Dienstag, 31. Oktober 2017

Karate mit mehr Effektivität

Karate mit mehr Effektivität

Anlässlich der Bitte, außerhalb des eigenen Dojos einen Karatekurs unter den Aspekten „Kraft, Geschwindigkeit und Dynamik“  zu geben, mache ich mir Gedanken zu diesen Themen. Meine Notizen erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und so und freue ich mich über jedes Feedback!

I. Vorbereitung – muskuläre und koordinative Voraussetzungen schaffen
Kraft- und Ausdauertraining sowie Flexibilitätsübungen sollten vor allem im Anfängerbereich jedes Karatetraining begleiten und umschließen. Hierzu empfehlen sich neben klassischer Übungen wie Liegestütz, Situps etc. karatespezifische Bewegungselemente.

Übung: Elemente aus dem Power Pack

Am Anfang vermutlich eines jeden Karatelebens / Karatetrainings stehen wohl eher statische, kantige Bewegungen, um den Körper auf Karate vorzubereiten, Kraft zu generieren, Muskeln zu bilden, die Grund-Ausführung sowie die Endpositionen isolierter Techniken zu verstehen: „So und so wird ein Tsuki ausgeführt, so ein Age Uke, ein Soto Uke oder auch ein Zenkutsu Dachi, Kokotsu Dachi etc.  Bei uns im Shotokan werden die Karate-Stände, zudem anfangs ziemlich lang und tief ausgeführt, damit die Muskulatur gebildet, der Körper vorbereitet wird.

Übung: Tsuki im Heiko Dachi

Übung: Mae Geri im Heisoku Dachi

Anfänger spannen die Muskulatur im Regelfall bei der Ausführung einer Technik noch ziemlich lange an – auch dies zur Bildung der Muskulatur und auch zum Schutz der Gelenke, die bei unkontrolliert ausgeführten Stoß- oder Schnappbewegungen Schaden nehmen könnten. Mit der Zeit soll es ermöglicht werden, nur ganz kurz und „auf den Punkt“ zu stoßen, treten, treffen, also den Moment der maximalen Kraftausübung zu minimieren. Die Trefferwirkung wird so vielleicht weniger „bombastisch“, aber dafür mehr ex- oder vielmehr „implosiv“.

Durch das Treffen „auf den Punkt“ mit der maximalen Anspannung in einem kurzen Moment werden zudem die eigenen Energiereserven geschont: Da der Körper nur kurz die maximale Kraft aufwenden muss, wird er nicht so schnell erschöpft. Kombiniert mit der richtigen Atmung kann man länger wehrhaft bleiben, als bei unkontrolliert und untrainiert andauernd ausgeübter Stärke und Kraft.

Übung: Tsuki im Heiko Dachi – wie vor, dann schneller, dann schnell und stark

Übung: Mae Geri im Heisoku Dachi – wie vor, dann schneller, dann schnell und stark

Um eine Auseinandersetzung mit einem Trainingspartner/einer Trainingspartnerin zu ermöglichen, Formenläufe zu erlernen, sich im Raum zu bewegen, werden verschiedene Bewegungsläufe und Schrittfolgen eingeübt. Im Anfängerbereich muss hier zunächst die Koordination von Armen und Beinen gewährleistet werden. Anschließend kann am optimalen Einsatz derselben gearbeitet werden. Durch meinen hochgeschätzten Sensei Risto Kiiskilä weiß ich ja, dass „am Standbein zu stoppen eine Sünde“ wäre und man  z. B.  bei der Vorwärtsbewegung im Zenkutsu Dachi das hintere Bein fließend am (vorderen) Standbein vorbei ziehen muss.

Durch das Strecken des hinteren Beins erfährt die Technik dann einen Kraft- und Energieschub nach vorne. Im Folgenden sollte es ermöglicht werden, Knie und Ellenbogen gleichzeitig zu bewegen, so dass der Arm z. B. nicht erst lange nach dem Absetzen des Fußes ins Ziel kommt und nur noch der Arm schlägt.

Übung basic: ZK auf drei Zeiten – fließend am Standbein vorbei

Übung plus: ZK auf drei Zeiten, bei Zeit drei Fokus auf deutlichen Abdruck vom hinteren Bein

II. Geschwindigkeit generieren
Hierzu ist es wichtig, die Kraftübertragung zu beschleunigen – die Kraft dadurch vielleicht sogar zu potenzieren. Auch hierfür müssen Muskulatur und Gelenke gut trainiert sein – es soll ja gewährleistet sein, dass trotz schneller Bewegung am Ende kurz eine optimale Anspannung des Körpers gewährleistet ist und dass der eigene Körper keinen Schaden nimmt. Darum ist es wichtig, Bewegungen zunächst langsam und akkurat auszuführen und erst anschließend schneller zu werden.

