Meine Karatefreunde vom Bushido Berlin richten
traditionell zu Pfingsten einen Karatelehrgang aus. Regelmäßig ist Sensei Risto
Kiiskilä dort zu Gast – und nicht nur zu Pfingsten, denn er konnte im Mai
diesen Jahres sein sage und schreibe bereist 50. Lehrgangsjubiläum in Berlin
feiern! Für 2012 hatte das Team um Dirk Zimmermann, Andy Förster und Jürgen
Mosler allerdings einen ganz besonderen Gasttrainer eingeladen: Filmstar Shihan
Tatsuya Naka (7. Dan) aus Japan! Dieser charismatische, sympathische und
technisch brillante Japaner war natürlich ein wahrer Lehrgangsmagnet und zog
Karateka aus dem ganzen Bundesgebiet und Anrainerstaaten an! Von unserem Dojo
zog es mit Britta Bockweg, Konny Hingerl, fast allen Elzingas, Rüdiger Otto,
Torsten Uhlemann und mir neun Leute nach Berlin und vor Ort wurden wir noch
verstärkt durch den Ex-Münsteraner Christian Dorn.
Unser Karatetraining startete am Samstagmittag mit
einer Einheit bei Sensei Risto, der zunächst einmal zeigte, wie wir die Voraussetzungen schaffen können für ein
dynamisches und bewegliches Karate der Oberstufe. Es folgte sein klassisches
Kihon-Training mit viel Hüftarbeit und am Ende der ersten Einheit gab es dann
Jiyu-Ippon-Kumite, welches – wir wissen es ja jetzt – ein „elementarer
Bestandteil des JKA-Karate“ ist. Ich hatte den Eindruck, dass Risto noch mehr
als sonst Wert auf das Ausnutzen der Körpervorspannung legte: nach dem Block
nicht hinten stoppen, sondern gleich wieder den Schwung für den Konter ausnutzen,
so lautete seine Anweisung. Hierdurch wird die Kimephase auf das nötige Minimum
reduziert und die Kombination wesentlich schneller. Schneller sein, als der
Gegner – das A und O im Karatetraining und natürlich auch in der
Selbstverteidigung.
Die Oberstufe hatte das Vergnügen, drei Einheiten
bei Shihan Naka trainieren zu dürfen. Hach, der Mann ist ja wirklich ein
Augenschmaus und so ließ ich es mir nicht nehmen, mich in der ersten Reihe, Mitte
zu positionieren. Bereits bei meiner ersten Begegnung mit dem Karatemeister
(Kata-Special 2011) war mir aufgefallen, wie viel sein „Karate-Weg“ mit dem von
Risto gemeinsam hat: Auch Naka schult dynamisches, bewegliches Karate mit einem
Fokus auf der optimalen Kraftübertragung und dem Weglassen aller überflüssigen
(Aushol-)Bewegungen. Dass er jetzt
bereits bei den ersten Techniken quasi den Faden vom Ende der Risto-Einheit
wieder aufnahm, war darum eigentlich nicht ungewöhnlich, überraschte mich in
dieser Deutlichkeit aber doch! Und zwar sollten wir verschiedene Tsukis im
Stand ausführen und dabei auf die Hüftbewegungen achten. Des weiteren ging es
darum, das Hikite quasi wieder als Ausholbewegung für die nächste Technik zu
betrachten und möglichst ohne Stopp wieder den nächsten Angriff auszuführen.
Das Prinzip, die Techniken fließend ineinander
übergehen zu lassen und dadurch dynamischer und schneller zu werden, zog sich
dann wie ein roter Faden durch die Einheiten beider Instructoren. Den Rückholschwung für die
nächste Technik ausnutzen -diese nicht neue, aber dennoch selten so aktiv
vermittelte Idee faszinierte nicht nur mich. Abends beim Festzelt sprach „Karate-Doc“
Peter Schuler Torsten und mich darauf an, was uns bei dem Training am meisten
beeindruckt habe. Wir kamen zu dem Schluss, dass es die Gemeinsamkeiten
zwischen den beiden Lehrgangs-Senseis waren und zwar speziell im Hinblick auf
den Rückholschwung, welchen wir im Verlauf des Abends gemeinsam als Reaktivität
definierten.
