Sonntag, 7. Dezember 2008

In the Dojo - A Guide to the Rituals and Etiquette of the Japanese

Autor: Dave Lowry
Gelesen und kommentiert von Dr. Volker Tschannerl (2. Dan Shotokan-Karate)

Es gibt Fragen, die kann, muß man sich aber als Mitglied eines Karate-Vereines nicht
stellen:
„Weshalb stehen die höheren Grade zumeist rechts des Eingangs? Gibt es einen
Zusammenhang zwischen der Dojo-Architektur und dem Daoismus? Weshalb ist der
Karate-Gi weiß? Muß ich mich verbeugen? Gibt es ein japanisches Pendant zum
„Wintertraining“, Kangeiko, wenn es im Sommer stattfindet? Wie soll ich ein
lebenslanges Training meistern?“ Usw. usf.

Wollen wir Antworten, so brauchen wir einen Fachmann, der nicht nur selbst Budoka
ist, sondern sich noch dazu in der japanischen Sprache und Kultur sehr gut auskennt.
Und dann sollte er auch noch einigermaßen verständlich schreiben können. Eine
schwere Herausforderung. Who´s that guy?

Dave Lowry ist ein im anglo-amerikanischen Raum sehr bekannter Budoka, von Haus
aus Kendoka, der in zahlreichen Fachzeitschriften viele Beiträge zu verschiedenen
Kampfkünsten und anderen Exotika Japans veröffentlicht hat. Hinzu kommen u. a. eine
Autobiographie, die in der Hauptsache seine langen Aufenthalte in Japan behandelt,
und ein Sushi-Führer für den Besucher Nippons. Will heißen, der Mann kennt sich aus
und blickt über so manchen Tellerrand.

Das macht auch das zu besprechende Buch aus. Es ist kein Technik-Lehrbuch, kein
Lebensratgeber, keine Lebenslegende. Dafür sind die Themen umso spannender und so
weitgefächert, daß jeder Budoka und Japan-Interessierte etwas mitnehmen kann:

DAS DOJO
„Das Zentrum, das Herz des Dojo ist das „Embu-Jo“, der tatsächliche Trainingsraum, der „Jo“, in dem der „Krieger“ (bu) „agiert“ (em). Hier wird weder gesprochen, noch
theoretisiert.“ (28)

BESUCHER (O-Kyaku-San)
„Window-shoppers passen gut zu einem Autohändler oder einem Juwelier. In einem
Dojo haben sie meistens nichts zu suchen und sie merken das gewöhnlich auch recht
schnell selbst.“ (32)

DIE UNIFORM (Keikogi)
„Das Tragen eines Keikogi ist sichtbares Zeichen dafür, daß man etwas Besonderes tut.“ (60)

DER HAKAMA
Japanisches Sprichwort: „Kae nai, karare nai, tatame nai“: „Kann´s mir nicht leisten,
kann´s nicht tragen, kann´s nicht falten.“ (78)

WAFFEN (Buki)
„Werden in einem Dojo Waffen öffentlich abgelegt so erinnern sie uns daran, daß jede
Kampfkunst des Budo tödlich sein kann.“ (93f)

DER SHINTO-SCHREIN (Kamidana)
„Letztlich betrachtet das Shinto das Leben als „Fluß“ – nagare (96). Der Budoka lebt im Dojo neben einem großen Fluß. Er kann darin ganz eintauchen, daraus fischen, oder
sich immer wieder auf das Ufer zurückziehen. (99) Egal welcher Religion: Der Budoka
hat in seinem Training an der Strömung Anteil.“ (112)

KONTEMPLATION (Mokuso)
„Moku“ heißt „zum Schweigen bringen“, „So“ heißt „Denken“. „Man kann das als
„Meditation“ verstehen. Besser ist vielleicht: „Ein Moment des Übergangs“. (113) „Wenn wir diese Momente dazu nutzen, die Übergänge des Lebens zu akzeptieren und sie zu leben, dann sind sie nicht umsonst.“ (115)

VERBEUGUNG (Ojirei)
„Bewege Dich nicht spastisch. Neige Deinen Oberkörper so sanft als möglich ... Mach
eine kurze Pause und strecke ihn wieder mit derselben Langsamkeit. Nacken und
Wirbelsäule sollten eine Linie bilden. … Um sich voreinander zu verbeugen sollte immer die rechte Distanz herrschen. Man kann sich korrekt verbeugen und doch die andere Person im Visier behalten. Im Stehen sollte man sich soweit von seinem Gegenüber befinden, daß man sich korrekt verbeugen und dennoch immer dessen Füße sehen kann.“ (121 ff.)