Neben der eigenen Muskelkraft kann man weitere Energiequellen nutzen, die die eigene Kraft unterstützen bzw. auch für größere Geschwindigkeit sorgen können:

1. Schwerkraft – die Schwerkraft ist immer da – sie umgibt uns ständig und kann uns bei der Beschleunigung unserer Karatetechniken unterstützen. Statt uns aktiv durch Aufwendung von Muskelkraft bewegen zu müssen, können wir versuchen, die Schwerkraft einen Teil der Aufgabe übernehmen zu lassen.

Übung basic: Aus dem ZK über das vordere Knie nach vorne „fallen“ und dadurch schneller werden

Übung basic / Alternative: Hammerfaust mit Partner an der Pratze

Übung: Kriri Kaeshi mit Tsuku im ZK – dabei Schwerpunkt vorne lassen

Übung plus: Wendung auf dem vorderen Bein wie in der Kata Gankaku li vor KK mit Gyaku Tsuki um 180 Grad in KB re vor mit Gedan Barei


2. Bodenkraft - Wenn bei der Schwerkraft die Kraft genutzt wird, die von oben nach unten fällt, können wir im zweiten Aspekt, der Bodenkraft, Energie aus dem Boden  - also quasi von unten nach oben - schöpfen. Hierbei ist es jetzt wichtig, dass wir im Kihon gut gearbeitet, den Körper gut vorbereitet haben. Wer z. B. trainiert hat, die Techniken und Bewegungen mit gutem Fersenkontakt zum Boden auszuüben, hat jetzt Vorteile, da er dadurch ein hohes Kraftpotenzial generieren kann. Durch guten Bodenkontakt können Techniken geerdet und stabilisiert werden. Techniken aus dem "Herumhüpfen" im reinen Sport- oder Wettkampfkarate sehen zwar athletisch aus, ihnen mangelt es aber meist an Kraft und Effektivität.

Übung basic: Tsuki im Heiko Dachi – erst ohne Vorgabe, dann mit Fokus auf den Verlauf der Technik: Der Tsuki beginnt in der Ferse, Kraftverlauf über Fuß- und Kniegelenk, Hüfte, Rücken, Schulter, Ellenbogen bis in die Faust.

3. Innenspannung bei Tachi Waza: Fortgeschrittene Karateka sollten darauf achten, bei  Karateständen eine Innenspannung aufzubauen. Dies ist im Anfängerbereich sehr schwer, vor allem, bei Ständen, bei denen die Knie grundsätzlich eine Außenausrichtung haben (Kokotsu Dachi, Kiba Dachi). Hier sollte man zunächst darauf achten, dass die Knie nicht aktiv nach außen gedrückt werden (wie man es z. B. vor 30 Jahren zuweilen noch vermittelt bekam). Die Knie sollten vielmehr grade über die Fußspitzen geschoben werden. Auf diese Weise werden auch Bänder und Gelenke geschont.

Wenn es den vermutlich eher fortgeschrittenen Karateka gelingt, auch bei diesen Stellungen zusätzlich durch Muskelkraft und Gelenkstellung eine Innenspannung zu generieren (selbstverständlich ohne die Knie nach innen fallen zu lassen), dann komprimiert sich die Kraft aus dem Boden und sorgt für mehr Stabilität und stärkere Techniken.

Übung basic: Zenkutsu Dachi mit Hüftdrehung, bei Hüftstellung Shomen werden die Oberschenkel fest zusammen gezogen. Bei der Hüftrotation darauf achten, dass das beim hinteren Bein der Oberschenkel ausgedreht ist, während Knie und Unterschenkel die Richtung bei behalten.

Übung plus: selbe Übung, aber auch bei Hanmi-Hüftstellung darauf achten, dass zwar die Hüfte ausgedreht, eine Innenspannung in den Oberschenkeln aber bestehen bleibt

Übung plus / Alternative: Innenspannung auch bei Kokotsu Dachi und Kiba Dachi

III: Dynamik für explosive Techniken
Dynamik ist laut Wikipedia "eine von Kräften erzeugte Bewegung", "voll innerer Bewegung", "mit schneller Veränderung", "mit Tatendrang, voller Energie, etwas zu vollbringen".

