Die internen Lehrgänge von Jochen und Michael mitgerechnet war dies mein 4. Lehrgang in diesem Jahr - allerdings mein allererster bei Risto Kiiskilä. Voller Erwartung suchte ich meine alte Schule, das Stein-Gymnasium, auf und begab mich in die vertraute Umkleidekabine. Bekannte Gesichter ließen schnell eine lockere Stimmung aufkommen, so dass ein älterer Schwarzgurt-Träger, also ein Mann, der kurz die Tür öffnete und etwas von Christina Maretzke wollte, gleich salopp angeblafft wurde mit:"Ey, Spanner, hier nur Mädels!" Boh, dachte ich noch, schön, dass sich auch noch ältere Herrschaften hier hertrauen. Denn der Typ war sichtlich angegraut, mit Schnäuzer und bestimmt über 50. Ich staunte nicht schlecht, als dieser Herr sich dann beim Training nicht bei uns einreihte, sondern uns gegenüber abkniete: es war Risto Kiiskilä! Dass ein fortgeschrittenes Alter keinen Verlust an Ausstrahlung, Kampfgeist oder Fitness bedeuten muß, merkte ich sehr schnell! Boh, ist der Mann gut! Wo bekommt man bloß dieses Teil her, was er unter dem Gi trägt und was bei jedem Tsuki so ein knallendes Geräusch verursacht. Wie? So ein Gerät gibts gar nicht....??? Unglaublich!
Die erste Trainingseinheit begann mit Tsukis im Stand. Sensei Risto legte besonders viel Wert auf den zurückgezogenen Arm, das Hikite. Und es war wieder mal verblüffend, wieviel stärker die Tsukis wirkten, wenn das mit dem Hikite ordentlich lief!
Als nächstes Maegeri. Es wurde betont, dass die erste Technik nicht das Hochziehen des Knies sei, sondern das Anfersen des tretenden Beins. Hatte ich das nicht schon irgendwo mal gehört? Richtig! Michi Jarchau, der am Training krankheitsbedingt nur passiv teilnehmen konnte, hatte uns dies auch schon zig-fach eingebläut! Dies sollte nicht das einzige Detail bleiben, das mir speziell aus Michis Training bekannt vorkam. Wäre schön, wenn ich mir diese Einzelheiten auch mal einprägen würde, so dass sie mir mal einfach so, zwischendurch, einfallen und nicht nur, wenn ich wieder drauf gestoßen werde...
Risto Kiiskilä ließ uns eine nette Kombination laufen, um den Maegeri zu üben: links vor im Zenkutsu-Dachi, hinteres Bein tritt Mae-Geri, hinten absetzen. Dann das vordere Bein ranziehen, wieder mit dem hinteren treten, im Sprung Beinwechsel und wieder mit dem hinteren treten, also 3x mit demselben Bein, aber keineswegs einfach! Bei weiteren Kombinationsübungen wurde viel Wert auf Gewichtsverlagerung und Hüfteinsatz gelegt. Risto achtete sehr darauf, dass der Gyaku-Tsuki gleichzeitig mit dem Absetzen des Beines geschlagen wurde. Auch war er stets bemüht, uns auf die Überleitung zwischen Gohon Kumite und dem Freikampf hinzuweisen. Ein Schwerpunkt des Wochenendlehrgangs lag bei uns darum beim Tai Sabaki, dem seitlichen Ausweichen, häufig mit Suri-Ashi, also Herausgleiten. Hier wurde uns nahegelegt, erst das Gewicht auf das Standbein zu verlagern und uns dann erst zurück oder zur Seite zu bewegen. Dann kam die große Preisfrage: wo beginnt die Beweglichkeit? Einige mutige Schwarzgurte versuchten, die richtige Antwort zu nennen. Aber Risto löste selber das Rätsel: die Beweglichkeit beginnt mit den Worten ICH WILL! Daraufhin kamen wir erst einmal in den Genuß der Bewegung: wir durften seitlich von einem Bein auf das andere hüfpen, und zwar in möglichst großen Sprüngen! Gibt es in Finnland Kängurus? Wie diese Beuteltiere kamen wir uns jedenfalls vor! Anschließend übten wir Tai Sabaki mit Suri-Ashi mit den Abwehrtechniken Age-uke, Soto-Uke und Nagashi-Uke. Beim Konter sollten wir u. a. darauf achten, mit Gyaku-Tsuki den Partner zu treffen, bevor dieser den Fuß nach dem Mae-Geri absetzen konnte. Nach einer anspruchsvollen Kombination (Vorgehen Gedan-Barai, vorderes Bein ranziehen, Gyaku-Gedan-Barai...) und allen erwähnten Abwehrtechniken im Partnertraining war die erste Einheit beendet. Mein Partner war ebenso wie Michi Jarchau, Beatrix und ca. 50 % aller anderen Teilnehmer krank und betonte, er gehöre eigentlich ins Bett. Ich hätte wetten können, im Anschluß an den Lehrgang ebenfalls darnieder zu liegen. Aber meine Vitamin-C-Dröhnung zwischen den Einheiten rettete mich offenbar.
Die zweite Einheit begann mit unkonventionellem Aufwärmtraining: Suri Ashi, Sprung, Tsuki zur Seite. Mit Partner machten wir dann eine Übung - Suri Ashi vor, dann Step Gyaku Tsuki. Meine Partnerin war zufällig jene, gegen die ich im Kampf um den dritten Platz in Billerbeck verlor: das Auge des Tigers! Allerdings kam sie mir diesmal gar nicht sehr tigermäßig vor.
