Sonntag, 3. Juni 2012

Zwei Meister - eine Meinung

Pfingstlehrgang mit Shihan Tatsuya Naka und Sensei Risto Kiiskilä in Berlin


Meine Karatefreunde vom Bushido Berlin richten traditionell zu Pfingsten einen Karatelehrgang aus. Regelmäßig ist Sensei Risto Kiiskilä dort zu Gast – und nicht nur zu Pfingsten, denn er konnte im Mai diesen Jahres sein sage und schreibe bereist 50. Lehrgangsjubiläum in Berlin feiern! Für 2012 hatte das Team um Dirk Zimmermann, Andy Förster und Jürgen Mosler allerdings einen ganz besonderen Gasttrainer eingeladen: Filmstar Shihan Tatsuya Naka (7. Dan) aus Japan! Dieser charismatische, sympathische und technisch brillante Japaner war natürlich ein wahrer Lehrgangsmagnet und zog Karateka aus dem ganzen Bundesgebiet und Anrainerstaaten an! Von unserem Dojo zog es mit Britta Bockweg, Konny Hingerl, fast allen Elzingas, Rüdiger Otto, Torsten Uhlemann und mir neun Leute nach Berlin und vor Ort wurden wir noch verstärkt durch den Ex-Münsteraner Christian Dorn.

Unser Karatetraining startete am Samstagmittag mit einer Einheit bei Sensei Risto, der zunächst einmal zeigte, wie wir  die Voraussetzungen schaffen können für ein dynamisches und bewegliches Karate der Oberstufe. Es folgte sein klassisches Kihon-Training mit viel Hüftarbeit und am Ende der ersten Einheit gab es dann Jiyu-Ippon-Kumite, welches – wir wissen es ja jetzt – ein „elementarer Bestandteil des JKA-Karate“ ist. Ich hatte den Eindruck, dass Risto noch mehr als sonst Wert auf das Ausnutzen der Körpervorspannung legte: nach dem Block nicht hinten stoppen, sondern gleich wieder den Schwung für den Konter ausnutzen, so lautete seine Anweisung. Hierdurch wird die Kimephase auf das nötige Minimum reduziert und die Kombination wesentlich schneller. Schneller sein, als der Gegner – das A und O im Karatetraining und natürlich auch in der Selbstverteidigung.

Die Oberstufe hatte das Vergnügen, drei Einheiten bei Shihan Naka trainieren zu dürfen. Hach, der Mann ist ja wirklich ein Augenschmaus und so ließ ich es mir nicht nehmen, mich in der ersten Reihe, Mitte zu positionieren. Bereits bei meiner ersten Begegnung mit dem Karatemeister (Kata-Special 2011) war mir aufgefallen, wie viel sein „Karate-Weg“ mit dem von Risto gemeinsam hat: Auch Naka schult dynamisches, bewegliches Karate mit einem Fokus auf der optimalen Kraftübertragung und dem Weglassen aller überflüssigen (Aushol-)Bewegungen. Dass er  jetzt bereits bei den ersten Techniken quasi den Faden vom Ende der Risto-Einheit wieder aufnahm, war darum eigentlich nicht ungewöhnlich, überraschte mich in dieser Deutlichkeit aber doch! Und zwar sollten wir verschiedene Tsukis im Stand ausführen und dabei auf die Hüftbewegungen achten. Des weiteren ging es darum, das Hikite quasi wieder als Ausholbewegung für die nächste Technik zu betrachten und möglichst ohne Stopp wieder den nächsten Angriff auszuführen.

Das Prinzip, die Techniken fließend ineinander übergehen zu lassen und dadurch dynamischer und schneller zu werden, zog sich dann wie ein roter Faden durch die Einheiten beider  Instructoren. Den Rückholschwung für die nächste Technik ausnutzen -diese nicht neue, aber dennoch selten so aktiv vermittelte Idee faszinierte nicht nur mich. Abends beim Festzelt sprach „Karate-Doc“ Peter Schuler Torsten und mich darauf an, was uns bei dem Training am meisten beeindruckt habe. Wir kamen zu dem Schluss, dass es die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Lehrgangs-Senseis waren und zwar speziell im Hinblick auf den Rückholschwung, welchen wir im Verlauf des Abends gemeinsam als Reaktivität definierten.