Eine  Karatetechnik generiert Dynamik demnach durch Bewegung, Kraft und Geschwindigkeit, gestützt von Entschlossenheit und unbedingtem Tatendrang. Wenn wir die Dynamik unserer Techniken steigern wollen, um diese noch effektiver zu machen, müssen wir all diese Komponenten ausbauen.

Während Anfänger die Kraftübertragung „auf den Punkt“ meist noch so umsetzen, dass sie versuchen, die Muskulatur möglichst vieler Körperbereiche gleichzeitig anzuspannen, sollten Fortgeschrittene versuchen, die Muskelketten wie in einem Domino-Effekt nacheinander zu aktivieren.

Bei der Anspannung aller Muskeln in einem Moment wird die Kraftausübung eher im eigenen Körper verwirklicht – was im Anfängerbereich durchaus noch Sinn macht, da wir ja hier noch die Voraussetzungen für kraftvolle Techniken erarbeiten müssen. Auf Dauer sollte ein Karateka aber in der Lage sein, Muskulatur und Gelenke der Reihe nach zu aktivieren mit dem Effekt, dass die Kraft sich über den End- und Trefferpunkt der Körpers (z. B. die Faust) weiterbewegt und tief in den gegnerischen Körper eindringt.  Mit zunehmender Trainingserfahrung muss für einen effektiven Schlag immer weniger Muskelkraft aktiv generiert werden, im Optimalfall kann der Körper so eingesetzt werden, dass ein Großteil der Kraft schon durch eine optimale Gelenkstellung übertragen wird.

Übung basic: Hüft-Rotation im ZK mit Gyaku Tsuki, Fokus auf Kraftaufbau durch Aktivierung der einzelnen Muskelketten und Gelenke von der Ferse über Kniegelenk, Hüfte, Rücken, Schulter, Ellenbogen, Faust

Übung plus: zu zweit zusammen, einer führt Choko Tsuki aus, der andere Partner drückt frontal gegen die Faust des Tsuki – bleibt der Druck bestehen? Im weiteren Verlauf der Übung führt der erste zunächst Uchi Uke aus, streckt dann den Unterarm zum Tsuki. Wieder Kontrolle durch den Partner – Druck nach vorne vorhanden?
Ergebnis sollte sein, dass bei der zweiten Ausführung der Druck wesentlich stärker ist – obwohl keine erhöhte Muskelkraft aufgewandt wurde – es hat sich nur die Gelenkstellung verändert!

IV. Mentales Training
Tatendrang und Entschlossenheit?  Ja, genau! Eine wirksame Karatetechnik muss mit Tatendrang und entschlossen durchgeführt werden, denn „Halbherzigkeit ist der Tod“, wie schon mein erster Sensei Jochen Glaß sagte, dem ich die Basis meines Karatelebens verdanke! Natürlich ist es unumgänglich, neu zu erlernende Techniken oder Technikabfolgen oder Techniken zu Beginn einer neuen Übung mit einem neuen Partner/einer neuen Partnerin umsichtig auszuführen. Andernfalls ist kein Lernerfolg zu erzielen und die Verletzungsgefahr (die eigene und die des Trainingspartners/der Trainingspartnerin) wäre zu groß. Mit Fortschreiten der Übung muss aber die Intensität und Entschlossenheit der Technikausführung maximal gesteigert werden.

Genau so, wie sich die körperliche Kraft durch spezielles Krafttraining üben lässt, so lassen sich auch  Entschlossenheit und Tatendrang trainieren – hierfür ist es unumgänglich, sich mit einem oder mehreren Trainingspartnern immer wieder intensiv in „unbequeme“ und kritische Trainingssituationen zu begeben. Wer immer nur in seinem Wohlfühl-Bereich trainiert, wird diese Entschlossenheit kaum erreichen können.
Zudem lässt sich Entschlossenheit durch mentales Training, durch „Kopfkino“ generieren: Sich reale Selbstverteidigungssituationen vorstellen oder Wettkampfszenen – und dann mehrfach oder regelmäßig im Geiste durchgehen.


