Es ist wohl für alle Karateka des SKDM immer eine besondere Freude, wenn mein erster Sensei Jochen Glaß (5. Dan) einmal im Jahr aus Konstanz nach Münster kommt, um bei uns einen Karate-Lehrgang zu leiten. Wir haben von ihm schon viel gelernt - aber in den letzten zwei, drei Jahren lag der Fokus eindeutig auf der Selbstverteidigung. Klar, es ist toll, wenn man einige Karate-Grundlagen hat und das grundlegende Beherrschen von Tsukis, Empis, Geris und co. läßt einem hier einigen Spielraum, die vorgeschlagenen Übungen zu gestalten und vielleicht auszuweiten. Die wichtigste Basis für den Lehrgang war diesmal allerdings für mich die Leidensfähigkeit! Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich grade nicht weiß, wo ich beim Schreiben meine Unterarme auflegen soll, damit ich nicht mit der Tischkante an die blauen Flecke komme - aber der gestrige Tag war für mich geprägt durch sehr viel Konsequenz und Realitätsnähe.
Jochen war wieder nicht alleine angereist, sondern hatte zu unserer Freude einige Karateka mitgebracht, die unser Training wieder eindrucksvoll bereicherten: Kaderathlet Steffen Maier wurde von Jochen permanent als Dummie benutzt - bis bei ihm am Ende schon fast die Luft raus war! Seine Freundin Amanda Staubach war zum ersten - aber hoffentlich nicht zum letzten Mal mit in Münster und bereicherte die Farbgurttruppe. Sebastian Faller wandelte die vorgeschlagenen Übungen eindrucksvoll auf seine körperlichen Möglichekeiten um (er hat keine Arme) und zeigte uns z. B. anschaulich, wie man einen Würgegriff am Hals allein durch den Kinneinsatz abwehren kann. Besonders beeindruckend finde ich immer wieder, dass unser Freund Adrian Seidel seit Jahren den Weg nach Münster auf sich nimmt, obgleich er nicht zusammen mit den anderen aus Konstanz, sondern extra aus Rosenheim anreist.
In diesem Jahr besonders erfreulich war die trotz des herrlichen Herbstwetters starke Beteiligung am Kurs. Die Unterstufe war ebenso stark besetzt wie die Oberstufe und die Farbgurte zeigten keinerlei Hemmungen bei der Umsetzung der für sie doch meist noch ungewohnten Übungen. Bei den Braun- und Schwarzgurten gab es dann kein Halten mehr und Jochen demonstrierte seine Befreiungs- und Kontertechniken mit sichtlichem Spaß und sehr konsequent an seinen langjährigen Karatefreunden.
Der für einen SV-Kurs klassische Trainingsaufbau begann mit Ausweichübungen. Anschließend übten wir das Lösen des Griffs um ein, später um beide Handgelenke. Hier begannen wir gleich recht hämatomlastig mit Gedan-Barai, dann erst übten wir den "Klassiker", das Herausdrehen der Hand/Hände. Jochen wies uns mehrfach ausdrücklich darauf hin, dass wir die Übungen in unser permanentes Training integrieren sollten, am besten nach jeder Trainingseinheit noch 15 Minuten SV (ach ja, und noch noch zwei drei Katas....vielleicht noch etwas Krafttraining ..... und was man nicht sonst noch alles vertiefen sollte....seufz!).
Nach dem Befreien der Hände machten wir weiter mit einem Würger am Hals, erst von vorne, dann von hinten. Das war jetzt eine echt unangenehme Geschichte, denn mein Partner und ich schonten uns wahrlich nicht - weder beim Angriff, noch bei der Abwehr und der Sicherung am Boden. Insgeheim fragte ich mich schon, ob ich sichtbare Würgemale davontragen würde - aber der Blick in den Spiegel heute morgen machte mir klar, dass so ein Hals doch widerstandsfähiger ist, als man gemeinhin meint. Der Würger von hinten war durch eine schnelle Drehbewegung, verbunden mit dem Einsatz der Arme, zu lösen. Ich frage mich allerdings, ob ich dazu noch in der Lage bin, wenn mich Schock, Schmerz und Luftmangel im nicht angesagten Ernstfall einmal übermannen sollten. Ganz widerlich war die Übung, bei der wir versuchen sollten, uns aus dem Schwitzkasten zu befreien. Hier schlug Jochen zunächst eine Befreiung durch Umfassen der gegnerischen Leibesmitte und Umwerfen des Übeltäters vor. Das hat bei mir überhaupt nicht funktioniert und mir wurde auch echt schlecht vom Wügegriff meines Partners! In so einer heiklen Situation bleibt keine Zeit zum Überlegen und für komplizierte Techniken - sehr eindrucksvoll rief uns Jochen dann ins Gedächtnis, dass wir in so einer Situation unsere Karatebildung getrost auch einmal vergessen könnten: Der Gegner konnte hier durch ganz profanes Kneifen in die Innenseite des Oberschenkels zum Loslassen gebracht werden! Aua!!!
Umklammerung von hinten. Hier verzichtete Jochen auf den klassischen "Fingerbrecher" und zeigte uns stattdessen einige Möglichkeiten, wie man den Partner per Fußversetzen und Gewichtsverlagerung zu Boden wirft. Ich denke, hier hatten besonders Trainingspaare mit extremen Größen- und Gewichtsunterschieden die größten Probleme! Diese Übungen sind sicher effektiv und sinnvoll - zum Training hierfür sollten aber Tatamis vorhanden sein.
Ich werde mir die Tage nochmal mehr Zeit nehmen und versuchen, die einzelnen Trainingsbestandteile zu rekapitulieren. (Noch) Nicht ausgeführt hatten wir Befreiungsmöglichkeiten am Boden - ob das wohl gleich um halb elf noch in der Einheit dran kommt? Oh Mann, ich wollte heute Mittag eigentlich zum Blutspenden - ob die mich da nehmen mit meinen ganzen augenscheinlichen Mißhandlungskennzeichen????
Zum Schluss bleibt mir jetzt ganz spontan nur anzumerken: Ich weiß, dass Jochen viel mehr auf dem Kasten hat, als "nur" Selbstverteidigung....so erinnere ich mich z. B. an einen Lehrgang vor einigen Jahren, bei dem der Schwerpunkt auf der Kata Gangaku lag. Ich meine, bei ihm gestern herausgehört zu haben, dass er im nächsten Jahr vermutlich mal wieder ein anderes Thema wählen möchte. Das wird sicher auch spannend - aber irgendwie tuts mir um die tolle Schulung in der SV jetzt schon leid!
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