Im Anschluß hieran gabs die Katas Heian Godan, Tekki Shodan, Bassai Dai, Kanku Dai und Unsu, letztere wurde in Teile zerlegt und ausführlicher geübt. Leider reichte es nicht, um sie mir einzuprägen. Ich habe bei der Kata immer Jochen Glass vor Augen, wie er sie vor vielen Jahren einmal vorgeführt hat.
Am Sonntag ging es um humane 11.30 Uhr weiter. Ich hätte mich am Liebsten in die hinterste Ecke verkrümelt. Ich muß zudem zugeben, dass ich das bisherige Training super anspruchsvoll fand. Nicht ohne Absicht hatte Risto wohl vornehmlich in dieSchwarzgurtecke gesprochen. Wahrscheinlich war ich für diese Art von Training einfach noch nicht bereit, oder zu blöd oder untalentiert. Seis drum. Bezahlt ist bezahlt und so wird auch die dritte Einheit durchgezogen. Nach dem Angrüßen sollte jeder zweite einen Schritt vortreten und -oh no!- ich stand in der ersten Reihe, Mitte, direkt vor dem Meister! Au Backe! Die erste Technik war mit rechts zurück Age-Uke. Ein paarmal gemacht, dann stark, dann winkte mich der Meister raus. Ohje, was kommt jetzt? Zu Allen gewandt machte ich auf Anweisung des Trainers die Technik vor. Nochmal, und nochmal! Ich wußte nicht, worauf er hinaus wollte und führte die Technik so aus, wie ich sie für richtig hielt: starke Ausholbewegung und Technik. Aber, aber, ihm war die Ausholbewegung zu stark. Nur locker ausholen, sonst wird die zweite Technik, die eigentliche Abwehr, zu schwach! Nun denn, ich hatte immer versucht, die Ausholbewegung schon als eigene Technik zu sehen, ich glaube bei Jochen hatte ichs schon mal so trainiert. Tja, das muß ich mir dann wohl wieder abgewöhnen! Aber, wenn ich ehrlich bin: lieber zu stark, als zu schwach!
Wir bauten dann in der restlichen Trainingseinheit eine geile Kombination auf: Abwehrtechniken, sämtlich mit Suri-Ashi und Tai Sabaki: Soto-Uke (rückwärts raus), Age-Uke (rechts seitlich raus), wieder Soto-Uke (rückwärts), dann rechts seitlich (nicht 45 Grad, sondern diesmal parallel) raus mit Gedan-Barai. Hierbei muß der vordere Fuß ca. 50 cm weit nach rechts raus, damit man aus der Ziellinie kommt. Als letzte Technik um den vordern Fuß vorwärs drehen mit Soto-Uke. Das bekam ich ja gar nicht hin! Im Partnertraining rief ich Risto, damit ers mir erklärt und er wußte sofort, warum es nicht funktionierte. Das Geheimnis hieß Hikite! Plötzlich gings tatsächlich! Als sei ein Knoten geplatzt! Alle Techniken übten wir dann zig-fach, anschließend auch mit Age-Uke und dann mit Partner. Beim ersten Partnertraining sollte einer nur ausführen und der andere korrigieren, hier hatte ich das Vergnügen mit Jürgen aus Wesel. Ich fand, wir schlugen uns beide tapfer! Bei der Übung war es wichtig, dass das Gewicht bei der Abwehrtechnik nach hinten verlagert wurde, man aber nicht im Kokotsu-dachi stand, sondern der hintere Fuß weiter nach vorne zeigte. War gar nicht so einfach, an alles zu denken! Nach dem Partnerwechsel durfte ich mit Volker Tschannerl üben. Eine echte Herausforderung! Jetzt ging es nämlich nicht nur ums Zusehen und Korrigieren, sondern um Angriff und Konter! Da wurde mir nichts mehr geschenkt und ich mußte echt alles geben! Aber allmählich stellte sich ein wohliger Schauer bei den Übungen ein und nicht nur Fragezeichen, wie im bisherigen Tainingsverlauf!
Als letztes Trainingselement gab es folgende Übung: ein Partner bleibt stehen, der andere verlagert das Gewicht auf das Standbein, gleitet rechts nach vorne raus mit Suri-Ashi, dann mit dem linken Bein links vorwärts und anschließend sofort mit rechts Ashi-Barai am vorderen Bein des Partners und gleichzeitig mit dem Absetzen Oi-Tsuki. Der wohlige Schauer verstärkte sich mit jeder Technik und es klappte immer besser. Wir wurden immer stärker und, ja, es fing grade an Spaß zu machen, als....Risto diese Übung abbrach: Training fast zu Ende - zum Abschluß Kumite! Ich war jetzt so richtig in Fahrt und ließ mich von dem wie ein Dampfhammer vorgehenden und verdammt gut zielenden Volker überhaupt nicht irritieren! Zwar kassierte ich haufenweise Treffer, aber einstecken kann ich ja ganz gut! Ich hatte in den letzten zwanzig Minuten endlich Groschen für Groschen (Cent für Cent) Fallen hören und hatte das Gefühl, dass sich doch jetzt alle scheinbar unverständlichen Trainingselemente zusammenfügten. Die letzte, heute neu gelernte Technik versuchte ich einige Male im Freikampf, bis es leider Yame hieß und das Training vorüber war!
Ich hoffe, dass ich einiges von diesem beeindruckenden Lehrgang im Gedächtnis behalte und mir aneignen werde. Aber da werde ich wohl noch einige Zeit brauchen! Wie sagte Petra so schön in der Kabine:"Tja, hier merkt man mal wieder, Karate ist eine Lebensaufgabe!"
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