Dienstag, 3. Juni 2025

Zum Glück gibt's Budo - über die glücksbringenden Aspekte japanischer Kampfkünste

„Karate reicht nur für ein kleines Glück!“ – Dieses Zitat meines hoch geschätzten Senseis Risto Kiiskilä war für mich viele Jahre lang Gesetz! Ich hatte für mich daraus die Tatsache abgeleitet, dass es keine schnellen Erfolge gibt, dass ich nie „gut genug“ war, es „immer etwas zu meckern/korrigieren“ gab, ich immer an mir arbeiten muss. Mit Sicherheit hat dieser Glaubenssatz meine Erwartungshaltung geprägt/gedämpft und meine Willenskraft gestärkt! Viele Jahre lang habe ich so gelebt, geübt, gezweifelt. Auf dem Karate-Weg balancierte ich auf einem schmalen Grat zwischen Faszination und Frustration. Dass mich Karate „glücklich“ gemacht hätte? Diese Formulierung hätte ich doch irgendwie unpassend gefunden. Nun gut – Risto sprach ja auch von einem „kleinen Glück“ – aber selbst das ….. Immerhin: Ich habe auf meinem Karate Do viele nette Menschen kennen gelernt und gelegentlich gab es Trainings, in denen ich das „Flow-Feeling“ erleben durfte. Meistens war Karate jedoch „Blood, Sweat @ Tears“ …. Wie habe ich es und haben es bisher so viele Menschen geschafft, so lange auf dem Weg zu bleiben. Steckt vielleicht doch noch mehr „Glück“ im Karate? 

 

Was ist denn überhaupt „Glück“? – In der Glücksforschung (eine Unterform der Positiven Psychologie) gibt es verschiedene Definitionen von Glück. Ich finde diese Dreiteilung sehr gut nachvollziehbar: 


Drei Arten von Glück

  •  Zufallsglück: Das ist das Glücksgefühl, das wir empfinden, wenn wir z.B. auf der Straße  einen 20-Euro-Schein finden! Oder wenn wir uns an einer langen Schlange an einer Supermarkt-Kasse angestellt haben und plötzlich wird eine weitere Kasse geöffnet, zu der wir schnell wechseln können, um dann sofort dranzukommen.
  • Dann gibt es das allgemeine Glücksgefühl, wenn wir z.B. ein entspannendes Wannenbad genießen, am Strand in der Sonne liegen und ein Buch lesen, einen schönen Sonnenuntergang bewundern.
  • Und schließlich gibt es noch das Glück durch erlebten Erfolg, erlebte persönliche Weiterentwicklung.  

Zufallsglück können wir im Karate empfinden, wenn uns darüber freuen, dass uns ein zu uns passender Übungspartner/eine passende Übungspartnerin zugeordnet wird. Oder es wird zufällig eine Kata unterrichtet, die uns besonders gut gefällt. 

 

Das allgemeine Glücksgefühl kann sich situativ einstellen, während wir eine Lieblings-Kata ausführen - vielleicht sogar synchron mit Karate-Freund*innen - oder wenn wir in einem Kumite-Drill in die Flow-Phase gelangen und alles um uns herum vergessen!

 

Das Glück durch erlebten Erfolg ist das einzige Glück, das wir selbst beeinflussen können. Es stellt sich z.B. ein, wenn wir eine Gürtelprüfung, auf die wir uns schon lange vorbereitet haben, bestehen, wenn uns eine Kata oder Technik, an der wir schon fast verzweifelt waren, endlich gelingt - oder wenn wir einen Wettkampftitel gewonnen haben.

 

Glücksmomente durch Zufall, schöne Situationen oder erlangte Erfolge sind jedoch oftmals flüchtig, schnell vergänglich. Um aus Glücksmomenten dieser Art langfristig Glück oder Zufriedenheit zu schöpfen, müssten sich diese Momente regelmäßig wiederholen – möglichst in überschaubaren Abständen. Wir wissen aber alle, dass der Zufall uns nicht immer hold ist, dass wir uns Trainingspartner*innen und die „Kata des Tages“ nur selten aussuchen können und dass es viele Monate – wenn nicht Jahre bis zur nächsten Gürtelprüfung dauern kann. Einige Budoka versuchen, ihre Motivation durch einen Graduierungs-Marathon aufrecht zu erhalten oder jagen von Wettkampf zu Wettkampf. Sind dies die einzigen beiden Glücksquellen im Budo, so endet die Kampfkunst-Karriere oftmals nach Erreichen des „Schwarzen Gürtels“ oder nach Ende der Wettkampfkarriere. 