Nicht nur im Kihon vermittelte uns Shihan Naka sein Karate-Prinzip, sondern auch in Kata und Kumite. Und für das Kumite schlägt bekanntlich mein Karate-Herz! Ach und ich bekam tatsächlich die Gelegenheit, hier so richtig in einen Karate-Rausch zu geraten! Es ging los mit Kihon-Kumite-Übungen, die wir Schwarzgurte natürlich freier und – wer hätte das gedacht? – fließender ausführen sollten, den Schwung der einen Technik schon wieder für die nächste ausnutzen. Hey, wem da nicht schwindelig wird vor Karate-Freude, dem ist nicht zu helfen J

Der Shihan hatte für uns noch zahlreiche weitere Kumiteübungen zu zweit und zu viert parat und auch Partnerübungen für die Kondition und Koordination, die ich so auf einem Lehrgang dieser Größe auch noch nicht erlebt habe.

Ein weiterer vom Shihan vermittelter Ansatz zur Steigerung der Schnelligkeit lautete: Dynamik durch Instabilität. Wichtig: Bei allen zu dieser Gruppe gehörenden Übungen bleibt der Körperschwerpunkt auf der Stelle und durch das Versetzen der Beine wird so eine Instabilität hervorgerufen. Diese wirkt wie ein „konstruierter Fall“, der bewirkt, dass der Körper sich reflexartig selber aufzufangen versucht. Das ist erheblich schneller als jede bewusste Bewegung, Wendung oder jedes absichtliche Versetzen der Gliedmaßen. Wir übten dies zunächst im Kihon, unter anderem mit Tsuki-Wechsel im Zenkutsu-Dachi und Kiri-Kaeshi und später auch mit Partner.

Sensei Ristos Einheiten hatten für mich einen grandiosen Wiederholungseffekt vom Lehrgang in Münster, den wir SKDMler ja noch frisch in Erinnerung hatten. Aber es gab auch noch neue Kombinationen, wie z. B. diese: Vor mit Kizami-Tsuki und Gyaku-Tsuki, zurückziehen und Drehung mit Ura-Ashi-Barai, dann sofort wieder vor mit dem „überlaufenen Gyakutsuki“ und Kamae-Wechsel. Mit einem Prickeln unter der Haut wurde mir bewusst, dass auch hier wieder die Bewegungsketten reaktiv aneinander gereiht wurden!

Risto ließ uns dann noch die Katas Tekki Shodan, Bassai Dai und Sochin ausführen und legte hier wie immer viel Wert auf Details wie Hüftbewegungen und Schwerpunktverlagerung. Ich weiß nicht, ob es den anderen Lehrgangsbesuchern auch so deutlich wurde, aber die abschließende Einheit bei Shihan Naka, in der er uns ebenfalls Katas (Heian Sandan und Jion) vermittelte, war inhaltlich so deckungsgleich mit dem Training Ristos, dass mir spontan der Gedanke durch den Kopf schoss: “Das ist ja Katatraining á la Risto - nur auf Japanisch!“

Ganz offensichtlich haben die beiden Karatemeister unabhängig voneinander an entgegengesetzten Enden der Welt ein verblüffend ähnliches Shotokan-Konzept erarbeitet, das auf mehr Dynamik und Geschwindigkeit abzielt, wobei ich den Eindruck hatte, dass der Ansatz Nakas noch ein kleines bisschen dynamischer war. Naka hatte sicherlich auf dem Lehrgang in Berlin den „Filmstar-Bonus“ und den „Exotik-Faktor“ eines japanischen Instructors – im Grunde stand das ganze Wochenende jedoch unter dem Motto: „Zwei Meister, eine Meinung.“ 


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