Erlebt und geschrieben von Andrea Haeusler und Torsten Uhlemann
Andrea: Sommer, Sonne, Ferienzeit – halb Deutschland fährt zum Sonnenbaden in südliche Gefilde und wir zum Karate nach Tschechien! Nicht nur die Römer spinnen, könnte man meinen! Für Torsten und mich gibt es allerdings nichts Schöneres, als bei weltbesten Karate-Instructoren und mit netten Freunden dreimal täglich zu trainieren: Morgens um 8 ein Stündchen Kata, kurz vor Mittag und am Nachmittag dann noch mal je eineinhalb Stunden Kihon, Kata Kumite. Unsere tschechischen Nachbarn hatten bereits zum 10. Mal zu diesem Sommerevent eingeladen – jedes Mal mit hochkarätigen Instructoren, wie Shihan Ochi, Shihan Sugimura und Naka Sensei – oder einige Male auch die Instructorin Sensei Yuko Takahashi. In diesem Jahr wurde das Training wieder von einer absoluten Trainingselite geleitet: Naka Sensei, seinem Schüler Okuma Sensei und dem Newcomer am Instructorenhimmel, den 1987 geborenen Chubachi Sensei, der in 2014 einen Weltmeistertitel im Kumite erkämpfte (und dabei seine Vorderzähne einbüßte). Nur drei Ton angebende Senseis (unterstützt von den besten Karatekas des Gastgeberlandes) – dafür aber Karate aus „einem Guss“.Wenn man bei anderen Gasshukus mit einer umfassenderen Trainerriege von der Vielfalt der Eindrücke profitiert, liegt der Reiz bei dem – auch hinsichtlich der Anzahl der Trainierenden – erheblich kleineren, tschechischen Pendant grade darin, dass die Einheiten inhaltlich stark aufeinander abgestimmt sind. Ich persönlich ziehe aktuell einen besonders großen Nutzen, wenn ich mir bekannte Trainingselemente erweitern und vertiefen kann. Und da fühle ich mich beim Czech Gasshukku sehr gut aufgehoben!Die Anreise war diesmal – trotz der Gesellschaft unserer charmanten Reisegefährtin Margot – eine ziemliche Tortur! So schön das Städtchen Prachatice auch ist – idyllisch gelegen im Böhmerwald und so .... aber es ist mit knapp 800 km schon echt eine Strecke bis dahin! Das war aber eigentlich schon der einzige Aspekt, der ein kurzes Jammern rechtfertigt – denn sonst passte einfach alles: Das schöne Hotel Albatros Sport hielt mit seiner Nähe zu der Sporthalle (ca. 300 m Fußweg – einmal über den Sportplatz), was der Name verspricht! Das Personal war mehr als bemüht, uns alle Wünsche von den Lippen abzulesen. Die Preise für Essen und Getränke waren für uns ein „Witz“ und selbst über die hochsommerlichen Temperaturen konnten wir nicht klagen – denn während zu Hause fast die 40 Grad-Marke erreicht wurde, pendelte sich das Thermometer bei uns im Anfang-30-er-Bereich ein. Und das allerbeste war die Air-Condition in der Halle: Etwa alle 20 Minuten erhob sich ein ohrenbetäubendes Getöse und die Temperatur in der Halle sank um gefühlte 10 Grad! Vermutlich wurde hierfür so viel Energie benötigt, dass im Ort in dieser Zeit alle Lampen ausgingen – aber war uns in diesem Moment egal – wir hatten die besten Trainingsvoraussetzungen!
