Es war ja schon immer so, dass Risto Sensei die Karate-Gemeinschaft polarisiert hat: Nicht alle können es gut leiden, wenn ihnen im Training schonungslos die Meinung gesagt wird. Viele halten auch gerne an alten Gewohnheiten fest und möchten sich nicht umstellen. Das ist zwar auf den ersten Blick verständlich, in meinen Augen aber auch sehr bedauerlich, denn wer heute immer so trainiert wie gestern, kann keinen wirklichen Fortschritt erfahren. Allerdings muss ich gestehen, dass es leichter ist, 90 Minuten mit einem charmanten und lächelnden Trainer in einer Turnhalle zu verbringen, der jedem das Gefühl gibt, etwas ganz Großartiges geleistet zu haben, als bei einem leicht griesgrämigen Brummbär, der keine Gelegenheit auslässt, den Trainer-Finger in jede Technik-Wunde zu legen. Aber für mich ist der schonungslose Weg unmittelbar, direkt und zielführend. Und ich ahne, dass sich auch hinter einem freundlichen Trainergesicht oft genug dieselbe Verzweiflung über unser technisches Unvermögen versteckt wie sie bei anderen durch offene Missbilligung ausgedrückt wird.
However – jetzt war wieder Pfingsten und wieder Risto-und-Naka-Zeit. Und Torsten und ich waren natürlich wieder in Berlin. Es war schön, die vielen Bekannten wieder zu sehen, denen wir eigentlich grade erst beim Kata-Spezial in Tauberbischofsheim Tschüss gesagt hatten J Nun also in Berlin schwitzen und schwatzen. Naka Sensei hatte zahlreiche Karateka aus ganz Deutschland aber auch aus vielen Nachbarländern (Frankreich, Schweiz, England, Tschechien, Russland etc.) angelockt. Aber auch der konstante Stamm der Risto-Fans war vertreten! Unsere Freunde vom Bushido Berlin hatten sich alle Mühe gegeben, den Lehrgang möglichst perfekt zu organisieren. Sogar an Übersetzer hatte man gedacht: bei Naka Sensei vom Japanischen ins Deutsche und von da aus dann ins Englische und bei Risto Sensei vom Risto-rischen ohne Umweg ins Englische, was schade war, da einige der Deutsch sprechenden Karateka zwar gehört hatten, was der Meister sagte, aber nicht verstanden hatten, was er meinte (kleiner Insiderwitz J). Das führte dann dazu, dass z. B. einer meiner Karate-Bekannten nicht anerkennen wollte, dass es verschiedene Arten des Gyaku-Tsuki gibt (den direkten, den indirekten, den Konter-Gyaku-Tsuki, den Angriffs-Gyaku-Tsuki, den steigenden, den fallenden und seit einigen Jahren auch den überlaufenen Gyaku Tsuki etc.). Risto-Jünger kennen das natürlich und versuchen sich zum Teil seit vielen Jahren oder Jahrzehnten daran. Eigentlich unterrichtet Naka Sensei – unterrichten alle JKA-Senseis – nichts anderes. Sie benutzen allerdings andere Begriffe oder beschreiben den Ablauf anders. Aber letztlich, wenn man genau hinsieht, ist es nichts anderes!
Torsten, Alexander, Jürgen, Dirk, Doreen, Mirko, René, Tom, ich und viele andere aus unserer „Risto-Peer-Group“ versuchen seit einer halben Ewigkeit, die Prizipien unseres finnischen Vorbilds umzusetzen. Es ist halt immer dasselbe und das ist nie gut genug. Das zu erkennen, ist mühselig und sich darauf einzulassen nicht immer einfach. Darum finde ich es zwar sehr schade, wenn Menschen aus meinem Karateumfeld nach einem Risto-Training behaupten, dies sei "das schlechteste Training" gewesen, "das sie jemals erlebt" hätten. Aber ich kann es auch ein stückweit verstehen: Trainiert man nur gelegentlich auf dieser Basis, sind Ristos Äußerungen verwirrend, kryptisch und eventuell wenig motivierend. Ist man aber einmal auf dem „Trip“ und von dieser Lehre überzeugt, gibt es daneben eigentlich nichts anderes mehr. Es sei denn, andere Trainerinnen und Trainer sprechen dieselbe "Sprache" – so wie die JKA-Instructorinnen und –Instructoren oder auch André Bertel Sensei.
