Karate, Klönen, Karaoke
Ein Blick auf meinen Kalendereintrag erinnerte mich daran: "Gasshuku Hannover, 27. Juli - 2. August - Unterkunft sichern und Urlaub nehmen". Leider bekam ich erst ab Mittwoch frei und verpasste die ersten beiden Trainingstage. Eine Fahrgemeinschaft war so auch nicht drin und selbst bei den Wohnungs- bzw. Zimmergemeinschaften war ich etwas spät dran. In der Jugendherberge gab es nur noch ein Bett in einem Vierbettzimmer mit drei mir unbekannten Frauen. Na, ob das gut geht?
Bevor ich am Dienstagabend zum Festzelt ging, um mit alten Karatefreunden zu plaudern und neue kennenzulernen, bezog ich also mein Quartier. Meine "Wohngemeinschaft" kam erst nach Mitternacht in die Jugendherberge und das Kennenlernen musste daher bis zum Mittwochmittag warten. Da waren sie also, meine drei Gefährtinnen: Natalie, zweiter Dan, im heimischen Dojo sehr engagiert, Undine, Gelbgurt, auf ihrem ersten Karatelehrgang überhaupt und schließlich noch Claudia, die „einfach so“ zum Sightseeing in Hannover war und mit Karate bisher nichts zu tun hatte. In einem Zimmer wurde also quasi die gesamte Bandbreite der Gasshuku-Besucher abgedeckt: engagierte Kampfsportler, Freizeitsportler, denen die Namen, Trainingsschwerpunkte und "Besonderheiten" der meisten Instructoren bereitsbekannt waren, Neulinge, die vielleicht zum ersten Mal dieses gigantische Karate-Event erleben durften und Mitgereiste Freunde und Verwandte, die sich als Nicht-Karateka während der Trainingszeiten einen schönen Tag in der Umgebung machten.
Das Trainerangebot dieses Mega-Lehrgangs war wieder einmal gigantisch: Neben den JKA-Instructoren Kiiskilä, Osterkamp und Rotzinger konnten wir uns auch von vielen in Europa tätigen Senseis wie Akita, Geyer, Shirai und Sugimura unterrichten lassen. Besonders beeindruckten vor allem auch die in Japan tätigen Ausbilder wie Shihan Tsuyama. Toribio Osterkamp begrüßte meine Gruppe am Mittwochmorgen mit der Unsu. "Den Ablauf kennt Ihr ja alle, da brauch ich nichts zu erklären", wies er uns gleich auf seine hohen Erwartungen an unser Trainingsniveau hin. Auch seine weiteren Anmerkungen, Hinweise und Korrekturen ließen keine Zweifel daran, dass hier ein Perfektionist in Sachen Kata am Werk war. Gleichermaßen anspruchsvoll startete auch Sensei Akita am Donnerstag den Trainingstag: Die Fülle der Hinweise, die er uns zur Sochin gab, konnte sich wohl kaum jemand vollständig merken. Akita legte sehr viel Wert auf Hikite und allgemein auf Körperspannung. Die Tatsache, dass mir am Folgetag jeder Muskel weh tat, spricht wohl dafür, dass ich hier noch einiges lernen muss! Richtig in Fahrt kam man bei der Einheit von Sensei Chees, der uns bei saunaähnlichen Temperaturen so richtig auf Touren brachte: Hier gab es ein Kihon-Kumite auf höchstem Niveau, mit ständig wechselnden Partnern und reichlich blauen Flecken. Dass ich "meinen" Risto verpasst habe, ließ sich verschmerzen, da ich ja sicher in den nächsten Monaten noch reichlich Gelegenheit haben werde, bei ihm zu trainieren. Zudem hatte der mir bisher unbekannte japanische Instructor Takahashi (der mit dem Kinn-Bärtchen) ähnliche Schwerpunkte und startete das Training mit einer Aufwärmsequenz, die mich sehr an das Hüft-Power-Pack von Risto erinnerte. Auch bei den Erklärungen der übrigen Übungen konnte ich einige Parallelen zum Training des Finnen erkennen. Einen Shihan Shirai hat man wohl nicht alle Tage vor sich und sehr gerne hätte ich ihn und seine charismatischen Schwarzgurtassistenten mitbekommen. Vereinskameradin Silke konnte sich leider nicht über ein Chill-Out in der letzten Trainingseinheit am Freitagnachmittag freuen: Keith Geyer zog einen zünftigen Endspurt vor und ließ die Gruppe des 5. Kyu noch einmal alle Kraftfeserven mobilisieren. Basierten die Trainingsinhalte auch häufig auf bekannten Grundlagen, so wurde speziell in meiner Trainingsgruppe hart an den Details gefeilt. Für mich war dieser Gasshuku der erste in der Gruppe ab 2. Dan und ich war schwer beeindruckt, dass sich ja quasi die gesamte Karate-Prominenz in meiner Einheit tummelte! So konnte ich Erwin Querl in der Reihe vor mir bewundern oder die präzisen Geris von Anika Lapp kassieren - Training auf höchstem Niveau halt, auch wenn ich selber in dieser Gruppe sicher zu den "Anfängern" zählte.
