Mein Mann und ich kommen grade aus dem Wolfgang-Borchert-Theater zurück. Es gab Aki Kaurismäkis "I hired a contract killer". Wir hatten extra Karten vorbestellt - stolze 19 Euro pro Karte, denn ich wollte gerne recht weit vorne sitzen. Wir kamen erst spät los und mussten auch noch zum Geldautomaten. Ich war fast sicher, dass die Karten nicht mehr zurückgelegt waren, war es doch schon kurz vor Vorstellungsbeginn, als wir das Theater erreichten. Ich sprang schnell aus dem Auto und überließ Frank die nervige Parkplatzsuche. Im Foyer die erste Überraschung: außer mir nur ca. fünf Leute da! Hatte ich mich doch mit der Anfangszeit vertan? Dann kam Frank und es erklang auch gleich der "Gong" in Form eines schrillen Klingelns. "Scheiß Klingelton", grinste Frank und wir betraten den Zuschauerraum. Lags an der Landtagswahl oder am Muttertag? Jedenfalls war das Theater nur zu einem Drittel gefüllt. Die Platzanweiserin forderte dann auch großzügig alle, die auf den hinteren Sitzen Platz genommen hatten, auf, sich doch gerne nach vorne zu setzen. Na prima, da hätten ja auch 16 Euro für die "billigen Plätze" gereicht! Unmittelbar vor uns waren noch zwei Plätze in der ersten Reihe frei - ich hatte schon fast meinen Handtaschen-Rucksack auf den Sitz vor mir geworfen, da hörte ich meinen Mann neben mir murmeln: Ich bleib hier, hab keinen Bock, zu wechseln! Und da waren auch schon zwei andere Leute auf den Sitzen vor uns - fassungslos stellte ich fest, dass es sich offenbar der Größe nach um zwei Basketballspieler handelte!
Nun, meine Stimmung passte gleich zu Beginn also schon mal recht gut zu einem Stück, in dem sich ein Suizid-Kandidat von einem Auftragskiller töten lassen will, weil in seinem Leben einfach alles schief zu gehen scheint!
Als das Stück begann, fiel mir schlagartig wieder ein, was ich im Feuilleton der Westfälischen Nachrichten darüber gelesen hatte: Handlung unterhaltsam mit überraschenden Wendungen, Kullisse einfallsreich - und: selbstgemachte Geräusche. Das heißt: Türenknarren, ein klimpernder Schlüsselbund oder auch die Fahrgeräusche der U-Bahn und das Quietschen eines über Papier gleitenden Filzstiftes wurden von Schauspielern gemacht, die grade keine Rolle zu spielen hatten. Es war herrlich! An einer Stelle vergaß einer der Schauspieler mal, das Türquietschen nachzuahmen und man kam sich fast so vor, als wäre der Lautsprecher defekt ;-) Die U-Bahn war so genial untermalt - man hatte direkt den typischen, muffigen Geruch der Tube oder auch der Metro in der Nase, die heiße, trockene Luft im Gesicht und fühlte sich irgendwie "ungewaschen", als hätte man einen ermüdenden Tag voller Fahrten unter der Erde in Verbindung mit ermüdenden Fußmärschen hinter sich gebracht.
Die Handlung ist fix erzählt: Der in London lebende Franzose Henri Boulanger lebt ein Leben ohne Höhepunkte. Selbst seinen 42 Geburtstag nimmt er nicht zur Kenntnis - und auch sonst niemand! Dann verliert er seinen trockenen und langweiligen Job in der Londoner Stadtverwaltung und plötzlich fällt ihm auf, dass er jetzt nichts und niemanden mehr hat! Selbst "Tante Charlotte", die einzige Verwandte, die ihm einfällt, ist inzwischen tot! Henri beschließt, dass sein Leben keinen Sinn mehr macht, kündigt seine Wohnung und besorgt sich einen Strick. Mit der Schlaufe um den Hals springt er von einem Hocker - doch der Haken bricht aus der Wand und Henri überlebt! Dann will er sich mit Gas aus seinem Herd vergiften - leider streiken in diesem Moment die Gaswerke! Ergebnis: Henri lebt! Zufällig erfährt er, dass im Drogenmillieu Auftragskiller ihr Unwesen treiben - das ist die Lösung! Er läßt sich in die finsterste Ecke Londonds fahren, in die sich selbst der Taxifahrer nicht mehr traut. Besonders genial dargestellt waren jetzt die finsteren Gestalten, die er hier um Hilfe bittet! Gegen viel Geld kann er tatsächlich einen Killer anheuern. Zurück in seiner Wohnung ist er - vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben - richtig aufgeregt! Er lauscht, ob der Killer schon vor der Tür steht und stellt sich schon mal vor die geöffnete Tür, um diesen zu erwarten. Der Killer kommt aber noch nicht und nach einer Weile beschließt Henri, in den Pub gegenüber zu gehen, um etwas zu essen. Dort trifft er die Blumenverkäuferin Margaret ("wolle Rose kaufe" hat sie zwar nicht gesagt, aber ich denke, das ging allen Zuschauern durch den Kopf ;-) und verliebt sich. Plötzlich hat sein Leben einen Sinn! Mist, jetzt hat er ja den Killer beauftragt! Es beginnt eine atemberaubende Jagd vor dem Unhold, der ja eigentlich auch nur wie Henri immer bisher in seinem Leben, sehr pflichtbewusst ist. Der Killer selbst befindet sich im Endstadium einer Lungenkrebserkrankung und will nur noch eben diesen Auftrag erfüllen - ist natürlich jetzt umso verbissener. Herrlich, mit welchen Mitteln hier auf der Bühne agiert wird! Das ist doch das Schöne am Theater - wie hier mit relativ wenigen Mitteln Szenen dargestellt werden können, für die es sich Filmemacher mit Special-Effekts leicht machen!
Sehr genial war in diesem Stück auch die Dreh-Bühne, die mit wenigen Handgriffen oder durch in die Handlung integrierte Bewegungen eine neue Kulisse entstehen ließ! Die Handlung trat diesmal hier fast in den Hintergrund und das Ende war keine große Überraschung: Am Ende der Verfolgungsjagd stehen sich Killer und Auftraggeber gegenüber, der Killer erzählt kurz von seinem eigenen Schicksal, zieht die Pistole, zielt auf Henri - und bringt sich dann selbst um! Henri hat es geschafft, er ist den Killer los! Jetzt freut er sich auf ein Leben mit Margaret, die im Taxi zu ihm eilt:"Fahr schneller!", ruft sie dem Taxifahrer zu. Der tut wie geheißen - und fährt dabei Henri über den Haufen, der prompt von der Bühne fällt! Hier liegt er reglos, Margaret, Taxifahrer und die Zuschauer schauen fassungslos auf den reglosen Körper! Aber da regt er sich auch schon wieder, rappelt sich auf, schaut überrascht in die Zuschauerreihen - und das Stück ist zuende.
Insgesamt war es ein sehr kurzweiliger Abend! Das Stück dauerte nur eineinviertel Stunden, es gab keine Sektpause zum Geldausgeben und so waren die 19 Euro auch schon wieder relativiert. Meinem Mann hab ich die verpassten Sitze in der ersten Reihe auch vergeben: Die "Basketballspieler" genossen die Beinfreiheit und rutschten tief in die Sitze und schließlich hatten wir nach dem Stück noch einen schönen Spaziergang am Kreativkai entlang. Ein sehr schöner Abend - das Leben kann so schön sein :-))
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