Weitere Übungsmöglichkeiten:

Jiyu Ippon Kumite: beim Konter kommt die Faust vor dem Absetzen des Beines (Dynamik)

Kihon Ippon Kumite: Angriff mit Tsuki - Block Te Osae Uke
-       zunächst im ZK, ohne weitere Vorgabe, dann Konter
-       dann Block im KB, Gewicht tief sinken lassen (Bodenkraft)
   
     Wenden auf der Ferse (Bodenkraft) bei  Mawate und großen Wendungen

Samstag, 28. Oktober 2017

SV mit Marcus Neumann

Übungen - Faustschützer/leichte Boxhandschuhe bzw. Sandsackhandschuhe sind empfehlenswert, weitere Schützer waren nicht nötig (außer bei der Übung mit den Motorradhelmen)

Schlag zum Kopf (Haken): Abwehrender nimmt Block seitlich an den Kopf ("Haare kämmen" - Ellenbogen eng an den Kopf, Hand hinter dem Hinterkopf verhaken) - entweder zur Sicherheit beide Arme gleichzeitig oder als Reaktionsübung nur den Arm, der nötig ist

Übung mit Helm (Motorradhelm): Der Helmtragende führt den Haken aus, der andere weicht seitlich aus und schlägt mit der Hand an den Ansatz Arm/Schulter (Shuto Uke). Das ist effektiver, als den Arm wegzublocken. Wenn der Angreifer sehr stark ist, könnte man den Arm sonst nicht halten und der Schlag würde trotzdem Treffen. Dabei weicht der Angegriffene seitlich aus und schlägt dem Angreifer mit dem rechten Handballen (Teisho) vor den Helm. Auch mit Helm ist das schmerzhaft!! Weiterer Schlag mit links kann bei Bedarf folgen.

Übung im Kreis: Kreis zu ca. 8 Personen, eine/r in der Mitte; der/die Mittlere wendet sich einem außen stehenden zu (außen stehende: Gesicht zur Mitte) und wird von diesem attackiert, Block/Abwehr/Konter - ca. 5-10 Sekunden, dann weiter zur/m nächsten, zwei Runden, in großen Gruppen zwei Runden machen.

Türsteher-Übung: zwei große Schlagkissen im Abstand von etwa einem Meter auslegen als "Tür", eine/r als Türsteher/in dazwischen (Türsteher haben, laut Marcus, die Arme am Besten vor der Brust verschränkt, da sie so am Besten gleich in die Deckung gehen können. Bei dieser Übung sollten wir aber direkt in die Kampfhaltung (Kamae) gehen. Die anderen Übungsteilnehmenden stellten sich im Abstand von etwa fünf Metern in einer Reihe hintereinander auf und kamen nacheinander auf den/die Türsteher/in zu, einen Angriff (Schlag, Tritt) ausführend und, wenn möglich, pöbelnd. Der/die Türsteher/in musste die Tür verteidigen (Abwehr, Konter). Ich hatte einen großen Respekt vor der Übung, die dann aber gut machbar war!

Abschlussparcours: zu zweit an verschiedenen Stationen
- frei: Faust und Ellenbogen
- Ellenbogen
- frei
- Faust und Ellenbogen
- Mae Geri
- frei
- Mawashi Geri
....
eine Runde


Montag, 23. Oktober 2017

Kokotsu Dachi - Shuto Uke im Kindertraining

Heute habe ich mir spontan eine neue Übungsform für Kokotsu Dachi mit Shuto Uke einfallen lassen. Ich hatte die Kindergruppe der 6-9-jährigen trainiert - allerdings waren heute sehr viele der kleineren dabei und wenige "Große". Da Ferienzeit ist, war die Gruppe sehr klein und ich hatte mir überlegt, beim Kihon einige Feinheiten zu trainieren, so z. B. die (möglichst) korrekte Ausführung des KK mit Shuto Uke.

Die Kids hatten zum Warm-Up und zum Dampf-Ablassen (das ist in dieser Altersgruppe vor allem außerhalb der Ferien meist das Wichtigste zu Trainingsbeginn) eine Kombination aus Fangenspielen und Karate ausführen lassen: Fangen mit Karateständen, erste Runde Zenkutsu Dachi, zweite Runde Kiba Dachi, dritte Runde Kokotsu Dachi (zwei Fänger, wer gefangen ist, geht in die jeweilige Karate-Stellung, die noch freien Kinder können drunter durch krabbeln, um zu befreien). Bei Bedarf wurde zwischendurch das Spiel unterbrochen und an die korrekte Ausführung der Stände erinnert - die Gefangenen sollten sich also nicht einfach nur mit unmotiviert gegrätschten Beinen hinstellen und der Befreiung harren, die Stände sollten deutlich (!) zu erkennen sein - ansonsten sollten ggf. die Befreier das Hindurchkrabbeln "verweigern". Der Kokotsu Dachi war erwartungsgemäß der am schlechtesten ausgeführte Stand - die Stellung insgesamt zu kurz, Füße in verkehrter Position, Stellung zu hoch, Gewicht nicht ausgewogen verteilt, Knie nicht korrekt ausgerichtet, "Enten-Popo" etc. Also nahm ich mir spontan vor, hier anzusetzen.

