Montag, 20. März 2017

Street Combatives II - eine Technik für 100 Situationen

Am 18.03.2017 war zum zweiten Mal Carsten Zimmermann mit seinem Konzept Street Combatives bei uns im Fuji San zu Gast. Der Zulauf war in diesem Jahr noch stärker als beim letzten Mal: 40 Anmeldungen ließen ahnen, dass die Luft in der Halle schnell verbraucht sein würde :-)

Wie im Vorjahr gab es auch diesmal wieder eine ausführliche theoretische Einführung per Videopräsentation: Fazit für mich waren die Schlagsätze "Arschlöcher sind niemals allein." und "Arschlöcher sind niemals unbewaffnet." Einige Teilnehmer wünschten sich auch Tipps um Umgang mit Messerangriffen, aber Carsten stellte gleich klar, dass dies nicht in einem eintägigen Workshop zu leisten sei. Vielleicht wird er später einmal einen entsprechenden Workshop bei uns leiten.

Thema des diesjährigen Ausflugs in die stiloffene Selbstverteidigung war der Clinch, also auf gut Deutsch gesagt: "zünftiges Ringen und Raufen" unter Anleitung.

Auch bei der Abwehr im Clinch sollte man sich immer bereits im Vorfeld sicher sein, wo die eigene "Rote Linie" ist - also der Punkt, an dem ich mich wirklich körperlich verteidigen möchte und kann. Was bin ich bereit, in Kauf zu nehmen, wenn ein Ernstfall eintritt? Man sollte sich das unbedingt schon zu Hause überlegen und Situationen im Vorfeld im Kopf oder auch im Training durchspielen. Der erste eigentliche Kampf ist der Kampf gegen sich selbst: "Kann ich einem anderen Verletzungen zufügen?" und schließlich gibt es noch den Kampf gegen den Aggressor: "Kann ich mich unter Stress verteidigen? Hab ich das geübt?"

Auch kampfbasierte Systeme wie Krav Maga oder Street Combatives legen viel Wert auf Deeskalation im Vorfeld. Hier verwies Carsten freundlicher Weise auf mich und auf unseren Coach Ralf Bongartz. Hier ist möglichst noch eine NVP (non-violent position) einzunehmen, man kann versuchen, beschwichtigend mit geöffneten Handflächen "italienisch" zu gestikulieren, ähnlich wie der Melitta-Mann in der Werbung ("Isch 'abe gar kein Auto.").

Ein sicheres Auftreten kann potenzielle Angreifer abschrecken und umgekehrt kann eine unsichere Körperhaltung auch zu einem Angriff "einladen":"Beuteverhalten provoziert Jägeraktivitäten", so Carsten.

Im Vorfeld ist es wichtig, aufmerksam zu sein: Man hört Geschrei und stellt sich auf Ärger ein. Man sieht einen Tummult oder auffälliges Verhalten beim Gegenüber und stellt sich auf Aggressivität ein. Dieses Verhalten kann sich in folgenden Aktionen zeigen: Die Hände des Gegenübers gehen hoch, ggf. an seinen eigenen Kopf; das Gegenüber beginnt, die Jacke oder das Hemd auszuziehen; "taktisches Positionieren"; verdeckte Kommunikation durch Nicken oder Heranwinken eines Komplizen; kurzsilbige Kommunikation; "Brüsten"; sichtbare Schlagadern; erhöhte Atemfrequenz; provokativer "Fingerzeig" (Hand ist oben); Taktile Reize sollten sofort Gegenwehr auslösen! Auch der Geschmack kann eine Rolle spielen: KO-Tropfen lassen Getränke leicht seifig schmecken.

Carsten ging kurz auf den Unterschied zwischen Kampfkünsten und dem System Streeet Combatives (SC) ein: "Bei Kampfkünsten gibt es 100 verschiedene Lösungen für einen Angriff und beim SC 1 Lösung für 100 verschiedene Angriffe." Gleichwohl ließ er auch Kampfkünste und andere Systeme in ihrer Bedeutsamkeit bestehen, stellte SC nicht generell über sie, sondern führte aus, dass alles seine Bewandtnis habe, für ihn allerdings derzeit SC am überzeugendsten sei.

Was ist das Ziel des Systems Street Combatives? "Auf den Beinen und bei Bewusstsein bleiben!" Unter Stress kann man feinmotorische Abläufe häufig nicht mehr abrufen - daher ist es wichtig, möglichst einfache Strategien zu kennen.

Auch das Thema Notwehr wurde beleuchtet, unter dem John-Wayne-Aspekt: "Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen." "Es ist besser, von 12 gerichtet zu werden, als von 6 getragen." (Besser sich vor Gericht verantworten müssen, als nicht mehr zu leben (6 tragen den Sarg).

Zum Warmup gab es den Spartakus-Workout, mit dem man innerhalb kürzester Zeit superschnell warm wird: 1 Min laufen auf der Stelle, 15 Sek Pause, 1 Min Liegestütze, 15 Sek Pause, 1 Min Plank, 15 Sek Pause, 1 Min Situps, Pause, 1 Min Hampelmann, Pause.

