Dienstag, 27. März 2007

Lehrgang mit Risto und Akita Berlin Pfingsten 2006

Polarlicht über Berlin


Als ich im Dojo herumfragte, ob jemand Interesse daran hätte, mich nach Berlin-Marzahn zu begleiten, antwortete lediglich ein großes Schweigen. Zugegeben, ist ja auch nicht grad ein Katzensprung dorthin. Aber für einen Gasshuku fahren die meisten Karatekas, die ich angesprochen hatte, sonst auch „meilenweit“. Naja, ich wollte ihn mir dennoch nicht entgehen lassen, den Pfingstlehrgang bei Risto und Akita. Schnell war bereits im März ein Bahn-Ticket besorgt - für schlappe 70 Euro hin und zurück, einschließlich IC- und ICE-Verbindungen. So konnte ich es mir nicht mehr anders überlegen – schließlich war ich auch noch nie so ganz alleine in ein Trainingslager gefahren. Um meine Aufregung kurz vor der Abfahrt noch ein wenig zu steigern, gaben mir meine Trainingskameraden im Dojo kurz vor der Abfahrt noch einige „Tipps“, wie ich im heißen Viertel Berlin-Marzahn überleben könnte: Die alte Lederjacke an, keinen Schmuck oder sichtbare Wertsachen tragen und sich nicht bei den dunkelgekleideten Personengruppen an den brennenden Ölfässern zum Wärmen dazustellen!

Dementsprechend kribbelig war ich dann, als sich die S-Bahn Linie 7 meinem Endbahnhof näherte. Kurz vor meinem Ziel dann noch die Fahrkartenkontrolle: Selbstverständlich hatte ich einen Fahrschein für die S-Bahn gezogen! Doch leider hatte ich ihn nicht vor Besteigen der Bahn entwertet….“Steht doch extra druff!,“ meinte der Kontrolleur. Glücklicher Weise konnte ich glaubhaft versichern, dass ich orts-unkundig war und auch mit den Gepflogenheiten des S-Bahn-Fahrens nicht vertraut war. So blieb mir der „Fahrpreis-Zuschlag“ in Höhe von 40 € erspart.

Als sich die S-Bahn-Türen öffneten, begrüßte mich die kalte Juni-Luft. Eine etwas trostlose Stimmung hing wie ein alter grauer Lappen zwischen den Häusern. Dieser Eindruck war jedoch nur von kurzer Dauer: Direkt vor dem S-Bahnhof leuchtete grelle Werbung auf einem überdimensionalen Shopping-Center. Ein emsiges Gewusel breitete sich vor meinen Augen aus, als die Menschenmassen in die Geschäfte strömten und wieder hinaus. Alles zusammen machte es auf mich einen vielleicht etwas weniger schillernden Eindruck als Shoppen im Provinznest Münster, bedrohlich wirkte die Atmosphäre allerdings keine Minute. Einen kleinen Schrecken bekam ich dann aber doch, als ich mittels Taxi die Turnhalle erreichte: Sie war eine gigantische Blüte der Graffiti-Kunst! Wer sich hier wohl außer uns noch herumtreibt? Ich fragte mich ernsthaft wie ich hier mein Hab und Gut unterbringen sollte. Aber von innen war es dann doch einfach nur eine ganz normale Turnhalle und es kam nichts abhanden. Das hätte auch mal jemand wagen sollen im Angesicht dieser zum Teil hochkarätigen Karate-Kämpfer!

Schon in der Umkleide fragte ich mich, wen der vielen mir noch unbekannte Weißkittel ich denn wohl bald mal näher kennen lernen würde. Wer würden meine Trainingspartner werden? Erwartungsgemäß kamen die meisten der Teilnehmer aus der Umgebung von Berlin. Bald merkte ich aber, dass ich mir den „Pokal für die weiteste Anreise“ abschminken konnte: Es war neben den vielen Karatekas aus Berlin, Mecklenburg Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen noch eine Gruppe aus Rotenburg an der Fulda angereist und sogar ein Finne aus Oulo. Dieser nette finnische junge Mann wurde mir dann auch gleich von Risto aufs Auge gedrückt: „Icky, ich hab da einen aus Finnland mitgebracht.“ Nach dem Motto: Kannst dich ja mal mit ihm unterhalten. Viele der anwesenden Karatekas sprachen nämlich wegen der eher russisch-orientierten Kindheit in der damaligen DDR kein Englisch. So konnte ich an diesem Trainingswochenende nicht nur meine Karate-, sondern auch meine Englischkenntnisse auffrischen. Und zwar so sehr, dass ich hinterher sogar auf Englisch geträumt habe!

