisa wurde verzichtet, was mir sehr entgegen kam, da der Lehrgang so sehr knieschonend war :-)
Auch sonst lag der Lehrgang ganz auf meiner aktuellen Linie des angewandten und Selbstverteidigungs-orientierten Karatetrainings: Wie auch am vergangenen Wochenende in Olpe so gab es jetzt viele Clinches, Drills und ausschließlich Nahkampf-Kombinationen - viele Empis und Schläge mit der offnen Hand, aber auch zahlreiche Hebel (joint locks) und Drills, die nicht ganz so simpel und effektiv waren wir die Übungen beim Street Combative Seminar in Olpe.
Der Lehrgang schien mir zu Beginn fast enttäuschend wenig schweißtreibend! Mein Partner des ersten Tages (ein netter Frank aus Minden) und ich kamen erst in der zweiten Trainingseinheit am Nachmittag ein Bisschen auf Touren. Und die Betonung liegt auf "ein Bisschen" - den Gi konnte ich tatsächlich am zweiten Trainingstag wieder anziehen. Gleichwohl war es ein sehr anstrengender erster Trainingstag - denn wir trainierten (mit Pausen) von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Irgendwann war einfach meine Festplatte voll und ich merkte, wie in den letzten beiden Einheiten meine Konzentration nachließ und gegen Ende sogar mein Trainingswille. Dass es schon ganz gut zur Sache ging, merkte ich vor allem an der Tatsache, dass Muskelkater und blaue Flecke auch bei diesem Lehrgang inklusive waren.
Die Anwendungen zur Tekki überzeugten mich vollumfänglich. Als der Sensei dann Wunsch-Katas der Teilnehmer aufgriff (Gojoshiho Sho und - für mich - Chinte), war ich allerdings ein bisschen enttäuscht. Als ich die Chinte erwähnte, schien ich den Sensei fast ein bisschen in Verlegenheit zu bringen, als hätte er sich bisher noch nicht so intensiv mit dieser Kata beschäftigt. Er ging dann auch nur auf die drei Sprünge rückwärts am Ende ein (trug hierzu aber eine herrlich brutale Anwendung vor). Nicht viel anfangen konnte ich mit seinen etwas umfassenderen Anwendungsvorschlägen zur Gojoshiho Scho, bei der ich manches Mal intuitiv aus der Situation heraus etwas ganz anderes gemacht hätte.
Am Sonntag wurde nur vier Stunden trainiert. Von den 150 Trainierenden am Vortag waren nur noch 40 übrig geblieben. Dies mag damit zusammen gehangen haben, dass am ersten Tag das Training (wegen des Feiertags Allerheiligen in NRW) nach Niedersachsen und zwar ins beschaulicher Hilter / Wellendorf bei Osnabrück verlegt werden musste. Am zweiten Tag fand es dann tatsächlich in Halle statt. Am zweiten Trainingstag wiederholten wir Sequenzen vom Vortag, ohne noch einmal in die Tiefe gehen zu müssen. Ich hatte jetzt einen DKV-ler aus Willich als Partner, der sehr Bunkai-erfahren war und mit dem ich ebenfalls viel Spaß hatte :-) Nach Tekki Shodan gab es am Sonntag noch Sequenzen aus der Tekki Nidan und einige Wurftechniken sowie einige Drills zum "Aufwärmen".
Schön waren für mich die Karate-Geschichten, die Iain zwischendurch erklärte und auch viele der Grundsätze und Prinzipien, die er vermittelte. Er differenzierte immer gerne zwischen "Martial Arts", "Fights" und "Self Defense" und stellte mehrfach die Unterschiede heraus (Kampfkunst ist detailverliebt und man trainiert es aus Spaß und Freude, Freikampf ist sportlich, taktisch und "jeder ist mal dran" und bei der SV muss alles schnell geschehen, es muss simpel sein, sollte nur einen Aktiven geben (nämlich den Verteidiger) und es gibt nur ein Prinzip:"Down - Him - Now!" Sehr schön waren dann so kleine Details wie die Tatsache, dass man beim SV-Training dem Trainingspartner nach einer Bodensequenz nicht aufhelfen sollte - das könne sich so einschleifen, dass man es im Ernstfall aus Versehen auch macht ;-)
Durch unseren Trainer Andreas Klein haben wir in der Karateschule Fuji San Münster sicherlich schon einen sehr guten Zugang zu dieser Art der Kata-Interpretation, da Andi auch die Brücke vom traditionellen Bunkai zur SV schlägt. Alles in allem hat mir der Lehrgang mit Iain sehr gut gefallen und ich werde mich sicherlich mit der Art, wie Iain an Katas heran geht weiter beschäftigen.
SV-Warmup:
- Versuchen, an den Gürtelenden zu ziehen (Symbol für die Weichteile). Jeder Treffer ein Punkt.
- Gegenseitig "umarmen" - ein Arm auf Höhe der Schulter, ein Arm unter dem Arm des anderen. Versuchen, hinter den anderen zu gelangen und ihn mit beiden Armen von hinten zu umfassen.
Sonntag, 2. November 2014
Bunkai Drills mit Iain Abernethy
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