Ich ließ die Kinder zu zweit zusammen gehen und sie sollten sich an den Händen fassen und - ohne große Kraft - versuchen, einander nach hinten zu ziehen. Das Gewicht des eigenen Körpers sollte - so meine Idee - auf diese Art nach hinten gezogen werden, so dass die Gewichtsverteilung in etwa der des KK entspricht. Hierbei korrigierte ich stellenweise noch die Fußhaltung und ließ die Popos wieder unter das Rückgrat rücken, die Rücken aufrichten.

Als das einigermaßen klappte ließ ich in einer Reihe aufstellen und erklärte die "Schwerthand": Ich bat die Kids, sich vorzustellen, einem bösen Drachen mit der Handkante den Kopf abzuschlagen - etwas rabiat und blutrünstig, ich weiß, aber da es sich um einen Drachen handelte und nicht um reale Wesen, konnte ich damit leben - und die Kids offenbar auch! Denn sie spannten die Handflächen richtig gut an, offenbar in der Vorstellung, tatsächlich einem Ungetüm gegenüber zu stehen. Ich muss gestehen, dass ich in dieser Altersgruppe eigentlich nicht mehr mit "Geschichten" um die Techniken herum arbeite, aber heute hatte ich irgendwie die Eingabe es zu tun - und es passte super. Vielleicht muss ist das in dieser Altersgruppe doch noch hilfreicher, als ich dachte....Ich probiere das die nächsten Einheiten über mal aus. Jedenfalls hatten die Kids Spaß! Ich erklärte zur Ausholbewegung, dass sie mit der flachen Hand ein Ohr schützen sollten und mit der anderen den Solar-Plexus. Da konnten sie sich dann auch unter der Ausholbewegung etwas vorstellen.

Nachdem ich mit der Armtechnik weitgehend zufrieden war, ließ ich die Kids links vor im KK stehen - was wir ja zuvor geübt hatten. Jetzt die Arme dazu. Ok, passte. Jetzt die Krux mit der richtigen Vorwärtsbewegung....Ich erklärte, dass da ja noch der Drache sei, der zu bekämpfen wäre. Es wäre gut, zu diesem Abstand zu halten, da er ja Feuer speien könne! Also das Gewicht immer schon auf das hintere Bein schieben! Bei der Vorwärtsbewegung sollte nun zunächst das vordere Knie über den vorderen Fuß geschoben werden. Bevor man sich aber in die Gefahrenzohne des Drachen begibt, sollte besser der vordere Arm gestreckt werden, der einem die Bestie vom Leibe halten könnte! Die andere Hand zum Schutz vor das eine Ohr, falls der Drache brüllte! Nun den Körper über den vorderen Fuß nach vorne schießen, die Arme wechseln und wieder mit Gewicht hinten (von wegen der Sicherheit ;-) ) landen. So ließ ich sie zig Bahnen wiederholen - mit wachsendem Erfolg! Das sah hinterher schon richtig gut aus! Und Torsten staunte nicht schlecht, als er gegen Ende der Stunde die Halle betrat! Kein Kind forderte übrigens ein Abschiedsspiel, da die Technik-Geschichte offenbar genug fesselte.

Mittwoch, 11. Oktober 2017

May The Groundpower Be With You!* - Seminar mit André Bertel Sensei und Takafumi Morooka Sensei

Das diesjährige Seminar mit André Bertel Sensei in Krefeld war einfach wieder fantastisch. Ich weiß gar nicht, welches Faktum ich am meisten hervor heben soll - das wie immer grandiose und herausfordernde Training von Sensei Bertel? Oder seinen sympathischen Begleiter Takafumi Morooka Sensei, der mit jeder selbst angeleiteten Trainingssequenz mehr auftaute und am Ende locker zu scherzen beliebte? Oder die Nähe des Veranstaltungsortes zu unserer Heimat? Oder die Unterkunft im Hotel Garden, bei der das Preis-Leistungs-Verhältnis super passte? Vielleicht auch die Lehrgangsparty, die erneut im aus der vorvorigen Jahrhundertwende stammenden Stadtwaldhaus stattfand? Oder war doch die ihresgleichen suchende Organisation durch das Krefelder Dojo sowie die umfassende fotografische Dokumentation von Alex Raitz von Frentz das hervorstechende Qualitätsmerkmal. Ich kann mich wirklich nicht entscheiden! Tatsache ist, dass alles zusammen dieses Wochenende zu einem unvergesslichen Ereignis machte!