Meine Gelbgurt-Zimmergenossin hätte sich bei der ein- oder anderen Trainingseinheit vielleicht das Vertiefen so mancher Übung gewünscht. Dies kann ein Karate-Spektakel wie der Gasshuku natürlich nicht leisten. Ziel ist wohl eher, einen Blick über den Dojo-Tellerrand zu bekommen, eine Ahnung davon zu bekommen, wie vielfältig Karate ist und dass es vielleicht eben nicht nur um Tsukis und Geris geht, nicht nur um Spannung und Entspannung, sondern auch um die richtige Atemtechnik um Ki und richtigen Hüfteinsatz. Es ist zudem immer wieder beeindruckend, zu sehen und zu hören, dass Karate eine echte Lebensaufgabe ist: Shihan Sugimura wies mit einem nachsichtigen Lächeln auf die Veränderungen des "Materials" und die damit verbundenen Trainings-Konsequenzen hin. Karate-Nobody Claudia war schließlich so fasziniert von unserer Kampfkunst, dass sie einigen Trainingseinheit als Zuschauerin beiwohnte, im Plausch mit den erfahrenen Karateka bei dem abendlichen Festzelt-Meetings mit Anmerkungen zum Hüfteinsatz und Bauchatmung überraschte und uns stets lautstark mit einem herzhaften "Oss" zuproste.
Die meisten Trainingshallen lagen in der unmittelbaren Nähe der Jugendherberge und der Übernachtungshalle. Lediglich die Karateka des 4. und 5. Kyu, die sich zum Schwitzen in Halle 3 begeben musste, hatten einen etwas weiteren Weg zu beschreiten. Etwas ungünstig war wohl die Belüftung der Halle 2, in der sich Träger des 1. Kyu und 1. Dan in der Kampfkunst fortbilden ließen. Grund: Der Hausmeister hatte wohl die Lüftung während der Sommerferien abgestellt und war nicht erreichbar.
Organisator Riad Kheirallah hatte alle Hände voll zu tun, um auch für unser außersportliches Wohlbefinden zu sorgen und auch wenn es mittags manchmal zu einem kleinen Engpass an der Nudeltheke kam, war doch für unser leibliches Wohl ausreichend gesorgt. Wichtiger noch bei den hochsommerlichen Temperaturen war natürlich die Flüssigkeitszufuhr, die immer hundertprozentig funktionierte und auch bei den beiden abendlichen Großveranstaltungen am Mittwoch und am Freitagabend nicht zu längeren Wartezeiten führte. Am Mittwochabend nämlich sorgte Schlatt mit seiner Karaokeshow für Furore. Da ich an dem Abend zunächst den fünfzigsten Geburtstag eines Vereinskameraden feiern durfte, kam ich erst nach Beginn der Show zum Festzelt. Während ich mit Freunden noch etwas unentschlossen vor dem Zelt stand, hörten wir plötzlich die Ansage: „Und nun unser Superstar Sensei Akita!" Das durften wir uns natürlich nicht entgehen lassen und wir konnten erleben, dass Karate nicht das einzige Talent des Kampfkunstmeisters ist.
Für die Abschlussfete am Freitag hatte Riad eine Rockband ausgesucht, die das gesamte musikalische Repertoire der letzten vierzig Jahre auf dem Kasten hatte. Um einen Eindruck von der Stimmung zu bekommen, die an diesem Abend herrschte, reicht es vielleicht, zu wissen, dass ich zum ersten Mal mitbekam, wie ein Bandleader das Publikum um Gnade bat und eine Pause erflehte - die Partymeute war nicht zu stoppen und der Mit-Gesang war streckenweise (vielleicht durch Schlatts "Karaoke-Trainingseinheit"?) fast ein Selbstläufer!
So ist er denn leider schon wieder Vergangenheit, der Gasshuku in Hannover. Aber nach dem Gasshuku ist vor dem Gasshuku und wer 2009 in Konstanz dabei sein möchte, der kümmere sich am Besten frühzeitig um eine Unterkunft. Ich glaube, ich werde schon mal in der Jugendherberge reservieren. Vielleicht ist ja noch Platz in einem Vierbettzimmer....
Andrea Haeusler
Shotokan-Karate-Dojo Münster e. V.
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