Samstag, 21. Mai 2016

KWF Mastercamp in Paris

Zu einem Karate-Lehrgang nach Paris? Das kann wohl nur ein Traum sein! Und das war es auch wieder für Torsten und für mich! Nachdem wir bereits 2011 einmal anlässlich eines Karate-Lehrgangs mit den Senseis Jean-Pierre Fischer und Jean-Michel Blanchard in die französische Hauptstadt gefahren waren und dort einen Mix aus Kultur, Cuisine und Karate erleben durften, war in diesem Jahr ein Karate-Seminar der KWF (Karatenomichi World Federation) unter der Leitung von Karate-Legende Sensei Yahara Mikio der Anlass.

Ein Blick über den Tellerrand, also – und doch nicht ganz neu für uns, da wir ja bereits zweimal am Lehrgang „Samurai Spirit“ teilgenommen hatten, einem Lehrgang, bei dem unser National Coach Thomas Schulze Sensei zusammen mit einem seiner Ausbilder, Malcolm Dorfman Sensei, das Training leitet. Malcolm Sensei ist KWF-Vize-Präsident und unterrichtet Karate in Johannesburg, Südafrika. Schon bei Malcolm Sensei konnten wir eine Idee davon erlangen, wie man trainieren muss, wenn man Karate nicht nur als Kampfkunst, als Sport oder als Lebensweg betreibt, sondern zur täglich notwendigen Selbstverteidigung!

Natürlich hat auch die JKA, hat auch der DJKB den Ippon-Gedanken im Vordergrund: Wir trainieren Karate so, dass wir einen Angreifer im besten Fall mit einer Technik ausschalten können. Aber die KWF scheint in meinen Augen diesen Hintergrund noch intensiver zu verfolgen. Nach meinem Kenntnisstand ist die Grundlage des KWF-Karate eine noch extremere Vorbereitung des Körpers auf den Kampf. Der Körper – und speziell die „inneren Muskeln“, wenn ich Sensei Yahara richtig verstanden habe – wird durch das Kihon-, Kata- und Kumite-Training so gestählt, dass die Techniken mit einer gnadenlosen Härte rüberkommen. Dies geschieht durch eine extreme Körperanspannung und –verdrehung, die Yahara Sensei „Compression“ nannte. Diese wurde in Paris auf drei Arten geübt:


  • „Compression by hip rotation“: Beim Hikite wird die Hüfte noch um einiges weiter nach hinten abgedreht, als es bei uns üblich ist.
  • Joint Compression" = Hierbei wird - z. B. bei Blocktechniken - der vordere Fuß ein Stück weit rangezogen und der Körper auf der Stelle in allen Gelenken bis zum Maximum komprimiert, so dass eine extreme Vorspannung entsteht, die bei der Auflösung ein Höchstmaß an Kraft freisetzt.
  • "Compression by body rotation" = ein Ausnutzen der Zentrifugalkraft durch schnelles und starkes Verdrehen des Oberkörpers 

Wenn die JKA in den letzten Jahren immer mehr Wert auf Schnelligkeit zu liegen scheint, so liegt der Schwerpunkt des KWF eher auf Kraft, würde ich sagen.

Ich hatte während des Lehrgangs zuweilen das Gefühl, dass der Meister viel erklärte und erzählte. Für viele Erklärungen war ich wohl dankbar, hätte mir zuweilen aber mehr Ausführung gewünscht. Gleichwohl müssen wir uns aber dennoch in den Phasen der Aktivität sehr angestrengt haben, denn die Muskeln waren auf der Heimfahrt ordentlich müde! Ich bin auch sicher, dass dieser extreme Körpereinsatz sehr kräftezehrend ist. Aber ohne Fleiß kein Preis – und nur wer die Muskeln trainiert und den Körper schult, kann ihn auch effektiv einsetzen.

Im Vorfeld war ich sehr gespannt auf den Lehrgang, der immerhin als „Mastercamp“ ausgeschrieben war und auf dem dann tatsächlich fast ausschließlich Dan-Träger trainierten. Wie würde es sein, als Gast unter Karateka zu trainieren, die sich in den Besonderheiten des KWF viel besser auskennen. Die Antwort lautete: Es war ganz normal! Es war einfach Budo-Karate, ganz normales Karate-Training mit einem neuen Übungsansatz! Und die Leute um uns herum schienen – obgleich sie KWF-Mitglieder waren – auch nicht viel geübter in den extremen Bewegungsabläufen, als wir es waren! Karate ist eben auf der ganzen Welt ein lebenslanges Lernen und ich kann jedem Karateka nur Mut machen, jede Gelegenheit zu nutzen, um auch einmal – z. B. im Urlaub oder wenn man dienstlich unterwegs ist – in anderen Dojos um ein Gasttraining zu bitten.

Yahara Sensei sprach erstaunlich gut Englisch und machte einen sympathischen und zuweilen auch humorvollen Eindruck. Gleichwohl war sein Training fordernd und er korrigierte akribisch auch die kleinsten Fehler.

Nach dem ersten Trainingstag wartete zunächst die hoteleigene Sauna auf uns und sorgte dafür, dass wir keinen Muskelkater bekamen! Anschließend hatte Torsten für uns einen Tisch in einem Restaurant reserviert, im „Le Train Bleu“, einem ehemaligen Wartesaal im Gare de Lyon: ganz auf Jugendstil getrimmt und mit einer exzellenten Auswahl an Speisen und Getränken. Bei diesem Festmahl verging die Zeit wie im Flug und nachdem wir in unseren Gesprächen den ersten Lehrgangstag hatten Revue passieren und künftige Fuji-San-Events geplant hatten, ging es noch auf eine nächtliche Stippvisite zum Eiffelturm!

Obgleich es dann doch halb zwei war, bis wir wieder am Hotel waren, ging es am nächsten Morgen frisch und voller Erwartung wieder zur Trainingshalle. Am zweiten Tag standen Kata und Kata-Anwendung auf dem Programm. Wir übten Jion und Kanku Dai unter Berücksichtigung der KWF-Besonderheiten und genossen in der Mittagspause noch einen kleinen Snack in einem der nahen Bistros. Am Nachmittag wurde dann die Anwendung der Kata erklärt und geübt. Wie es oft so ist, gab es die ein- oder andere überzeugende Anwendungsoption, andere waren nicht so leicht nachvollziehbar. Besonders spannend fand ich Sensei Yaharas Erklärung zu verschiedenen Kata-Anwendungen in Bezug auf die Befreiung aus einer Handgelenksumklammerung: Je nachdem, wie die Hand bzw. der Arm gegriffen werden (von vorne, von oben, von der Seite), können Techniken aus der Heian Shodan, Heian Sandan oder Kanku Dai genutzt werden. Interessant auch der Ansatz zum Unterschied des Kakiwake Uke im Kokotsu Dachi (Hände werden nach Lösen des Überkreuzens eher etwas an den Körper heran gezogen) zur selben Technik im Zenkutsu Dachi (Hände werden nach vorne gedrückt).

Einen ganz herzlichen Dank an die Ausrichter des Lehrgangs und an die Übersetzer, die uns das Wissen des Meisters näher gebracht haben sowie an den Assistenten Sensei Yaharas, Otsuka Masamichi Sensei! Für mich war es ein sehr interessanter Lehrgang und ich freue mich schon darauf, diese Themen beim Samurai-Spirit Mitte Juni weiter zu vertiefen.


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