 

Ist dies der Grund, warum so viele Karateka bereits nach kurzer Zeit oder nach einigen Monaten, Jahren mit unserer Kampfkunst aufhören? Und: Kann es noch andere Aspekte geben, die uns im Karate nachhaltig beglücken? Wie können wir mittel- bis langfristig Glück und Zufriedenheit aus unserem Karatedo oder Budo ziehen? 

 

Budo müsste dann noch an anderer Stelle ansetzen – vielleicht an einer Stelle, die mit den Tugenden und Werten der Kampfkunst zusammenhängt? 

 

Auch hier habe ich in der Literatur gestöbert und bin auf den US-amerikanischen Psychologen Martin Seligmann gestoßen. Während die Freude über Wettkampferfolge, über erlangte Medaillen und Pokale oder auch einen gefundenen 20-Euro-Schein oder ein Wannenbad schnell verblasst, gibt es nach Seligmann sechs Tugenden, die langfristig für Glück, Zufriedenheit und Wohlbefinden sorgen. Es sind die Tugenden 

 

-              Weisheit

-              Mut

-              Menschlichkeit

-              Gerechtigkeit

-              Mäßigung und

-              Transzendenz

 

Interessanterweise bezieht sich Seligmann unter anderem sogar wörtlich auf den Ehrenkodex der Samurai, den "Bushido"! In wieweit können wir die oben aufgeführten Tugenden also durch unser Karatedo leben? 


Wer sich intensiv mit einer Kampfkunst und auch den kulturellen Hintergründen beschäftigt, wird zwangsläufig sein Wissen erweitern und auf Dauer so etwas wie Weisheit erlangen. Der Wissenszuwachs ist bereits zu Beginn einer Kampfkunstlaufbahn enorm. Je mehr man sich dann nach und nach auch mit kulturellen und spirituellen Hintergründen beschäftigt oder auch mit der Didaktik und Methodik der Wissensvermittelt, desto intensiver kann sich die Identifikation mit der Kampfkunst und die Zufriedenheit einstellen. 

 

Zum Mut: Allein mit einer Kampfkunst zu beginnen, erfordert schon Mut! Seligmann sieht aber auch Attribute wie Beständigkeit, Integrität, Vitalität und Begeisterung unter dem Mut-Aspekt – das passt für mich, die inzwischen 40 Jahre Kampfkunst betreibt, sehr gut zum Budo. Denn „der Weg ist ja das Ziel“ und der Weg endet erst mit dem Tod. Also ist Beständigkeit gefragt und man muss sich selbst immer wieder neu für Budo begeistern. Beständigkeit bedeutet auch, dass wir unsere Routinen regelmäßig üben, so dass wir beim Üben in einen Flow kommen und sich durch lang erarbeitete Trainingsroutine eine genussvolle Leichtigkeit ergibt.


Unter den Begriff der Menschlichkeit fallen nach Seligmann Verbindlichkeit, Loyalität und soziale Intelligenz – diese Tugenden werden vor allem durch das Erleben der Dojo-Gemeinschaft, durch die Regeln, Rollen, Rituale und Routinen im Budo gefördert. Diese fördern bestenfalls auch die Gerechtigkeit, unter der  Seligmann Fairness und Verantwortung  versteht. Werte, die bei gelebtem Budo auch in den Alltag getragen werden. 

 

Mäßigung bedeutet Vergebung, Dankbarkeit, Demut und Selbstkontrolle – Tugenden, die vor allem über den Zen-Aspekt, das spirituelle Wesensmerkmal des Budo, vermittelt werden. Hier kann bereits im Kindertraining angesetzt werden, indem die Kinder lernen, ihre spontanen Impulse zu steuern, trotz Durst mit dem Trinken bis zum Ende des Trainings zu warten, ihre Müdigkeit und Erschöpfung überwinden etc. Impulskontrolle ist letztlich die Voraussetzung für den Kern des Budo: das innere Schwert stoppen zu können, auf Provokationen nicht eingehen zu müssen, Kämpfen vermeiden zu können. 

 

Unter Transzendenz versteht Seligmann das Streben nach Exzellenz, aber auch Hoffnung, Humor und auch Spiritualität – alles Komponenten, die wir ebenfalls im Budo erleben können - vor allem, wenn wir uns einer starken Gemeinschaft befinden. 

 

Wenn wir unser Leben nach diesen Tugenden ausrichten, gelangen wir nach Seligmann zu tiefer und dauerhaft anhaltender Zufriedenheit und zu Lebensglück. 

 

Tugenden zu leben klingt leider heutzutage etwas altbacken und „aus der Mode gekommen“. Sich intensiv mit Budo zu beschäftigen, öffnet aber in Zeiten, in denen Egoismus, Hate-Speech und Beleidigungen an der Tagesordnung zu sein scheinen, einen Weg, Tugenden zu er-leben. 




Quelle: Martin E.P. Seligmann "Der Glücksfaktor - warum Optimisten länger leben" 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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