Meine erste "Tournee" mit dem finnischen Chor am 27. und 28.09.2008
Meinen ersten größeren Chorauftritt hatte ich vor ziemlich genau einem Jahr im Veranstaltungsraum der ev. Lukasgemeinde hier in Münster. Zum ersten Mal führten wir damals weit ab von perfekt, dafür aber mit viel Herzblut die Suomalainen Messu von Lasse Heikkilä auf. Das war ein ganz besonderer Gottesdienst für mich, an den ich mich heute noch genau erinnern kann: ein paar Tage zuvor hatte nämlich der schreckliche Amoklauf an der Jokela-Schule in Finnland stattgefunden. Pfarrerin Helena predigte erst auf Finnisch und schon da sah ich an den bestürzten, mir zugewandten Gesichtern der Gemeinde, dass Helenas Worte sie sehr anrührten. Dann wiederholte sie sinngemäß auf Deutsch. Und jetzt durchfuhren auch mich ihre Worte wie ein Blitz: Sie schaffte eine Verbindung zwischen den Liedtexten Heikkiläs und den traurigen Geschehnissen in Finnland. Während sie redete, kam es mir so vor, als habe der Komponist die Messe genau für diesen speziellen Tag so gestaltet. Es war gleichzeitig sehr ergreifend und auch ein bischen unheimlich!
Unser Gesang ist wohl dann auch ganz gut angekommen, denn bald kamen Anfragen von auswärtigen Gemeinden: In Köln, Hamburg und Bremen sollten wir singen. Bei dem Auftritt in Köln war ich nicht dabei. Jetzt aber sollte es an einem Wochenende in den Norden gehen. Und wieder gab es im Vorfeld ein Attentat an einer finnischen Schule!
Die Wochen zuvor erlebten wir einen wahren Probenmarathon! Bald jedes Wochenende sangen wir bei Liisa und Peter im Wohnzimmer - selten in der Komplettbesetzung, manchmal auch nur zu siebt oder acht. Aber grade die "kleinen" Proben, also mit wenigen Teilnehmern, gestalteten sich als ziemlich gnadenlos: Peter hörte jeden Patzer und feilte an jeder einzelnen Stimme herum! Liisa hatte vorgeschlagen, dass jeder Solist eine mögliche Vertretung haben sollte, wer sich vorstellen könne, ein bestimmtes Lied alternativ zu singen. "Die Nr. 9", platzte es aus mir heraus, als hätte ich auf genau diesen Moment gewartet! "Na, dann sing mal." Ja, ja, sing mal, wenn Dir der Brustkorb vor lauter Herzklopfen zu platzen droht! Mann, war ich aufgeregt - und dabei waren das doch nur meine Chorfreunde, die seit vielen Monaten mit mir gemeinsam sangen! Ich sang das "ostbottnische Glaubensbekenntnis", vermutlich wie Mireille Mathieu - voller Leidenschaft, und fast ohne ein Wort zu verstehen! Ich sang halt genau so, wie es auf der CD klang und wie ich es schon zig mal im Auto "mitgegröhlt" hatte. Danach: Standing ovations! Und es war klar, dass jetzt ICH die Solistin war! Wahnsinn! Die Euphorie wurde mir dann bald durch Peter genommen, der bei der nächsten Chorprobe wieder das Zepter in der Hand hatte: Nicht so laut, nicht so viel Stimme - ich würde mich ja anhören, als sänge ich in der Kneipe! Und so wurde aus meinem leidenschaftlichen Lied ein schlichtes Glaubensbekenntnis. So ist das wohl, wenn man sich der Regie fügen muss! Permanent bekam ich noch Verbesserungsvorschläge, was meine Aussprache betraf. Es war dann eben doch alles nicht so einfach!
Nun denn - oder noniin, wie der Finne sagt, das Wochenende nahte. Als wir losfuhren, war mir plötzlich klar, dass ich fast alle Solisten, Musiker und Instrumente in meinem Auto hatte! Soweit also der Plan mit dem Ersatzensemble - wenn ich jetzt eine Panne oder einen Unfall hätte, wäre der Gottesdienst wohl gelaufen! Leider hatten wir so gar nicht an den Beginn der Herbstferien gedacht! Wir kamen erst um kurz nach halb drei in Hamburg an. Der dortige Auftritt sollte in der finnischen Seemannskirche stattfinden. Diese lag dann auch "stilecht" in unmittelbarer Nähe der St. Pauli Landungsbrücken, der Reeperbahn und dem Kiez! Wow, na da war ja die Abendgestaltung gesichtert!
