Montag, 28. April 2008

Das also war des Pudels Kern!

Wenn ein Karateka ins Theater geht, welches Stück empfiehlt sich da? Natürlich Goethes Faust! ;-))
Ich konnte doch tatsächlich meinen Mann überreden, mit mir der Tragödie ersten Teil auf Münsters Städtischen Bühnen anzusschauen. Vor rund einem Monat beschloss ich, mich um Karten an einem Wochenende zu kümmern - und stellte fest, dass die nächsten Vorstellungen bereits ausverkauft waren! So wurde es erst am 26.4. etwas mit Doktor Faust, seinem Gretchen und Mephistopheles. Selbst zu diesem Termin gab es nur noch Karten "auf den billigen Plätzen" - ganz oben, seitlich auf dem Balkon, für ganze 5 Euro die Karte. Nun, so billig kommt man nicht mal ins Kino und ich hatte auch zuvor schonmal dort oben gesessen. Sicher ists unten oder mitten drin schöner, aber wenn wir den Faust in absehbarer Zeit nochmal zu zweit sehen wollten, hatten wir keine Wahl. Allen Unkenrufen, Münster sei kulturelle Provinz, weil die breite Bürgerschaft ja die Errichtung einer Musikhalle mit finanziellen Mitteln der Stadt ablehne, zum Trotz: Kulturbegeisterte scheint es ja noch genug zu geben.

Als wir dann kurz vor knapp (und recht außer Atem vom Treppensteigen - ächz!) unsere Plätze einnahmen, staunten wir nicht schlecht darüber, noch soviele freie Sitze zu sehen. Das Geheimnis war aber schnell gelüftet: Durch die Art der Inszenierung waren einige Reihen gesperrt - der Hauptteil des Schauspiels fand nämlich nicht auf der Theaterbühne statt, sondern mitten im unteren Zuschauerraum. Die vorderen Zuschauersitze, also mit Blick zur regulären Bühne, waren daher umgedreht und wer in der Mitte zu sitzen glaubte, war mittendrin, statt nur dabei. Seitlich von der Ersatz-Bühne saßen keine Zusschauer, sondern Statisten, die dann während des Spiels schnell auf die Bühne gelangen konnten. Auf der regulären Bühne befanden sich ein Chorleiter und eine Band, die schon optisch rockige Klänge erahnen ließ, da sie mit Schlagzeug und E-Gitarre ausgestattet war. Über der Band sowie links und rechts seitlich der ersten Reihen vom Publikum waren große Leinwände angebracht, auf die während einiger Phasen Videosequenzen projeziert wurden.

Zu Beginn des Stückes mischten sich als Engel verkleide Kinder - vermutlich wieder Mitglieder des Domchors? - mit Kerzen in den Händen unter die Zuschauer der unteren Balkone. Es folgte der Prolog im Himmel, den der "Leibhaftige", Mephistopheles, mit Gott führt. Mephisto wird sehr nett dargestellt von Johann Schibli. Wer hier Teufelshörnchen und den Huf erwartete, wurde enttäuscht: Mephisto sah aus wie "einer von uns" - "cool" gewandet in einen hippen Gothik-Look mit langem Mantel und Leder(?)hose. War es Zufall, dass er durch sein schwarzes Kopftuch zweilen an Jack Sparrow erinnerte, den Piraten aus "Fluch der Karibik"? Dieser "Geist, der stets verneint" ist nun auf der Bühne präsent, während die Stimme Gottes aus dem Off tönt. Warum nur wurde Gott durch so eine kindliche Stimme dargestellt, während Mephisto mit einem vollen Bass durch das Theater dröhnte? Irgendwie hatte man schon hier das Gefühl, dass das Böse stärker ist und die dunkle Seite siegen wird. Gott und Teufel schließen eine Wette ab über die Seele des Doktor Faust. Gott meint, in ihm einen gläubigen, treuen Mann gefunden zu haben, der trotz aller Zweifel am Glauben nicht vom Pfad der Tugend abzubringen sei. Mephisto wettet, ihn verführen zu können. Sollte Mephisto siegen, könnte er die Seele Faustens haben.

Doktor Faust wurde dargestellt von Wolf-Dieter Kabler und wirkte vor allem glaubwürdig in der Rolle des zweifelnden und verzweifelten Professors. Weniger gut kaufte man ihm die Rolle des schmachtenden Liebhabers ab. Die Verjüngungskur durch Hexenzauberei wurde durch einen mintfarbenen Anzug (warum nur muss ich an den "hellgrünen Jerseyanzug aus "Es gibt Reis" denken?) und - igitt - weiße Slipper angedeutet. Das wars aber auch schon, was ihn jünger machen sollte. Vom Wesen her war keine Veränderung festzustellen. Überzeugender dagegen sein Famulus Wagner (Matthias Caspari). Dieser wirkte unbefangen wissbegierig und trotz umfangreichen Studiums an allen Fakultäten herrlich naiv.