Und dabei war ich - noch geschwächt von einer grade überstandenen Bronchitis - gar nicht so topfit und auch nicht recht in Laune für Schmerzen, Hämatome und harten Körperkontakt, der sicherlich zu erwarten war!

Aber es gab keine wirkliche Entschuldigung und so zog ich am Samstagmorgen mit meinem Katamann Torsten und unserem Karatefreund George los nach Krefeld. Es war bereits mein dritter Karatelehrgang mit André Sensei - zuzüglich eines zweitägigen Karate-Personal-Trainings bei André gemeinsam mit meinem Karatefreund Torsten in Oita.

Kurz vor der Halle war der Lehrgang auch schon vorbildlich ausgeschildert, so dass wir die Location schnell fanden. Weiter ging es mit der exzellenten Organisation direkt beim "Einchecken": Karatefreundin und Kassenwartin des Dojos Nakayama Krefeld Melanie Teeuwen hatte Listen mit allen bereits angemeldeten Karateka und dem entsprechenden Vermerk, ob bereits bezahlt war oder nicht. Wir hatten noch nicht bezahlt - echt? Wenn Melli es sagt, stimmt es! Aber das war schnell nachgeholt. Die Umkleiden waren gut beschildert und fleißige, vom Nakayama organisierte Helfer boten gegen Spenden in das Sparschwein Brötchen, Kuchen, Kaffee und Kaltgetränke bis zum Abwinken! Absolut vorbildlich und schwer zu toppen! Ich habe gleich zu Beginn einen Schein ins Schwein wandern lassen und hoffe, das Dojo ist einigermaßen mit den Spenden ausgekommen.
Um es abzurunden greife ich etwas vor: Auch die Lehrgangsparty im Stadtwaldhaus war bestens organisiert. Für 15 Euro erhielt man Zutritt zum und Zugriff aufs mega vielfältige und ausgesprochen leckere Buffet und Getränke konnte man dann eben dazu buchen, wie man mochte. Die bezaubernde Örtlichkeit ließ dann auch keine Wünsche offen und so konnte auch der Samstagabend zu einem unvergesslichen Ereignis mit vielen alten und noch mehr neuen Bekannten werden.

Aber jetzt zum Training. "May the groundpower be with you" textete Karatefreund Harald Herrman aus Bottrop. Sehr schön - und ganz unbestritten ein Hauptthema des Lehrgangs! Natürlich ist es nicht neu, dass wir auf der Ferse wenden und selbige als Kraft-, Dreh- und Angelpunkt für unsere Techniken benutzen sollen! Und grade hatten wir es erst beim Lehrgang mit Sensei Toribio Osterkamp bei uns im Fuji San vertieft! Aber es immer wieder gut, erneut darauf hingewiesen zu werden (ich selber ertappe mich auch gelegentlich dabei, wie ich z. B. beim Rückwärtsbewegen (vor allem bei mehreren Schrittfolgen und schnellem Tempo) die Ferse anhebe - pfui Teufel, auch! Aber André Sensei verdeutlichte auch, wie Groundpower vorhanden sein kann "ohne Ferse am Boden" (leider nicht in dem von mir soeben beschriebenen Fall, so ein Mist!): Wenn der Schwerpunkt des Körpers Druck gleichzeitig nach unten und zum Ziel erzeugt, kann die Ferse getrost abheben! Schade, schade, dass der Druck meist genau so nicht ausgeführt ist, wenn man - z. B. (aber nicht nur) im Sportkarate die Ferse oben sieht!

Zum Thema Groundpower gab es auch eine sehr schöne Partnerübung, die auf den ersten Blick nach "Standard" aussah: Der Angreifer führt Kizami Tsuki und Gyaku Tsuki aus, der Abwehrende blockt den Kizami zur Seite und mit demselben Arm dann den Gyaku Tsuki mit einer Art Te Osae Uke nach unten weg. Beim zweiten Block sollten wir jetzt nicht nur Arm und Hüfte nutzen, sondern das komplette Körpergewicht nach unten - quasi in Kiba Dachi - fallen lassen. Wow, klasse Effekt (vorausgesetzt, man hat Körpergewicht :-) ). So wurde aus einer Standard-Übung wieder einmal eine Variante mit einem neuen Fokus!