Im praktischen Teil starteten wir wie beim letzten Mal mit dem "Helmet" - der Schutzhaltung für den Kopf: linken Ellenbogen eng seitlich an den Kopf pressen und den rechten Arm wie ein Bügel über die Stirn legen, bis die rechte Hand das linke Handgelenk umfassen kann. Das rechte Auge ist möglicherweise jetzt verdeckt, was aber keine Rolle spielt. Bei der Einnahme der Schutzhaltung verkürzen wir die Distanz, indem wir einen Schritt auf den anderen zu mahcne. Wir übten intensiv, diese Schutzhaltung intuitiv einzunehmen.

Dann übten wir, verschiedene "Werkzeuge" zu bedienen, denn: "Wir reden nicht vom Nahkampf, wir reden von Werkzeugen."

Start war mit der Hammerfaust: Einer hielt eine Pratze waagerecht, der andere schlug drauf - unter Einsatz des ganzen Körpers. Dies wurde hinterher durch den Einsatz von kurzen Therabändern in verschiedenen Stärken geübt. Die Körperhaltung sollte am Ende so sein, dass die Nase über dem Zeh steht (nose over toe). Beim Ausholen ist der rechte Arm rechts seitlich vom Kopf, die Hand ist geöffnet und der Ellenbogen ist der höchste Punkt. Dann geht der Ellenbogen an der Handvorbei und letztlich schlägt die Faust auf das Kissen.

Die Hammerfaust übten wir auch seitlich (an Tennisrückhand denken) - wie Tetsui im Karate.

Schließlich übten wir die frontale Hammerfaust dann noch zu dritt, wobei einer den anderen von hinten um die Taille fasste und nach hinten zog. Der Schlagende musste dann gegen den Widerstand angehen.

Als nächstes kam der Handballenschlag - man sollte dabei an die Technik des Kugelstoßens denken. Auch hier galt nose over toe und man sollte sich mit dem Oberkörper weit nach vorne legen beim Schlagen.

Beim Handballenschlag gab es dann die Übung "two dogs and one bone" - einer hielt die Pratze senkrecht neben seinem Kopf (wie bei der vorangegangenen Partnerübung auch) und die anderen versuchten beide, Schläge darauf zu platzieren - was nicht einfach war, denn sie sollten sich gegenseitig auch daran hindern.

Nach einer Pause ging es dann endlich in den Clinch:
- Einer schlägt Hakenschläge gegen den Kopf des anderen, dieser versucht, mit dem "Helmet" zunächst, seinen Kopf zu schützen und die Distanz zu verkürzen.
- Wenn eine Lücke da ist, versucht der Abwehrende, mit der rechten Hand in den Nacken des Angreifers zu schlagen und anschließend mit der anderen Hand auf die Hand, die sich schon im Nacken befindet - der Angreifer hat hier schon zwei recht harte Schläge am Kopf abbekommen.
- Jetzt zieht der Abwehrende, den Kopf des Angreifers mit einem Ruck an die eigene Brust.
- Da der Angreifer weiter schlagen wird, sollte der Abwehrende jetzt versuchen, den rechten Arm (die meisten sind Rechtshänder) zu fassen und zu blockieren: Griff mit der linken Hand an die Schulter, am Bizeps entlanggrutschen und bis zum Handgelenk gehen, den eigenen Arm hart strecken, so das die harte Knochenstruktur den Arm des Angreifers blockiert.
- Nun wurde es kniffelig: Ziel war es, dass sich der Abwehrende hinter dem Angreifer befinden soll, damit er den Angreifer voll kontrollieren kann. Hierzu muss der Abwehrende versuchen, sich unter dem gestreckten Arm her nach hinten zu bewgen - Ausfallschritt nach links, Kniebeuge mit gradem Oberkörper und unter dem Arm her, bis dieser gestreckt hinten auf den Schultern des Angreifers liegt.
Jetzt noch selber umdrehen und den Opponenten von hinten fixieren.
- Alternativ kann man auch zur anderen Seite abtauchen.
- Als Variante übten wir, den Schlagarm vor unserem Körper zu fixieren und den Angreifer umzudrehen (ging nur, wenn wir uns selber auch mitbewegten). Als Vorübung nahmen wir eine Übung, die ähnlich der ist, die wir als Startübung für Befreiungstechniken immer mit in unserem Programm haben: Arm des anderen liegt locker auf unserer Schulter - eher belästigend, als angreifend. Wir greifen den Arm des Angreifers, führen ihn diagonal zu unserer "Hosentasche", fassen mit dem andren Arm an den Bizeps des anderen und drehen ihn um.

