Samstag, 21. Februar 2009

Zum Heulen schön

Gestern hatte ich mich endlich mal wieder aufgerafft, um bei Sensei Jörg Gantert zu trainieren. Ich hatte schon einige Male mit dem Gedanken gespielt - irgendwas kam aber immer dazwischen. Das war schon so verdächtig, dass mir langsam klar wurde: Ich traute mich einfach nicht! Ein kleinwenig war ich ja doch raus aus dem Training und fing grade erst wieder an, mich für mich selbst (und nicht nur als Trainerin der Anfänger) mit Karate zu befassen. Da ist die Hemmschwelle groß, sich wieder in das Dienstagstraining zu Michael zu trauen oder eben auch in das mit einer unglaublichen Athmosphäre geladene Dojo von Jörg. Aber es half ja nichts - es musste irgendwie weitergehen. Also schickte ich gestern Mittag eine sms an Jörg mit der Frage, ob das Training (trotz der tollen Tage) stattfände. Die Antwort war eigentlich schon klar: für solche profanen Feierlichkeiten würde Jörg das Training nicht ausfallen lassen. Vielleicht war die sms auch nur meine eigene Rückversicherung, nicht wieder zu "kneifen" oder andere fadenscheinige Prioritäten zu setzen und mich vor dem Training zu drücken.

Bei der Ankunft gab es ein überaus herzliches und großes Hallo seitens der bereits auf den Trainingsbeginn wartenden Karateka. Das tat total gut und meine Aufregungs-Schmetterlinge im Bauch suchten fast alle bereits jetzt das Weite. Das eigenständige Aufwärmen bestand in einem durch die Trainierenden selbstorganisierten Katatraining wobei wir einige Senteikatas und die Heiankatas durchliefen.

Dann rief Jörg zum Trainingsbeginn, alle aufstellen. Ohje, ich war ja mit dem Angrüßen dran, das in diesem Dojo von dem des "Stadtdojos" abweicht. Aber ich bekam es auf die Kette, was ich daran erkannte, dass Jörgs Gesicht die ganze Zeit neutral blieb und dort kein Schmunzeln zu erkennen war.

Der Trainingsinhalt war klar: "Wir machen ein bischen Kumite - ganz locker!" Soll heißen: Dellen, bis die Fetzen fliegen! Na, denn - ein Zurück gab es jetzt nicht mehr und eigentlich ist Kumite ja auch meine Lieblingsdisziplin. Ich ärgere mich immer, dass ich dort so starke Defizite habe! Starte ich auf einem Turnier, schneide ich in Kata meist überraschend gut ab, im Kumite fliege ich aber sofort raus! Eines meiner erklärten Hauptziele für das Karatetraining 2009 ist daher: Kumite verbessern! Also passte diese Einheit ja eigentlich ganz gut ins Konzept.

Wir übten Grundlagen wie Gyaku-Tsuki. Hier lag der Schwerpunkt darauf, eine möglichst große Distanz zu überwinden. Es war für mich recht schwer - aber irgendwie hatte der Januar-Lehrgang von Risto hier eine kleine Grundlage gelegt, so dass ich zumindest das Gefühl hatte, diese Übungen doch schon mal irgendwo gemacht zu haben. Ich versuchte zudem, auf den Hüfteinsatz zu achten und auf den Impuls aus dem hinteren Bein - aber wie das so ist: Wenn man an zuviele Dinge gleichzeitg denken will, schlabbert es doch an allen Ecken und Kanten. Besonders schwierig war für mich der Doppelangriff mit Gyaku-Tsuki: Man musste darauf achten, mit dem vorderen Bein weit vor zu gehen (auf Höhe vorderen Fußes des Partners) und dann zu schlagen. Die Ferse hinten sollte dabei ruhig hochkommen. Anschließend Arm und Schulter, Körperschwerpunkt und Hüfte und: auch den vorderen Fuß (ein wenig) zurückziehen - erst dann wieder mit dem zweiten Angriff vor.