DIE BUDO-SPRACHE (Heigo)
„Ausdrücke der `Militärsprache´ sind nicht Teil des umgangssprachlichen Vokabulars
des durchschnittlichen Japaners. Heigo ist eine japanische Sondersprache mit eigenen
Regeln und Anwendungsbereichen. Benutze sie nur in diesem Zusammenhang“ (135 ff.)

SENSEI
„Glück und Schicksal haben es ihm ermöglicht, ein gewisses Maß an technischem
Können und den Willen, dies zu verbreiten, zu vereinen. … Er ist kein Coach, keine
Vaterfigur, kein Orakel, kein allwissender Heiliger oder gar unbesiegbar. (138ff) … Er ist den Budo-Weg ein wenig – oder vielleicht auch viel – weiter gegangen und
zurückgekehrt, um Schüler zu unterrichten. Da er denselben Pfad noch einmal, aber
nicht zum ersten Male geht, um andere zu führen, sieht er eine andere Reise vor sich,
(24) oder er betrachtet sie zumindest mit anderen Augen. Sensei und Deshi lernen in diesem Prozess gegenseitig voneinander.“ (158f)

GELD (Okane)
„Das Geld wird dann zu einem Problem und zu einer Befleckung, wenn es in einem Dojo
an die erste Stelle rückt – anstatt der Förderung und Perfektionierung des Budo.“ (162)

DER SCHÜLER (Deshi)
„Ein Deshi ist nicht nur ein neuer Schüler. Er ist jemand, der Teil einer Familie werden möchte. Ein neuer, in diesem Sinne junger Deshi ist im Japanischen auch ein
Shoshinsha: ,Eine Person mit dem Anfängergeist´. Ein weiser Schüler bleibt sein Leben
lang ein Shoshinsha. (163) Ein weiterer Ausdruck für den Deshi ist Monjin: ,Eine Person,die an der Eingangspforte steht.´ (164) … In dem Augenblick, in dem man einem Dojo beitritt, befindet man sich in einer hierarchischen Struktur. Diejenigen, die vorher beitraten, sind Sempais, diejenigen, die später beitraten, Kohais. (168)

DAS DOJO-JAHR
„Jedes Dojo hat seine regelmäßigen, alljährlichen Trainingszyklen und auch Feiern.
Versuche, an möglichst vielen teilzunehmen.“ (187)

Der Ton von D. L. ist – wie immer – knapp, präzise und nicht selten von Ironie begleitet. Das macht auch die Übersetzungen so schwierig. Die Kapitel sind durchweg äußerst informativ und hier wird mit so manchen westlichen Idealisierungen aufgeräumt. Dabei bleibt der Autor immer „traditionell“ oder „konservativ“. Er sucht nach rationalen, zumeist kulturellen und historischen Erklärungen. Er findet das rechte Maß, um zwischen der Andersartigkeit fernöstlicher Weltsicht und dem westlichen Bedürfnis nach Erklärung zu vermitteln. Zudem ist D. L. eigenwillig und spekulativ. So manches Statement soll wohl bewusst provozieren und man kann sich darüber trefflich streiten. Hier wird der Leser aufgefordert, mitzudenken und sich mit sich selbst und seiner „Kampfkunst“ kritisch auseinanderzusetzen.
Meiner Meinung nach sollte dieses kleine Büchlein in keiner Budo-Bibliothek fehlen. Es ist eine kurze, aber nicht leichtgewichtige Einführung in die Welt japanischer
Kriegskünste und Weltsicht.

Herzlichen Dank, Volker, für die Rezension und die Erlaubnis, diesen Text in meinem Blog zu veröffentlichen!

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