Montag, 28. Mai 2007

Fit für Karate

Fit für Karate

Das waren noch Zeiten, als ich noch jung und ungebunden war, in meinem ersten Karateleben, sozusagen! „Hotel Mama“ sorgte für ein beschauliches Leben, die einzigen Verpflichtungen bestanden in der Erfüllung schulischer Pflichten, keine Familie bestimmte den Tagesablauf. Da war natürlich viel Zeit für Karate und daneben noch für ein ausgeprägtes Fitnesstraining in Form von Schwimmen und/oder Laufen.

Tja, die Zeiten ändern sich. Die schulischen Pflichten sind einem anspruchsvollen Job gewichen, Kinder wollen beaufsichtigt oder hin- und herkutschiert werden – nur von dem „Hotel-Mama“ ist immerhin noch die Mama übergeblieben, die jetzt als "Oma" bei uns mehr oder weniger den Haushalt führt (ein bisschen Luxus muss halt doch sein….). Um regelmäßig Karate zu betreiben, bedarf es da schon einiger Disziplin und ein Fitnesstraining „nebenher“ ist fast ausgeschlossen. Wenn man sich nun aber auch noch ein wenig gehen lässt und ja auch leider nicht „jünger“ wird, dann sammelt sich leider mehr und mehr das Hüftgold um die Körpermitte. Nun, ganz kann man es sicherlich nicht verhindern, dass sich die Figur mit der Zeit verändert. Aber als ich neulich beim Arzt mal auf die Waage durfte, bekam ich doch einen Schrecken….jetzt musste etwas passieren! Wie wäre es z. B. mit Laufen?

Die guten Laufschuhe waren schnell rausgekramt und mehr braucht man ja eigentlich nicht. Funktions-Shirts oder Laufhosen – überflüssig! Einfach die olle Joggingbuxe aus dem Schrank und ein T-Shirt an und dann mal los. Sicherheitshalber mal morgens früh vor der Arbeit, da sind noch nicht so viele andere unterwegs. Und dann mal lieber hinten raus, durchs Feld und die Wälder – wegen der neugierigen Nachbarn. Am Aasee dann böse Überraschung: auch zu nachtschlafender Zeit um halb 6 morgens habe ich die Strecke nicht für mich alleine. Scharen von Joggern kommen mir schon verschwitzt entgegen – verschwitzt, aber mit einem lockeren Schritt, fast Sprung und einem Lächeln im Gesicht. Meine Fortbewegungsart ähnelt eher den im benachbarten Zoo beheimateten Rhinozerossen oder Elefanten…jeder Schritt hat eine spürbare Erschütterung der Erdoberfläche zur Folge! Interessiert suche ich stets die Quelle des unbestimmten Dauergeräusches um mich herum, bis mir bewusst wird, dass es sich hierbei um meinen keuchenden Atem handelt! Oje, ich gebe sicherlich eine traurige Figur ab!

Aber es wird nicht aufgegeben! Schon am nächsten Tag stehe ich wieder extra früh auf, nur ein kleiner Kaffee, ein Blick in die Zeitung, dann wieder los. Eigentlich echt schön – morgens früh ist doch irgendwie die Welt noch in Ordnung. Die Vögel zwitschern um die Wette, der würzige Duft nach feuchter Erde und gemähtem Gras verwöhnt die Nase, Morgentau benetzt meine Schuhe. Ich atme die frische Luft ein und spüre, dass das Atmen schon viel leichter fällt. Der Schritt ist immer noch etwas schwerfällig und ich muss mich zwingen, die Beine locker zu lassen. Der frisch gepresste Orangensaft schmeckt anschließend doppelt so gut wie sonst und den ganzen Tag im Büro hab ich eine gute Laune, weil ich ja schon mein Fitnessprogramm erledigt habe und abends noch Karate auf mich wartet. Was für ein Leben!

Nach einer Woche morgendlichem Joggens dann der Moment der Wahrheit. Die neu gekaufte Digitalwaage wird mir meinen Erfolg bescheinigen. Aber – oh Schreck, fast derselbe Wert wie beim Arzt! Was habe ich nur falsch gemacht??? Bedrückt fahre ich zur Arbeit, mittags nur ein Salätchen, schlechte Laune den ganzen Tag und auch noch ein Kratzen im Hals, welches sich zu einer kleinen Erkältung entwickelt, die mich die nächsten Tage nicht laufen lässt. Mein finnischer Bekannter schreibt mir über sein tägliches Trainingspensum (ehemaliger halb-professioneller Triathlet) und ich träume nachts von einer Sängerkarriere wie Meatloaf. Leider kann ich aber auch nicht singen.