Nicht nur im Kihon vermittelte uns Shihan Naka sein
Karate-Prinzip, sondern auch in Kata und Kumite. Und für das Kumite schlägt
bekanntlich mein Karate-Herz! Ach und ich bekam tatsächlich die Gelegenheit,
hier so richtig in einen Karate-Rausch zu geraten! Es ging los mit
Kihon-Kumite-Übungen, die wir Schwarzgurte natürlich freier und – wer hätte das
gedacht? – fließender ausführen sollten, den Schwung der einen Technik schon
wieder für die nächste ausnutzen. Hey, wem da nicht schwindelig wird vor
Karate-Freude, dem ist nicht zu helfen J
Der Shihan hatte für uns noch zahlreiche weitere
Kumiteübungen zu zweit und zu viert parat und auch Partnerübungen für die
Kondition und Koordination, die ich so auf einem Lehrgang dieser Größe auch
noch nicht erlebt habe.
Ein weiterer vom Shihan vermittelter Ansatz zur
Steigerung der Schnelligkeit lautete: Dynamik durch Instabilität. Wichtig: Bei
allen zu dieser Gruppe gehörenden Übungen bleibt der Körperschwerpunkt auf der
Stelle und durch das Versetzen der Beine wird so eine Instabilität
hervorgerufen. Diese wirkt wie ein „konstruierter Fall“, der bewirkt, dass der
Körper sich reflexartig selber aufzufangen versucht. Das ist erheblich
schneller als jede bewusste Bewegung, Wendung oder jedes absichtliche Versetzen
der Gliedmaßen. Wir übten dies zunächst im Kihon, unter anderem mit
Tsuki-Wechsel im Zenkutsu-Dachi und Kiri-Kaeshi und später auch mit Partner.
Sensei Ristos Einheiten hatten
für mich einen grandiosen Wiederholungseffekt vom Lehrgang in Münster, den wir
SKDMler ja noch frisch in Erinnerung hatten. Aber es gab auch noch neue
Kombinationen, wie z. B. diese: Vor mit Kizami-Tsuki und Gyaku-Tsuki,
zurückziehen und Drehung mit Ura-Ashi-Barai, dann sofort wieder vor mit dem „überlaufenen
Gyakutsuki“ und Kamae-Wechsel. Mit einem Prickeln unter der Haut wurde mir
bewusst, dass auch hier wieder die Bewegungsketten reaktiv aneinander gereiht
wurden!
Risto ließ uns dann noch die
Katas Tekki Shodan, Bassai Dai und Sochin ausführen und legte hier wie immer viel
Wert auf Details wie Hüftbewegungen und Schwerpunktverlagerung. Ich weiß nicht,
ob es den anderen Lehrgangsbesuchern auch so deutlich wurde, aber die
abschließende Einheit bei Shihan Naka, in der er uns ebenfalls Katas (Heian
Sandan und Jion) vermittelte, war inhaltlich so deckungsgleich mit dem Training
Ristos, dass mir spontan der Gedanke durch den Kopf schoss: “Das ist ja
Katatraining á la Risto - nur auf Japanisch!“
Ganz offensichtlich haben die
beiden Karatemeister unabhängig voneinander an entgegengesetzten Enden der Welt
ein verblüffend ähnliches Shotokan-Konzept erarbeitet, das auf mehr Dynamik und
Geschwindigkeit abzielt, wobei ich den Eindruck hatte, dass der Ansatz Nakas
noch ein kleines bisschen dynamischer war. Naka hatte sicherlich auf dem
Lehrgang in Berlin den „Filmstar-Bonus“ und den „Exotik-Faktor“ eines
japanischen Instructors – im Grunde stand das ganze Wochenende jedoch unter dem
Motto: „Zwei Meister, eine Meinung.“
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