Torsten: Am ersten Tag starteten wir mit Katatraining bei einem unserer tschechischen Freunde, Sensei Richard Ruzicka. Nach einem Aufwärmen mit Fokus auf die Hüftarbeit gab es die Kata Bassai Dai. Auch hier gab es natürlich einen Fokus auf die Hüftarbeit, aber Richard hatte auch noch andere Besonderheiten für uns auf Lager: so z.B. bei Technik sechs, dem Umsetzen um 90 Grad von Migi Uchi Uke zu Migi Soto Uke. Wichtig ist hier, dass kein Stopp in Heisoku Dachi mit Gedan Nagashi Uke gemacht, sondern fließend am Standbein vorbei direkt in Zenkutsu Dachi mit Soto Uke gewechselt wird. Ebenso verzichtete er vollständig auf die Ausholbewegung mit dem linken Arm. Die nächste Korrektur betraf dann die Folgetechnik nach dem Gedan Nukite. Diese sollte nur mit sehr kurzer Kimephase ausgeführt werden und unmittelbar danach der Manji Uke in Heisoku Dachi schnell begonnen und langsam auslaufen gelassen werden. Sehr gute und interessante Hinweise, deren Umsetzung sich als deutlich schwieriger gestaltete, als deren Beschreibung. Insgesamt ein sehr lehrreiches Training und toller Auftakt fürs diesjährige Czech-Gasshuku! Sehr spannend ging es dann weiter in Einheit 2 bei Okuma Sensei. Wir begannen recht unspektakulär mit der Anfänger-Kata Taikyoku Shodan, die der Sensei nach und nach mit uns zu einer Vorbereitung auf das Kumite ausarbeitete: Varianten mit Tai Sabaki, Suri Ashi, Uraken/Gyaku Tsuki, Kizami Maeashi Geri und so weiter. Der Sensei bat uns, auf drei Komponenten zu achten, die unsere Techniken stark machen: Atmung, Bewegung der Körperachse und Gewichtsverlagerung. Wirklich erstaunlich, was man alles aus so einer doch recht schlichten Kata machen kann!
Andrea: Ich hatte in dieser Einheit das spezielle Vergnügen, mich genau zwischen den beiden Top-Karatekas Giovanni Macchitella und Emanuele Bisceglie zu befinden, die diese Übung ausführten, als hätten sie die letzten 20 Jahre nichts anderes gemacht und - sich gegenseitig anfeuernd - mit einem sichtlichen Spaß zur Sache gingen! Es war fantastisch anzusehen – auch wenn ich zwischen den beiden etwas hilflos hin und her stolperte J
Torsten: Nachmittags gab es dann Training bei Naka Sensei. Wir machten eine Vorübung im Stand mit Choku Tsuki, bei der es um den richtigen Einsatz von Atmung und Hüfte ging – unter anderem auch mit Fokus auf den Naka-typischen Double-Twist. Diesen sollten wir auch bei schneller Ausführung der Tsukis umsetzen – 1 Tsuki, 2 Tsukis, 3 Tsukis, jeweils so schnell wie möglich hintereinander. Das Tempo war enorm und wer noch nicht warm war, der wurde es jetzt! Als nächstes ließ uns auch Naka Sensei die Taikyoku Shodan laufen – erst normal, dann in einer Variante, bei der wir üben sollten, den Körper auch auf einem Bein stehend fest und stabil zu haben. Im Anschluss setzten wir dieses Prinzip (Risto nennt es „auf einem Bein landen“) im Kumite um: Wir bildeten eine „japanische Reihe“: Gruppen zu acht Personen, bei denen vier hintereinander im Zenkutsu Dachi stehen und die vier anderen nacheinander mit Kizami Tsuki angreifen. Danach ging es weiter in 12er Gruppen, hier griffen sechs Karateka an, die anderen standen als Ziel in der Reihe. Hier wurde abwechselnd mit Kizami Tsuki und Gyaku Tsuki angegriffen, jeweils Fokus auf Belastung des vorderen Beins („landen“). Zum Abschluss der Einheit gab es die Kata Jion.
Andrea: Am nächsten Morgen gabs Kata bei dem Kumite-Weltmeister Chubaci Sensei – und zwar ganz nach meinem Geschmack – Sochin! Das war für mich der perfekte Start in den Tag! Und gleich darauf ging es weiter mit Naka Sensei, der an die Inhalte des Vortags anknüpfte und diese ausbaute, bis wir auch in einem finalen Kumite-Rausch endeten! Einfach klasse!
Torsten: Am Nachmittag gab es Tekki Shodan und Nidan. Die Katas haben für Okuma Sensei je verschiedene Schwerpunkte: Bei der Tekki Shodan soll der Fokus auf die Hüftbewegung gelegt werden. Tekki Nidan dient der Schulung der Gewichtsverlagerung im Kiba Dachi (und die Tekki Sandan „is for speed“)!
Andrea: Tag 3 - hach, ein Traum – Chinte bei Naka Sensei zum Frühstück! Aber was war das? Das erste Kiai verschoben? Dafür Kiai auf dem letzten Tate Tsuki? Nun, diese Variante ist offenbar nicht neu, sondern bereits seit einiger Zeit JKA-Standard. Das bekommt man aber nur mit, wenn man auch mal aus dem heimischen Dojo raus geht. Bei uns werden wir jedoch auch weiter die Variante von Ochi Sensei trainieren!