Der Pfarrer war noch nicht da und wir versuchten, uns schon einmal in dem Gebäude der finnischen Gemeinde dort zurecht zu finden. Es war insgesamt ein recht dunkler Bau. Die Kirche war klein und eng. Wo sollten wir stehen - geschweige "tanzen"? Der Pfarrer kam und begrüßte uns. Ich dachte spontan: "Was für ein smartes Kerlchen!" Leider entpuppte er sich dann als recht wortkarg, was aber auch daran liegen mochte, dass er wenig deutsch konnte. Oder auch daran, dass er mit den Gedanken schon bei der Abendveranstaltung (30. Jubiläum der finnischen Sprachschule zu Hamburg) war. Oder daran, dass er keine Lust auf unsere Chorgesänge hatte. Oder, oder, oder....wie auch immer. Wir probten und hatten dann später unseren Auftritt in der düsteren kleinen Kirche und irgendwie fühlten wir uns nicht recht willkommen. Der ausgeliehene Hamburger Akkordeonspieler erwies sich als ziemlich lieblos und miserabel. Die Gemeinde saß uns mit ausdruckslosen Gesichtern gegenüber (abgesehen von Kaisus Sohn mit Familie) und der abschließende Applaus erwies sich als eher spärlich. Die Atmosphäre war kühl und düster, die Zeit zog sich hin - wie eine Nacht im finnischen Winter! Was wohl den stimmungsmäßigen Tiefpunkt bei allen setzte, war die Tatsache, dass die Sprachschule sich anschließend noch zu einem schicken Sektempfang im Gemeindesaal traf und wir mit Brötchen und Orangensaft in der Sakristei "abgespeist" wurden! Statt diese zu uns zu nehmen, hätten wir lieber direkt in die zur Seemannskirche gehörenden Sauna gehen sollen! Nach dem "Essen" bezogen wir schnell unsere Schlafräume: für eine Seemannskirche sehr passende Räumlichkeiten mit rund 20 Schlafgelegenheiten in Doppelstockbetten mit Metallgestell. Es war aber sehr gemütlich und amüsiert nahm ich die "Bauweise" finnischer (skandinavischer) Bettwäsche zur Kenntnis: An zwei Ecken ist der Stoff einfach abgeschnitten, damit man die Bettdecke einziehen kann, ohne den Stoff vorher auf links drehen zu müssen. Miina meinte, sie würde bei "richtigen", also mittel-europäischen Bettbezügen als erstes immer die Ecken abschneiden ;-)
Der Rest des Abends war dann sehr lustig: Mit meiner Autobesatzung (ohne Pia, dafür mit Diet) zogen wir um die Häuser, staunten an der Reeperbahn, grüßten Hans Albers -bzw. seine Statue, fanden den Zugang zur Herbertstraße nicht und landeten dann auf einen Snack und ein Bier in einem kleinen Restaurant direkt an der Kirche! Kurz vor Mitternacht lagen wir dann in den Betten.
Am nächsten Morgen erwartete uns ein kleiner Zettel mit einer Nachricht: Einer von uns sollte eine Pirjo Virtanen oder so in Bremen anrufen. Da Miina mit Nachnamen auch zufällig Virtanen heißt, fiel das Rückruf-Los auf sie. Die Gesprächspartnerin war eine Frau aus der Bremer Gemeinde. Wir sollten mal lieber nicht so früh kommen. Es wäre vorher noch eine andere Messe in der Kirche und man habe auch keine Zeit, für uns Brötchen zu schmieren oder so. Na, toll! Sind wir da noch weniger willkommen als in Hamburg? Warum lädt man uns dann überhaupt ein? Fahren wir doch gleich wieder durch bis nach Münster! Wir waren irgendwie ganz schön enttäuscht. Aber draußen war das Wetter schön und so besserte sich unsere Stimmung schlagartig, als wir aus dem düsteren Gebäude hinaustraten. Die Fahrt nach Bremen war dann auch sehr amüsant und wir lernten viel Neues voneinander kennen und auch viele neue finnische und deutsche Gepflogenheiten. So äußerten Pia und Miina recht lebhaft ihr Unverständnis darüber, dass die Deutschen ihr Geschirr nach dem Waschen nicht absprülen (also den Schaum drauflassen, bis er weggetrocknet ist). Ich konnte mich erinnern, dass auch Reijo hierüber "not amused" war. "Man läßt doch nach dem Duschen auch nicht den Schaum auf der Haut und putzt ihn einfach ins Handtuch!", so Pias und Miinas einhellige Meinung. Es war also eine recht kurzweilige, interessante und lustige Autofahrt.