Richtig „warm“ wurde ich mit vielen der Karatekas bereits am ersten Abend. Hier fand nämlich die traditionelle Lehrgangsfete statt, der nach dem Training eine zünftige Sauna-Session voranging. Das Bushido-Dojo-Berlin verfügt gleich über zwei dieser bis auf 100 Grad aufgewärmten Schwitzhütten. Puh, nach dem dritten Durchgang, der von einem echt finnischen Dauer-Aufguss begleitet wurde, fragte ich mich ernsthaft, wie ich den Rest des Abends überstehen sollte! Diese physische Krise wurde dadurch verstärkt, dass ich auf meine Grillportion ca. 90 Minuten warten musste. Leider gab es nur einen kleinen Grill für die ganze Feier-Bande. Aber dieses kleine Problem wurde von dem Organisations-Team mit Augenzwinkern und echtem Berliner Charme bewältigt. Ansonsten hatten die Jungs und Mädels vom Verein wirklich alles perfekt organisiert! Am zweiten Abend ging es in ein Ausflugslokal am Müggelsee vor den Toren Berlins. Ruck-zuck waren alle auf die vorhandenen Autos verteilt und mit ca. 25 Leuten verbrachten wir einen herrlichen Abend in dieser idyllischen Gegend. Auch wenn das Wetter immer noch zu wünschen übrig ließ machten wir einen netten Spaziergang am Rande des Sees entlang und waren erst kurz vor Mitternacht wieder im Dojo.

A propos Augenzwinkern: Ich fand es höchst erfrischend, dass in Berlin zwar traditionelles Karate gepflegt wird, dies allerdings nicht allzu bierernst. So kam es, dass uns am Samstag nach der ersten Trainingseinheit über die Heldentaten der letzten zehn Samurai berichtet wurde. Diese in der Turnhalle stattfindende „Lehrstunde“ wurde begleitet von der Vorstellung einiger furchteinflößender „Samurai“, in die sich offensichtlich einige der Marzahner Karatekas verwandelt hatten. Diese hoppelten im Gi und versehen mit asiatischen Accessoirs auf Steckenpferdchen durch die Halle und metzelten sich gegenseitig mittels der mitgeführten Holzschwerter ab. Diese Kampfhandlungen wurden begleitet von einem Gedicht, in denen das Vorgeführte anhand von Katas erklärt wurde. Ich konnte mich kaum einkriegen, wie sich die eben noch so würdevollen Karatekämpfer da mit Perücken und Chinesenhütchen auf dem Kopf am Hallenboden krümmten! Schön war auch die zuvor gezeigte Heian Godan als Domino-Kata: Einige Kämpfer/-innen standen in einer Reihe und führten die Kata nicht synchron aus, sondern Technik für Technik nacheinander.

Ein für mich neues Erlebnis war die Vorführung der Kata Hokkyokuko – „Polarlicht“. Wer den Namen noch nie gehört hat: Keine Bange. Es ist eine recht neue Kata und zwar die von Sensei Risto! Abweichend vom herkömmlichen Shotokan-Kata-Muster basiert diese Kata auf einer Abfolge von Kumite-Elementen. Viele Techniken waren mir bereits aus Ristos Übungsprogramm vertraut. Aber einige Passagen dieser Kata werde ich im Leben nie so ausführen können wie die Kampftruppe aus Berlin. Ein junger Braungurt hat das so fantastisch hingelegt, es sah fast aus wie ein Tanz....vielleicht vergleichbar mit dem brasilianischen Capoiera!? Aber auch alle anderen, die die Kata aufführten –allen voran Jürgen und Dirk- hinterließen einen super Eindruck! Meine grenzenlose Bewunderung hat allerdings auch schon jeder, der auch nur den Ablauf beherrscht!