In der zweiten Einheit hatten wir Chubachi Sensei. Ich mag sein Training sehr, auch wenn ihm offenbar noch ein bisschen die Übung beim Training größerer Gruppen fehlt. So ließ er uns z. B. bei längeren Erläuterungen nicht zusammen nach vorne kommen, sondern erklärte, während wir noch alle an der Stelle standen. Leider dachten nicht alle Karateka daran, sich abzusetzen, so dass von hinten manchmal kaum etwas zu sehen und zu hören war. Ein oder zweimal erklärte er auch Feinheiten, während wir ihm grade alle übungsbedingt mit dem Rücken zugewandt waren. Abgesehen davon war es aber ein super Training. Chubachi Sensei startete mit Kihon-Übungen zur Gewichtsverlagerung als Vorbereitung zur Kanku Dai. Und anschließend gab es dann die Kata noch in „Scheibchen“ und schließlich auch am Stück.
Nachmittags machte Okuma Sensei mit uns alle drei Tekkis – die Sandan führten wir mit Partner aus – einer „normal“, der andere gegenüberstehend und spiegelverkehrt. Torsten und ich bekamen das schon ganz prima hin! Zudem gab es noch Bunkai aus Tekki Shodan und Nidan – wir hatten einen Mords-Spaß!
Torsten: Der vierte Tag startete mit Hangetsu bei Okuma Sensei mit vielen Feinheiten! Und auch am Nachmittag stand Kata auf dem Programm: Gankaku bei Chubachi Sensei! Die Gankaku übernahm dann auch Naka Sensei am Nachmittag – allerdings gab es vorher noch eine Wiederholung der Inhalte vom Vortag: Tsukis mit Double-Twist und Taikyoku Shodan mit zahlreichen Variationen. Auch einige knackige Partnerübungen standen auf dem Programm, die unsere Reaktionsfähigkeit schulten und unser Distanzgefühl.
Der fünfte Tag war ebenfalls sehr Kata-fokussiert: Morgens starteten wir mit Nijushiho bei Richard Sensei. In Einheit zwei legte Chubachi Sensei den Fokus auf Gojushiho Sho und am Nachmittag erschöpfte uns Naka Sensei mit den seiner Meinung nach „18 wichtigsten Katas des Shotokan Karate“: Er überraschte viele von uns mit den Taikyoku-Varianten Nidan und Sandan. Die Heian Katas und alle drei Tekkis ließ er uns vor den Sentei Katas ausführen und schließlich nahm er noch Gankaku und Jitte mit in die Einheit auf. Als „Bonus“ gab es dann sogar noch die Ji’in. Alle Katas waren zweimal zu absolvieren, so dass wir ziemlich platt zum Hotel gingen.
Andrea: Den letzten Abend ließen wir – wie die anderen Abende auch – mit unseren Karatefreunden in der hübschen Stadt und am Hotel ausklingen. An diesem Abend genossen wir die Gesellschaft von Chubachi Sensei, der auch noch bei uns blieb, nachdem Naka Sensei und Okuma Sensei schon gegangen waren. Chubachi Sensei war für jeden Spaß zu haben und erklärte uns in aller Offenheit, warum ihm Europa und das Training hier so gefällt.
Am nächsten Morgen genossen wir noch das Kata Training mit Meikyo bei Naka Sensei, der wieder auf einige JKA-Spezialitäten hinwies: nur noch ein Kiai (beim Sprung) in der Kata, Ausholbewegung am Anfang nur bis Kinnhöhe, Bo Uke im Kokotsu Dachi langsam, Blick beim „Entreißen des Bo“ nach vorne, Absetzen mit Doppelblock nach Mikazuki Geri langsam und den linken Arm nicht zur Seite, sondern über dem vorderen Bein. Sehr interessant, das alles und gut, es mal im „Hinterstübchen“ abzuspeichern.
Nach zahlreichen Fotos mit allen Senseis traten wir dann den Heimweg an. Für das nächste Czech Gasshuku haben wir schon Zimmer reserviert – es findet in 2016 nicht ganz so weit entfernt statt: im Örtchen Kadan, für uns knapp 100 km näher. Nun, eigentlich egal – für dieses Karate-Event der Spitzenklasse nehmen wir wohl auch wieder einmal diese Reisestrapazen auf uns, denn es lohnt sich in jedem Fall!
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