Soviel zum Grundsätzlichen, zu den Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden faszinierenden Senseis, die fernab und vollkommen unabhängig voneinander denselben Karate-Weg gefunden haben. Ich schrieb bereits 2012 einen Artikel hierüber, den Interessierte in meinem Blog unter diesem Link finden können (Link gerne kopieren und im Browser eingeben): https://andreahaeusler.blogspot.com/2012/06/zwei-meister-eine-meinung.html
Was gab es denn diesmal speziell? Risto führte uns – wie schon erwähnt – an die verschiedenen Formen des Gyaku-Tsuki heran. Eine seiner beliebten Trainingsaufforderungen lautet: „Mach mal Gyaku-Tsuki.“ , diesmal gerichtet an unseren Karate-Freund Christian aus Bremen. Dieser stellte sich artig in eine Gyaku-Tsuki-Position. Seine richtige Reaktion wäre aber gewesen, zu fragen: „Welchen?“ Andere Risto-Rismen sind Fangfragen wie: „Wo trifft die Technik?“ (Antwort: auf den Punkt) oder „Warum bleibt das Knie nach dem Mae Geri oben?“ (Antwort: Weil wir Shotokan Karate machen.) Ach ja, wir kennen das alles schon und durch Ristos finnisch-frischen Humor sind für mich und wohl auch für Torsten die Trainings bei unserem geschätzten Brummbär genauso lehrreich und unterhaltsam wie bei den charismatischen Trainern aus Japan.
In der letzten Einheit gab es bei Risto noch die Kata Chinte. Die Reihen hatten sich am Pfingstmontag schon merklich geleert und auch Torsten und ich hatten kurz überlegt, nach dem Frühstück abzureisen, um dem Rückreisestau zu entgehen (auf der Hinfahrt hatten wir gut acht Stunden gebraucht). Aber wir überlegten wirklich nur ganz kurz. Und das war gut so. Denn die Chinte bei Risto war ein wahres Vergnügen und der Meister Trotz der Feier am Vorabend in Bestlaune! Die Chinte, gerne als Mädchen- oder Frauen-Kata verpönt, erhielt durch Ristos Erklärungen einen ganz neuen Anstrich und erschien in einem brutalen Selbstverteidigungs-Gewand! Am Ende der Einheit gab es noch Ristos klassisches Jiyu-Ippon-Kumite-Programm. Der arme Torsten hatte einen älteren Karateka, der von den Prinzipien des Belastens und Benutzens wohl noch nie etwas gehört hatte! Bei mir liefs rund und ich hatte Spaß und war sehr froh, dass wir diese Einheit noch genutzt hatten.
Naka Sensei hatten wir grade erst auf dem Kata-Spezial erlebt. Wir übten alle Heian Kata und die Kata Jion. Hier legte der Meister den Fokus auf zahlreiche Feinheiten und auf die korrekte Zählweise. Nicht zum ersten Mal führte uns Naka Sensei vor, wie dass Kata nicht nur gutes Übungsmedium für Koordination und Konzentration sind und nicht nur verschlüsselte Selbstverteidigung, sondern dass man sie auch hervorragend dazu nutzen kann, spezielle Bewegungsmuster zu trainieren. Bei anderen Gelegenheiten hatten wir z. B. aus der Taikyoku Shodan eine Übung für Jiyu Ippon Kumite gemacht. In Berlin übten wir an dieser Basis Kata Festigkeit und "Groundpower", indem wir die Oi Tsuki nicht im Zenkutsu Dachi, sondern im Kosa Dachi ausführten. Gerne hätte ich bei Naka-Sensei noch mehr Kumite trainiert, denn der Einblick, den wir hier bekamen, war wieder seh spannend! Es war eine Übung, die wir auch in beim Czech Gasshuku schon einmal so oder ähnlich gemacht hatten: Wir taten uns in einer Gruppe zu etwa acht Personen zusammen. Sieben stellten sich hintereinander in einer Art Zickzacklinie auf und der oder die Achte stellte sich frontal zur Gruppe und griff den oder die erste/n mit Kizami Tsuki an, die anderen mit Oi Tsuki. Hier wurde dann von Durchgang zu Durchgang die Intensität erhöht.
Einen großen Fokus legte Naka Sensei bei allen Basistechniken - angegangen beim Angrüßen und Verbeugen - auf die korrekte Körperhaltung in Verbindung mit der richtigen Atmung. Wir übten mit Partner/in z. B. die verstärkte Bodenhaftung durch korrekte Gelenkstellung und Muskelspannung.
Einen großen Fokus legte Naka Sensei bei allen Basistechniken - angegangen beim Angrüßen und Verbeugen - auf die korrekte Körperhaltung in Verbindung mit der richtigen Atmung. Wir übten mit Partner/in z. B. die verstärkte Bodenhaftung durch korrekte Gelenkstellung und Muskelspannung.
Bei Naka Sensei und bei Risto Sensei war es im Grunde in allen Einheiten ein reines Basis-Training! Und es lohnt sich immer, in jeder Trainingseinheit ganz am Anfang anzusetzen. Dies und die Tatsache, dass für alle, die gut aufpassen und nicht „nur hören, was einer sagt“, sondern auch verstehen, was er meint, eigentlich „alle Techniken gleich“ sind, machen die Naka-Risto-Lehrgänge immer zu etwas ganz Besonderem. Ich hoffe, dass wir in zwei Jahren wieder zu diesem Event nach Berlin eingeladen werden – und habe uns vorsorglich schon wieder zwei Zimmer reserviert..... J
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