Es liegt in der Natur des Stückes, dass in der Regel nur eine verkürzte Fassung dargeboten werden kann (Ausnahme: ungekürzte Fernsehfassung mit Bruno Ganz anlässlich der Expo 2000 in Hannover). Einige Szenen wurden daher zusammengefasst oder über musikalische Einspielungen dargestellt, so etwa die Szene in Auerbachs Keller oder die Walpurgisnacht. Für meine Begriffe war die Musik zwar peppig und die ausgesuchten Stücke auch ganz witzig ("Sympathy for the Devil" von den Stones, "Highway to Hell" von ACDC...) aber ich persönlich fand die Musik zu aufdringlich im Verhältnis zur Dramaturgie. Das eigentliche Theaterstück drohte dagegen zu verblassen, zur Nebensache zu verkommen. Auch die Videosequenzen haben das Stück optisch m. E. überfrachtet, statt es zu untermalen. Ein wenig hadere ich mit mir noch - was sollte ich z. B. von den Hexen halten, besonders von der grellen Hexe mit den rot-blond gefärbten Haaren halten? War sie jetzt übertrieben grell mit ihrer verzerrten Stimme? Oder passte das? Nein, wenn ich jetzt so drüber nachdenke, hätte eine Hexe ruhig verrucht wirken dürfen, aber Hexen sind ja auch irgendwie Heilerinnen und so hätte ruhig dieser etwas alberne Unterton fehlen können. Auch Mephisto übrigens hatte seine komischen Momente: etwa in der Pudelszene, als sich der Teufel als "des Pudels Kern" entpuppt. Hier stülpte sich der Schauspieler eine schwarze Pudelperücke über und lief bellend über die Bühne. Das war sehr unterhaltsam, drohte aber auch schon fast wieder in den Klamauk abzudriften.

Und nun das Gretchen. Sie ist wohl die tragischste Figur des ganzen Stückes, da sie zufällig in die teuflische Wette mit einbezogen wird und grade ihrer Unschuld wegen einen besonderen Reiz auf Dr. Faust ausübt. Fromm, artig, schüchtern, naiv und natürlich unschuldig - so soll es sein, das Gretchen. Ich weiß nicht warum, aber ich hab sie mir irgendwie auch blond vorgestellt (vielleicht wegen ihrer Naivität? Sorry an dieser Stelle an alle Blondinen ;-)) Das Gretchen, welches uns hier jedoch präsentiert wurde, war eher keck, frisch, fröhlich frei - und die Unschuld nahm man ihr irgendwie auch nicht so recht ab. Für mich, als Fan des Stücks "Gretchen 89 ff", läßt sich daher mehr aus der Rolle machen. Erst nachdem Margarete ihre Unschuld verloren hatte und mit ihrem Schicksal haderte, bis sie schließlich halb von Sinnen als Doppelmörderin ihrem Tod entgegenblickt, war sie richtig glaubwürdig. Die dramatische Seite konnte hier also viel besser verkörpert werden als die unschuldige.
Frank und ich mussten dann auch kurz überlegen, was denn nun die Gretchenfrage gewesen sei, aber mir fiel dann auch wieder ein, dass es diese war: "Nun sag, wie hast Du's mit der Religion?" Eine Gretchenfrage ist also stets die direkte, an den Kern eines Problems herangehende Frage.

Mir am Besten gefallen hat allerdings die Darstellung der Nebenrolle Mathe Schwerdtlein, der Nachbarin von Gretchen. Herrlich verrucht und einen Hauch vulgär macht sie sich an den Teufel heran! Hier fehlte die Ironie und der Klamauk, war echte Leidenschaft im Spiel und in all ihrer geheuchelten Trauer und unterdrückten Libido war sie die authentischste Figur von allen!

Es gibt so viele Bilder und Redewendungen im Faust! Des Pudels Kern, die Gretchenfrage, aber auch "Die Kunst ist lang doch kurz ist unser Leben", "Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein", "Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen", "Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles" - es kommt mir vor, als gehörten all diese Verse zum täglichen Sprachgebrauch meiner Kindheit, so oft hat mein Vater sie im täglichen Leben gerne zitiert. Auch die Frage, wie denn nun Dr. Faust mit Vornamen hieße, könnte ich bei Günter Jauch nun auch wieder beantworten, ist doch des Gretchens (fast) letzter Hauch: "Heinrich, mir graut vor Dir!" Ich glaube, das ist auch die einzige Stelle im Stück wo der Vorname überhaupt erwähnt wird.

Fazit: Die Inszenierung "Faust, der Tragödie erster Teil" der Städtischen Bühnen Münster in der Spielzeit 2007/2008 ist mitreißend und modern, laut und lustig, bunt und burlesk, unbeschwert und unterhaltsam. Sie wirkt wie ein buntes Feuerwerk voller spritziger, innovativer Ideen. Wie bei einem ausgiebigen Feuerwerk ist man aber auch hier hin und wieder geneigt, sich die Ohren zuzuhalten. Häufig ist die Darstellung durch optische und akustische Reize überfrachtet - weniger wäre hier wohl mehr gewesen. Für Einsteiger in klassische Stücke, Deutsch-Leistungskurs-Beleger und Theater-Abo-Pflichtbesucher war es sicher ein sehr unterhaltsamer Abend. Für uns auch. Aber eben "fast nur" unterhaltsam - wie ein guter, gefälliger Kinofilm eben. Ganz losgelassen hat aber vor allem Frank die Thematik nicht und er hat eben doch etwas länger von dem Theaterstück gezehrt, als von einem Besuch im Zelluloid. Ein Besuch des Stücks lohnt sich trotz der Leichtigkeit in jedem Fall - und sei es auch nur, um einen schönen Abend im Theater zu verbringen.

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