Risto legte in seinen Einheiten gleich richtig los: Die gewohnten „Mäusefüßchen“ zum Aufwärmen wurden daher gleich im Kiba-Dachi absolviert, so dass die Beine eigentlich direkt danach in den wohl verdienten Ruhestand hätten gehen können. Zudem legte er wie immer viel Wert auf Hüfteinsatz und Gewichtsverlagerung. Er forderte uns aber auch dazu auf, den Schritt vom Jiyu-Ippon Kumite in Richtung Freikampf zu wagen, sprich: uns mehr zu
bewegen! Nicht immer auf der Stelle stehen und warten, dass etwas passiert, sondern mit Sabaki seitlich raus oder mit Suri-Ashi den Techniken hinterher gleiten und immer gerne wieder Ashi-Barai. Ich hatte das große Glück, in zwei Einheiten ganz hervorragende Kumite-Partner zu haben. Die machten dieses Trainingsprogramm ganz sicher nicht zum ersten Mal und konnten mich ganz enorm durch ihre Beweglichkeit und Sicherheit in der Ausführung der Kombinationen beeindrucken! Meine deutliche Unterlegenheit wurde jeweils mit einem nachsichtigen Lächeln kommentiert und ich war sehr beruhigt, dass sich die Jungs auch nach dem Training noch mit mir unterhalten mochten. Risto ließ uns zum Ende der Einheiten jeweils Katas ab Heian Godan aufwärts laufen. Leider musste ich bei vielen der höheren Katas passen. Das muss jetzt aber bald mal geändert werden! Peinlich, wenn man als Dan-Träger immer am Rand sitzen muss!

Sensei Akita hatte ich bisher nur auf dem Gasshuku in Oberstdorf kennen gelernt und ich bekomme noch heute eine Gänsehaut, wenn ich an seine Gangaku denke! Demzufolge hatte ich mir eigentlich ein umfangreiches und anspruchsvolles Kata-Programm von seinem Training erwartet. Aber es kam anders. Vielleicht sah er einfach den Status-Quo der Teilnehmer-Gruppe – oder er hatte es sowie so vor: Sein Training bestand hauptsächlich aus Khion-Techniken! Lediglich in der letzten Einheit liefen wir Kata und da auch nur die Heian-Katas. Ich will damit auf keinen Fall sagen, dass das Training niveaulos war oder nicht anspruchsvoll. Im Gegenteil: Gerade die Liebe zum Detail, mit der Akita auf die einzelnen Techniken blickte, ließ das Training zu einer höchst komplexen körperlichen Angelegenheit werden. Sehr beeindruckt hatte mich die Vorführung, wie sehr das hintere Bein beim Zenkutsu Dachi gestreckt werden sollte: Sensei Akita holte sich dafür jemanden aus dem Teilnehmerkreis und wies ihn an, sich mit dem kompletten Körpergewicht auf Akitas durchgestreckte Kniekehle zu stellen! Allein vom Zuschauen taten mir schon wieder die Beine weh!

Apropos „Beine weh“....obgleich ich in den letzten Wochen vor dem Lehrgang nicht sportlich untätig war, merkte ich bald, dass sich ein unerträglicher Muskelkater in meinem Körper breit machte. Ich kann leider gar nicht sagen, dass sich dies auf meine Beine beschränkte....es tat einfach ALLES weh! Der nette Finne, den Risto mitgebracht hatte, meinte irgendwann, ich sollte aufhören, zu jaulen wie eine Katze – es gäbe nur ein Mittel dagegen: eine echte finnische Massage! Nach kurzen Bedenken, ob ich mich vertrauensvoll in die Hände dieses fremden Mannes begeben sollte, willigte ich ein. Um es kurz zu machen: Mit diesen Händen kann der Mann auch Bäume fällen – mein Rückgrat war auf jeden Fall kurz vor dem Brechen, die Muskeln wurden bis an die äußerste Belastungsgrenze geknetet und gedehnt. Die halbe Stunde Massage war die reine Hölle – und danach war ich absolut schmerzfrei! Es war einfach unglaublich! Ich lief wie auf Wolken und die Ausführung der Techniken gelang mir wohl noch nie so locker und unverkrampft.

Den krönenden Abschluss dieses 3-Tages-Lehrgangs, bei dem ich mich besser erholt habe als ich es durch einen dreiwöchigen Strandurlaub jemals könnte, bildete das Essen beim Thailänder am Montag-Mittag. Hier waren wir nur noch eine sehr kleine Gesellschaft und es kamen sehr nette Gespräche zustande. Schnell wurden noch ein paar Handy-Nummern und Mail-Adressen ausgetauscht, damit man auch zukünftig Kontakte knüpfen kann. Ich jedenfalls bin mir ganz sicher: Das war nicht mein letzter Besuch in Berlin-Marzahn! Nächstes Jahr werde ich allerdings einen Tag mehr Urlaub nehmen, damit ich auch etwas mehr von Berlin sehen kann!

Oss, Icky

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