Zwei meiner wechselnden Trainingspartner fielen mir durch besonders gute Leistungen auf: Anja, die trotz Handfraktur eine unglaubliche Härte und Schlagkraft an den Tag legte und Till, der trotz seines jungen Alters stark und schnell schlug (wenn auch noch ein wenig verkrampft). Er ist erst 17 Jahre alt und damit noch lange nicht auf dem Höhepunkt seiner Karate-Leistungskraft. Ich kann mir vorstellen, dass hier ein zukünftiter Kaderathlet schlummert!

Keine Überraschung dagegen war für mich Sempai Daniel: Gewohnt unbarmherzig bewegte er sich bei den Partnerübungen auf mich zu, so dass ich meine liebe Mühe hatte, aus dem Weg zu kommen. Etlilche Male spürte ich das leichte Vibrieren des Spiegelglases in meinem Rücken.

Die Krönung der Einheit war dann die abschließende Runde des Partnertrainings: Abwechselnd angreifen mit einer "Lieblingstechnik" bzw. einer Kombination von Lieblingstechniken. Gerne probiere ich die Kombination Kizami- / Gyaku-Tsuki mit nachfolgendem Kizami-Mawashi-Geri Jodan aus. Aber bei Zweimetermann Daniel konnte ich natürlich den Mawashi vergessen: Statt seines Kopfes hätte ich vermutlich allenfalls seine Rippen getroffen! So blieb mir die zuvor von Jörg geschulte Kombination von Kizami- / Gyaku-Tsuki Jodan mit direkt nachfolgendem Kizami- / Gyaku-Tsukui Chudan. Es klappte erstaunlich gut, man macht damit gut Distanz und bringt den Partner ganz schön aus dem Konzept! Anfangs jedenfalls - denn wir übten auf diese Weise scheinbar endlos. Allmählich schlich sich die unsinnige Idee in meine Gedanken: Ich kann nicht mehr, ich habe keine Lust mehr, wann ist es endlich zu Ende? Natürlich ärgerte ich mich im selben Moment über mich selber und über meinen nachlassenden Kampfgeist! Aber auch in Daniels Gesicht und Körperhaltung erkannte ich nachlassenden Willen und Kraft. Das wiederum spornte mich wieder an und mit einem automotivierenden Kampfschrei ging es in die nächste Runde. Das Partnertraining entwickelte sich zu einem mentalen und körperlichen Gemetzel, denn trotz aller Kontrolle wurden Angriffe und Blocks mit nachlassender Kraft und Konzentration unsauberer. So bekam ich einge Treffer ab und bei den kurzen Yame-Pausen war ich stark versucht, einmal nachzusehen, ob z. B. am Arm bereits ein blauer Fleck zu sehen war. Dazu aber ließ ich mich nicht hinreißen - zu sehr stand ich im Fokus von Daniels konzentierten Blick und Sanshin! So konnte sich in den Pausen zwar der Körper geringfügig erholen - der Geist blieb jedoch wachsam und es kam mir vor, als wäre ein starkes Energieband von Daniel zu mir quer durch das Dojo gespannt. Für mich, in meinem derzeitgen Trainingsstand, war dies schon fast eine mentale Grenzerfahrung! Als wir dann schließlich erschöpft im Seiza meditierten, war ich noch immer total ergriffen. So ein intensives Training hatte ich lange nicht erlebt. Ich weiß nicht, ob es an der nachlassenden Anspannung lag oder einfach an dem Glück, wieder eine intressante Grenzerfahrung gemacht zu haben - aber ich war fast den Tränen nahe!

Eine tolle Erfahrung, eine super Turniervorbereitung und eine herzliche Atmosphäre - fest steht: Der Freitag ist jetzt fest für diese Trainingseinheit reserviert!

OSSS

PS: Hey, Daniel, trag Dich doch mal als "regelmäßiger Leser" ein!

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