Zum Thema Hüfteinsatz ist André Sensei etwas - ich will mal sagen: entspannter - als einige der aktuell präsenten und Ton angebenden Instructoren: Statt eines mehrfachen, aktiven Hüftimpulses bei einer Technikkombination wollte er lediglich ein "Entspannen" des Körpers sehen. Das hat in etwa denselben Effekt wie das Zurückdrehen der Hüfte in eine neutrale Position, geschieht aber eher passiv, ohne Kraft und mehr oder weniger "natürlich". So will es, wenn ich mich richtig erinnere, auch unser Sensei Risto z. B. beim Sanbon Tsuki sehen.

Wenn ich Risto schreibe, erscheint vor meinem inneren Auge wie in Leuchtschrift intuitiv der Begriff Gyaku Tsuki - kaum jemand hat in meinem kleinen Karateleben auf diesen Begriff so vielseitig Licht geworfen wie Risto Sensei. Wir übten bei ihm den steigenden und den fallenden Gyaku Tsuki, wissen, dass der Gyaku Tsuki auf "2" trifft, kennen den "überlaufenden" schon seit vielen, vielen Jahren und wissen Dank Risto, dass der Gyaku Tsuki so herrlich "Bääääm!" machen kann.

Mit vollem "Bäääm" sollte dann auch der Torsten beim André Sensei mit einem Oi Tsuki einschlagen - aber dafür musste er erstmal treffen und das Trotz Blocks durch den Sensei, der verdammt schnell war! Torsten versuchte es einige Male unter anfeuernden Kommandos des Senseis - aber ohne Erfolg. Dann änderte Torsten den Rhythmus und schlug deutlich vor dem Absetzen des Fußes ein - "Bäääm!" André Sensei war zufrieden - und erklärte dann (sehr ähnlich wie Risto), dass es Sinn machen kann, den Rhythmus zu ändern, den Schlag vor dem, beim oder nach dem Absetzen des Fußes auszuführen. In diesem Zusammenhang wurde auch - genau! - die unterschiedliche Auswirkung der "Groundpower" beleuchtet, die beim Schlag vor dem Absetzen besonders groß ist. Mit Partner klappte das dann alles auch zunächst ganz gut - bis wir dann anschließend alles auch in freier Bewegung umsetzen sollten. Hier ging dann so manches Mal doch die Übersetzung des Groundpower verloren. Man ist doch leider oft geneigt, sich beim Training mit Partner zu sehr auf den Partner zu konzentrieren, statt auf die Übung und bei freier Bewegung wird dies dann offenbar durch ein stärkeres Konkurrenzdenken noch potenziert. Ich notiere hier nur meine eigene Wahrnehmung - das kann natürlich bei anderen Karateka ganz anders sein.

Was mir an André Senseis Budo-Karate-Training so gut gefällt, ist der Gedanke an absolute Konsequenz. Das ist vergleichbar mit dem Training, wie wir es zuletzt bei unserem Karatefreund Andreas Klein praktiziert haben: Auch nach dem Angriff am Gegner dran bleiben, weiter Druck machen, die Distanz so kurz halten, dass für einen Gegenangriff keine Chance ist! Das in freier Bewegung umzusetzen kostet Überwindung - wie ich es auch an meinen Partnern merkte. Wichtig ist hierbei nicht zuletzt, Varianten des Konters auf Lager zu haben - hier stimme ich dann mal nicht mit dem Street-Combatives-Prinzip überein, welches nicht "hundert Techniken für eine Situation sondern eine Technik für hundert Situationen" verspricht. Es ist schon gut, wenn man statt eines üblicherweise trainierten Gyaku Tsuki auch z. B. einen Tate Tsuki auf Lager hat oder einen Handkantenschlag platzieren kann - wenn man weiß, wo es "wehtut", auch auf kurzer Distanz.

Die Basis aller Konsequenz und die körperlichen Voraussetzungen ist das Kihon und auch das Kihon Ippon Kumite - auch das kennen wir ja von Risto Sensei unter dem Motto "Voraussetzungen schaffen". Hier übten wir bei André Sensei wieder viele Feinheiten, so z. B. beim Soto Uke, den er unterschied zwischen dem "Anfänger-Soto-Uke" mit eher kreisförmiger Bewegungsrichtung und dem grade nach vorne gestoßenen Soto-Uke, den er Soto-Uke-Kekomi nannte. Wir erinnern uns: "Am Anfang war die Keule und dann kam Soto-Uke." :-) Auch auf die korrekte Distanz legte der Sensei einen großen Fokus - meist wird ein viel zu großer Abstand gewählt und dann passen Angriff und Konter nicht. Eigentlich beschämend, dass man darauf in einer Gruppe mit überwiegend Braun- und Schwarzgurten hinweisen muss. Den Block mit Gedan Barei hatte der Sensei bei diesem Seminar weggelassen, dafür sollten wir den Mae Geri des Partners mit Soto-Ashi-Uke blocken, also mit einem von außen kommenden Unterschenkel-Block - blaue Flecke garantiert....bei beiden Partnern :-) Überwindung kostete auch, den Partner mit Jodan Mae Geri abzukontern! Wann probiert man das im Training schon einmal aus? Es bedarf hier sicherlich einiges an Vertrauen zum Partner hinsichtlich der Technik-Kontrolle - und auch der Fuß-Hygiene.... ;-)