In Bremen angekommen stellten wir angenehm überrascht fest, dass der vor der Kirche verlaufende Marathonlauf bereits beendet war, wir also entgegen der Voraussagen direkt bis auf den Kirchparkplatz fahren konnten. Und wir waren auch nicht zu früh: die Vorgängermesse war wohl zuende und auf uns wartete ein reichhaltiges "Brötchenbuffet", dargeboten von freundlichen finnischen Gemeindemitgliedern! Die St.-Ansgari-Kirche wurde wohl noch in Zeiten gebaut, als die katholischen Gemeinden noch einen fetten Taler über hatten: Es gab ein mehr als großzügiges Gemeindehaus mit Aula und weiteren Räumen im Untergeschoss und die Kirche selbst - ein Traum! In schwindelerregenden Höhen erahnte man die gewölbte Decke und gegenüber dem modern gestalteten Altar befand sich auf der Empore über dem Eingang ein absoluter Traum von Orgel! Zu hören bekamen wir sie nicht, aber allein der Anblick ließ erahnen, dass ihr ausschließlich göttliche Töne zu entlocken waren! Die Kirche war trotz ihrer Größte hell und freundlich und durch die seitlichen Oberlichter strömte Sonnenlicht hinein. Das Einsingen diente hauptlsächlich Peter dazu, uns auf die neue Hall- und Akustiksituation abzustimmen: hier etwas lauter, Geige kräftiger und selbst ich durfte, welch Freude, mein Solo jetzt mal richtig schmettern ;-) Kurz vor Beginn der Messe, die hier erfreulicher Weise wieder von Pfarrerin Helena geleitet wurde, stellte Tuulas Mann fest, dass seine Videokamera defekt war. Also ließ sich unser Auftritt nicht für die Ewigkeit festhalten. Spätestens da war mir klar, dass dies der beste Auftritt von allen würde und wir ihn halt mit allen schönen Momenten einfach im Gedächtnis und im Herzen behalten müssten - ohne technischen Support!
Die positive Stimmung und Erleichterung, dass hier alles anders war als in Hamburg, übertrug sich wohl auf die ganze Chorgemeinschaft und wir sangen aus vollem Herzen unsere Messe! Pias Stimme klang wie ein Engel, bei Christophero hatte man den Eindruck, der Herrgott persönlich würde uns die Leviten lesen. Der hiesige Akkordeonspieler (ein recht junger Deutscher) legte so dynamisch und rasant los, als wolle er die Walküren aus Walhalla vertreiben und der Gipfel unserer Glückseligkeit bestand wohl darin, in Peters Mimik zu lesen, dass wir all seine Erwartungen nicht nur erfüllten, sondern vielleicht sogar übertrafen! Die Gemeinde lauschte andächtig und aufmerksam. Hell, freundlich und all dies in einer herzlich-warmen Atmosphäre - wir fühlten uns wie im finnischen Sommer an einem klaren See! Und es gibt wohl wenige Momente, in denen man sich Gott so nahe fühlen kann, wie in dieser Stunde.
Die Pfarrerin zog diesmal keinen direkten Bezug zu den aktuellen Geschehnissen und dem erneuten Amoklauf in Finnland. Allerdings räumte sie nach dem Gottesdienst in einem kleinen Kreis ein, sie hätte heulen können angesichts dieses schrecklichen Zufalls! Die Texte der Messe spiegeln wohl genau die derzeitige Situation Finnlands wider - neben der hohen Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Perspektivlosigkeit gibt es dennoch ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein und eine starke Liebe zum Vaterland die für Zusammenhalt sorgen und trotz aller Sorgen Anlass zur Dankbarkeit geben.
Sehr überrascht war ich übrigens, als wir von Helena zum Altar gebeten wurden und uns in Wein getauchte Hostie überreicht wurde! Ich dachte, dies gäbe es bei den Lutheranern nicht. Ich wurde aufgeklärt: Ausnahmsweise, bei besonders festlichen Anlässen würde auch wohl hier als Symbol die Hostie gereicht.
Einen schöneren, würdigeren und feierlichen Abschluss unseres Chorprojekts der Suomalainen Messu als den Auftritt in Bremen hätten wir uns wohl nicht vorstellen können.
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