Zum Abschluss wurden schützende Kopfbedeckungen / Helme ausgeteilt. Wir stellten uns in eine Runde und zu zweit wurde im Kreis ausprobiert und demonstriert, ob die Techniken im Sparring funktionieren. Das war schon ein recht hoher Stressfaktor, hat aber allen tierisch viel Spaß gemacht! Beinahe alle wollten es einmal ausprobieren, wie es ist unter Stess zu reagieren und so waren wir alle am Ende Adrenalin-gesättigt und schachmatt!

Das Feedback auf diesen Workshop war wieder ausschließlich positiv! Viele Elemente werde ich in meine Kurse einfließen lassen, da ja alle Techniken auch im Karate zu finden sind - und durch Übungen wie "two dogs and one bone" kann man jede Trainingsstunde spannender gestalten und auflockern! Ich freue mich schon auf weitere Impulse aus der feien SV-Welt und finde Systeme wie Street Combatives sehr wichtig für die optimale Ergänzung unserer Kampfkunst zu einem effektiven Eigenschutz-Konzept.







Montag, 6. März 2017

Etwas weitergeben - über die Tradition des Gürtel-Vererbens

Als ich Mitte der 1980er Jahre mit Karate begonnen hatte, war es üblich, bei einer Gürtelprüfung unter Karatefreunden den eigenen Obi an einen Karate-Freund oder eine Freundin weiter zu geben. Mit ein bisschen Glück hatte auch jemand, der eine höhere Prüfung abgelegt hatte, einen Gürtel zu verschenken und so konnte es passieren, dass man bis zum Braungurt keinen einzigen Obi kaufen musste.

Ganz unabhängig vom ersparten Geld fand ich diese Idee immer sehr schön: Durch den "Farbwechsel" an der Hüfte gelangt man in einen neuen Trainings- und Entwicklungsabschnitt. Es mach wenig Sinn, die alten Gürtel zu archivieren, da die aktuelle Farbe den aktuellen Stand anzeigt. Man ist dann ja irgendwann nicht mehr "ehemaliger Gelbgurt", sondern Orangegurt bzw. Träger des 7. Kyu. Und zudem ist es eine schöne Geste, durch das Weiterreichen des eigenen Obi dem Nachrückenden Wertschätzung zu erweisen.

In der Karateschule Fuji San Münster gab es anfangs keine oder nur sehr wenige Karateka, die bereits einen farbigen Gürtel tragen durften. Es war uns daher eine Ehre und Freude, jedem Prüfling den neuen Obi zu schenken. Das möchten wir grundsätzlich auch so beibehalten. Gleichwohl würde ich gerne auch die Tradition des Weiterreichens weiterführen. Es ist nachvollziehbar, dass besonders Kindern diese Tradition erst erklärt werden muss. Dem ein oder anderen Kind fällt es dann vielleicht schwer, wenn der Obi mit der Widmung eines großen Karatemeisters versehen ist. Ein kleiner Tipp von mir: Lasst Euch die Widmung doch in Euren Karatepass oder ein für Euch wichtiges Karatebuch hineinschreiben - dann bleibt Euch die Erinnerung, auch wenn Ihr die Gürtelfarbe gewechselt habt.

Ich habe eine kleine Geschichte zu meinem braunen Gürtel: Ich bekam ihn von meinem damaligen Trainer Christian Dorn geschenkt, der inzwischen den schwarzen Gürtel trug und mir seinen Braungurt überließ. Das war für mich eine ganz besondere Ehre! Ich trug den Gürtel stets mit dem Bewusstsein, quasi ganz besonders in der Pflicht zu stehen und immer mein Allerbestes im Training zu geben! Viele Jahre hatte ich diesen Obi um die Hüften, da ja vom 3. bis zum 1. Kyu die Farbe gleich bleibt. Der Obi war schließlich schon so "abtrainiert", dass er fast schon von selbst schwarz geworden war, kurz bevor ich meine Prüfung zum 1. Dan ablegte. Ich bewahrte den Obi auf, bis ich ihn eines Tages einem finnischen Freund von mir auslieh, weil er in Deutschland war und seinen Obi in Finnland vergessen hatte. Auch er trug diesen Gürtel dann eine ganze Weile lang, bis er ihn mir eines Tages zurück schickte. Der Obi liegt jetzt im Schrank - ich denke, er hat seine "Pflicht" mehr als erfüllt und so abgenutzt, wie er ist, mag ihn sicher niemand mehr tragen :-) Sollte jemand aber in Not geraten oder den Gürtel haben wollen, würde ich nicht zögern, ihn auszuhändigen.

Es wäre schön, wenn auch unsere Mitglieder die Obis weitergeben könnten. Falls niemand da ist, von dem Ihr einen Gürtel übernehmen könnt, gibt es nach wie vor das gute Stück von uns geschenkt. Habt Ihr einen Gürtel abgelegt und es ist niemand da, dem ihr ihn überlassen könnt, dann nehmen wir den Obi gerne wieder in unser Archiv - bis er dann bei der nächsten Prüfung einen neuen Besitzer findet.