Schmiede das Eisen, solange es kalt ist
Seminar "Verhandeln in kritischen Situationen" mit Ralf Bongartz in Itzehoe
Auf Ralf Bongartz bin ich über eine TV-Sendung aufmerksam geworden: Ich habe ihn in einer Talk-Runde mit Günther Jauch im Anschluss an einen Tatort gesehen, bei dem es um einen Überfall in einer U-Bahn-Station ging. http://daserste.ndr.de/guentherjauch/rueckblick/jugendgewalt165.html
Nach langem Suchen fand ich jetzt endlich ein Seminar zum Thema Deeskalation, das Ralf Bongartz leiten sollte: "Verhandeln in kritischen Situationen - Deeskalaktion durch Kommunikation und Körpersprache" hieß das Thema. Und das Seminar fand in Itzehoe statt, etwa 30 km nördlich von Hamburg in der Via Nova Akademie.
Mein Trainings- und Dojo-Partner Torsten Uhlemann entschloss sich kurzer Hand auch zur Teilnahme am Seminar, so dass wir von den insgesamt 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern immerhin zwei Personen waren, die nicht hauptberuflich im pädagogischen oder therapeutischen Bereich arbeiten. Vor Beginn des Seminars sprach uns Ralf Bongartz dann auch recht interessiert an:"Seid Ihr die von der Karateschule?" Es stellte sich dann heraus, dass sein Interesse nicht nur unserem Exoten-Status geschuldet war, sondern nicht zuletzt auch der Tatsache, dass Ralf selber einige Jahre lang im Dojo Troisdorf trainiert hat! Da war das Eis natürlich sofort gebrochen und es war dann auch nicht verwunderlich, dass Begriffe wie Hara und Ki Bestandteil vieler Seminar-Sequenzen waren. Nochmal zurück zur eben erwähnten Metapher "Eis gebrochen" - Ralf Bongartz macht es wohl jedem Seminarteilnehmer leicht, schnell anzukommen und sich auf die Übungen, Methoden und Fragerunden einzulassen - durch seine offene, herzliche, unterhaltsame und absolut authentische Art entstehen keinerlei Berührungsängste. Durch seinen beruflichen Hintergrund (20 Jahre Tätigkeit bei der Polizei als Streife und bei der Kripo) sowie seine langjährige Seminartätigkeit ist seine fachliche Kompetenz vollumfänglich überzeugend. Seine pantomimischen und schauspielerischen Fähigkeiten veranschaulichen Emotionen und Situationen in Sekundenbruchteilen, so dass das Lernen einfach eine Freude ist!
Wir starteten mit Atemübungen, lernten das Hara kennen, dass wir wie eine Kugel, einen kleinen Ball empfinden sollten, der nicht prall mit Luft gefüllt ist, aber über eine "entspannte Festigkeit" verfügt. Ich glaube, so konnten sich auch die Teilnehmer/innen ohne Kampfkunsthintergrund gut vorstellen, wie sich unsere innere Mitte anfühlen sollte. Diese entspannte Festigkeit sollten wir dann möglichst in allen gespielten Stress-Situationen wieder aufrufen, was auch für mich nicht immer einfach war.
Neben den Karate-Elementen gab es noch Übungen mit Prinzipien aus dem Krav Maga und dem Wing Tsun, die aber allesamt auch für Nicht-Kampfkünstler umzusetzen waren. Da Ralf Bongartz auch eine langjährige Feldenkrais-Erfahrung hat, wurden auch Übungen aus diesem Bereich hinzu genommen.
In erster Linie ging es thematisch natürlich um die Reaktionen in Stress-Situationen. Nicht verwunderlich also, dass wir uns nicht immer nur mit Wattebäuschchen beworfen haben, sondern auch handfeste Pöbeleien gespielt wurden, in denen wir den Unterschied erleben konnten, was sich in uns verändert, je nachdem ob wir unserem Partner sagen "Ich find Dich gut" oder ihm entgegenschleudern "Ich find Dich scheiße!".
Wie kann man mit Menschen kommunizieren, die aufgebracht oder emotional erregt sind? Sehr schlecht bis gar nicht - denn:"Schmiede das Eisen, solange es kalt ist," so der Dozent. Bevor wir also über das eigentliche Problem oder Thema reden können, muss die Lage zunächst deeskaliert werden.
Wir lernten im Folgenden mögliche Deeskalatoren kennen, wie z. B. das Rausdrehen der eigenen Körperachse (Füße in T-Stellung), ruhige und nicht zu laute Stimme, Ich-Botschaften, das Spiegeln der Emotionen unseres Gegenübers und nicht zuletzt auch das Bewusstsein und bewusste Einsetzen unseres eigenen Status - wenn man den anderen "von oben herab" behandelt, fürchtet er im Regelfall einen Gesichtsverlust und kann die Situation dann meist nicht ohne weitere Eskalation verlassen.
Besonders interessant - vermutlich auch für die Pädagogen unter uns - war die KEB, die kontrolliert eskalierende Beharrlichkeit. Hier geht es darum, in Situationen angemessen zu reagieren und vor allem geringfügige Regelverstöße (Handynutzung im Unterricht trotz mehrfacher Ermahnung) nicht mit einer übertriebenen Reaktion zu ahnden. Dies alles bedarf allerdings - wir merkten es schon im Seminar - einer intensiven Übung. Aber auch Überreaktionen sind meist nicht irreversibel - meist lassen sie sich durch eine ganz einfache Maßnahme wieder gut machen: durch eine Entschuldigung beim Gegenüber!
Nicht immer verläuft ein Vorgehen in einer KEB wunschgemäß deeskalierend. Am Ende sollte dann für unser Gegenüber die Wahl stehen "Horror oder Happy End"? Hinter dieser sehr anschaulichen Formulierung stehen letztlich zwei Konsequenzen, zwischen denen der Aggressor die Wahl hat. Es geht also nicht mehr um eine Drohung oder Ankündigung: "Wenn Du nicht sofort...dann....!", sondern dem Gegenüber soll vordergründig mehr die Entscheidung überlassen werden, ob er die angekündigte Konsequenz tatsächlich möchte. Durch die Klarstellung "Du hast die Wahl!", kann z. B. der Schüler oder Jugendliche noch ohne einen Gesichtsverlust einlenken.
Dieses Kommunikationskonzept gehört zu den Methoden der so genannten neuen Autorität, bei denen zwar Wert auf Regeleinhaltungen gelegt wird, die Konsequenzen aber wertschätzender durchgesetzt werden, als nach der "alten Schule", also der Autorität, die wir vermutlich alle noch aus Kindertagen und aus der Schule kennen. Letztlich, so Ralf Bongartz, ist diese Art der Erziehung und Menschenführung nicht nur angenehmer für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für Lehrer oder andere Erziehungsberechtigte. Wieviele Pädagogen, die von Burn-Out bedroht sind, könnten hiervon profitieren!
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich das zweitägige Seminar absolut überzeugt hat! Ich werde auf jeden Fall weitere Seminare zu diesem Thema besuchen.
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