Wenn man einen Angriff blockt, ist es günstiger, nach dem Block nicht auf der offenen Körperseite des Partners zu stehen. Das klappt nicht immer und daher ist es gut, auch Block und Folgereaktion zur offenen Seite zu üben - aber man sollte üben, ein Auge dafür zu entwickeln, woher der Angriff kommt und entsprechend auszuweichen. Hierzu gab es einige Übungen - zunächst im Stand und dann in der Bewegung - dabei bekam man aber schnell einen Drehwurm, man lief sogar Gefahr, die Orientierung zu verlieren. Und hier zog André Sensei einen interessanten Schluss, den ich sonst so in der Form nur beim Street Combatives Training gehört habe, der aber eigentlich stilübergreifend Sinn macht, mir vielleicht nur noch nie so klar geworden war: Im Ernstfall ist der Körper unter Hochstress - diesen Stress simulieren wir, indem wir so lange trainieren, bis wir beinahe total erschöpft sind oder bis wir (wie bei der eben genannten Übung) die Orientierung zu verlieren drohen. Was wir dann noch können, können wir vielleicht auch noch in einer Selbstverteidigungssituation. Chapeau! Diese Art zu denken gefällt mir!

All das bisher Geschriebene ist schon reichlich Stoff zur Nachbereitung in endlosen Trainingseinheiten. War mir jedoch am meisten zu schaffen machte, war André Senseis Forderung nach mehr Lockerheit - in den Schultern, im ganzen Körper .... denn nur so kann man die Asai-typsichen Peitschenbewegungen ausführen und den Angreifer - scheinbar locker - mit Heito- und Shuto-Schlägen malträtieren! Das ist noch ein weites Feld für mich - ähnlich wie die aus dem Yahara-Programm entliehenen extremen Dreh-Bewegungen zum Ausweichen und Kontern, die wir ebenfalls anschnitten.

Das anspruchsvolle Training wurde wie immer eingerahmt von Vorbereitungs-Übungen und Warmup-Sequenzen, die uns "gestandenen" Karateka mit zum Teil einigen Jahrzehnten Training auf dem Buckel mal eben zeigten, wie klein wir sind und was wir alles NICHT können :-) Die von André Sensei gerne vorgeführten Keris aus der tiefen Hocke oder dem Seiza gehörten ebenfalls dazu wie von Morooka Sensei vorgeführte Vorwärtsbewegungen in einer Mischung aus Seiza und Entengang. Lustig muss es auch ausgesehen haben, wie wir uns beim japanischen Schuhplatteln angestellt haben und ein ganz großes Hallo gab es beim Thema "Scherentechniken", als wir uns beim Kani Basami ungelennk auf dem Boden rollten!

Auch wenn die Muskeln am Ende der vierten Einheit ziemlich müde waren und der ein oder andere Körperteil vom Kontakttraining etwas mitgenommen war, so verging die Zeit doch wie im Fluge! Ich weiß, es wird den ein- oder anderen überraschen, wenn ich das jetzt schreibe, aber ich hätte mir vielleicht noch etwas mehr Bezug auf Kata gewünscht - vor zwei Jahren in Krefeld hatten wir die Nijushiho genauer unter die Lupe genommen und im letzten Jahr in Ahrensburg die Seyriu kennen gelernt. Diesmal war der Bereich Kata mit wenigen Durchgängen Bassai Dei selbst für meinen Geschmack etwas zu knapp abgedeckt. Aber vermutlich müssen dafür einfach erst einmal noch weitere Voraussetzungen geschaffen werden, was ich mit meinem Katamann und in unserem Dojo gerne machen werde.

Ich bin sehr froh, an diesem Lehrgang teilgenommen zu haben und würde mich wahnsinnig freuen, wenn André Sensei - gerne auch wieder mit Morooka Sensei - im nächsten Jahr wieder irgendwo in unserer Nähe zu Gast wäre.

*Zitat von Karatefreund Harald Herrman, danke für die freundliche Genehmigung, es nutzen zu dürfen :-)