Nach drei Tagen halte ich es nicht mehr aus. Die Nase ist zwar noch verstopft und die Bronchien noch leicht belegt, aber ich muss raus! Fühle mich einfach nur noch dick und hässlich! Das Wetter ist herrlich und gleich die ersten Schritte lassen mich stutzen: was ist das? Das geht ja richtig gut! Nach ungefähr einem Kilometer muss ich mir mal kurz die Nase schnäuzen und die Anstrengung lässt mich mal kurz abhusten, aber ich merke, dass ich an diesem Tag fast diesen schwungvollen, dynamischen Schritt habe, den ich bei den anderen Läufern gesehen habe. Fühle mich stark und schnell! Na, dann kann ich ja auch den Bogen zum Aasee wagen! Dort ist immer „Rennstrecke“ und blöder Weise fühle ich mich immer unter Druck gesetzt, wenn da so viele schnellere Läufer sind! Höre Fußstapfen hinter mir! Ach, ist bestimmt so ein kräftiger 1,80-Meter Mann mit Marathon-Finisher-Shirt! Aber nein, heute ein zartes Mädel, die im Eiltempo an mir vorbeidüst. Sicher hat sie noch was vor …. Warum sonst die Eile???? Ich schaue mir ihre Schrittbewegungen an und sehe, dass sie viel kleinere Schritte macht als ich. Dafür aber schnellere. Kann doch nicht so schwer sein. Kann ich bestimmt auch. Und los! Unbeirrt bleibe ich bis zur Aaseebrücke hinter ihr. Langsam wird sie nervös und fühlt sich verfolgt. Sie läuft dann aber rauf zur Straße und verlässt mich. Ich bleibe am See und versuche, die Schrittfolge bei zu behalten. Bis zu den Aaseekugeln gelingt das, aber dann muss ich den Rest des Weges langsamer gehen lassen.

Samstag. Heute hab ich Zeit. Will mal eine ganz große Runde wagen! Mal zu meiner inzwischen auf ca. 12 km angewachsenen Runde noch die Promenade dazunehmen. Aber die Ereignisse überschlagen sich, die Familie fordert ihren Tribut, der Haushalt und der Garten gucken mich traurig vernachlässigt an. Also habe ich den ganzen Tag zu tun – aber immerhin im Jogginganzug.

Sonntag. Jetzt aber! Ich laufe meine gewohnte Runde. Es fühlt sich gut an! Das angekündigte Unwetter ist wohl woanders runtergekommen, hier ist optimales Laufwetter – leicht bewölkt aber trocken. Ich laufe langsam los und steigere mein Tempo. Am Aasee angekommen sehe ich eine Frau in einem eierigen Laufstil. Ha! Die kann ich sicher überholen! Mit einem süffisanten „Guten Morgen!“ schwebe ich an ihr vorbei. Aber gleich packt mich das schlechte Gewissen – ich weiß doch, wie sie sich jetzt fühlen mag! Nun denn, ich habe noch viel vor und kann meine Kraft nicht mit solchen Gedanken verschwenden. Also weiter. Zweite Aaseehälfte und dann bin ich an der Abzweigung, an der ich zum ersten Mal zur Promenade abbiege. Eine wunderschöne Strecke! Unter dem Blätterdach der Allee versuche ich, den Atem zu kontrollieren. Ich merke langsam, wie meine Beine müde werden. An der „Sausebahn“ geht’s mittels Unterführung unter einer Straße entlang und danach kommt natürlich der Anstieg wieder nach oben. Ist aber gar nicht sonderlich anstrengend! Am Zwinger fragt mich ein Besucher nach dem Weg zur Stadtmitte und ich kann ihm sogar ohne zu Schnaufen oder zu Keuchen sagen, wo es lang geht. Auf dem letzten Stück Promenade kommt dann die Ernüchterung: von hinten nähern sich resolute Schritte: ein männlicher Jogger. Dann von rechts eine Frau, gut 10 Kilo leichter als ich (und BESTIMMT 10 Jahre jünger) aber so was von flott auf den Beinen! Gerne hätte ich mich da auch wieder drangehängt. Aber ich war schon zu k. o. und hatte ja noch gut 5 Kilometer vor mir! Dennoch schaute ich kurz, worin ihr Vorteil liegen könnte. Mist – die Schuhe können es nicht sein: es ist genau dieselbe Marke wie die meiner Fußbekleidung! Aber – aha! Sie hat Ohrhörer im Ohr! Sicher hört sie heiße Musik -vermutlich Speed Metal! Bald ist sie um die Ecke und außer Sichtweite. Ich seufze innerlich – wenn ich auch meine Ausdauer steigern kann, so richtig schnell werde ich wohl nie. Sollte ich mal bei einem Volkslauf mitmachen, werde ich bestimmt erst das Ziel erreichen, wenn alle anderen schon am Kaffeetisch sitzen! Aber eine kleine Genugtuung ist mir dennoch gegönnt: sowohl die schnelle Läuferin, als auch den Mann, der mich kurz zuvor überholte, treffe ich an einer roten Fußgängerampel wieder!

Nun denn, das Laufen ist auf jeden Fall eine tolle Ergänzung zum Karatetraining! „Nur Laufen“ macht glaub ich auf die Dauer steif und ungelenkig und wäre mir persönlich auch zu öde und zu einsam. Wenn man ein wenig Fitness in den Alltag einbauen kann, fällt aber sicher auch das Karatetraining leichter. Und apropos „leichter“: auch die Waage belohnt mich inzwischen mit einer Anzeige, die fast schon meinem Zielgewicht enstspricht!

Oss, Andrea

Sonntag, 13. Mai 2007

Kommunion Franziska 13.05.2007

Fotos Jubiläumslehrgang III

Fotos Jubiläumslehrgang II

Fotos Jubiläumslehrgang 40 Jahre Karate in Münster

Jubiläumslehrgang 40 Jahre Karate in Münster

Vierzig Jahre Karate in Münster - das musste gefeiert werden! Unermüdlich liefen bereits Wochen vor dem großen Ereignis die Vorbereitungen auf das Festwochenende. Der Einsatz der Vereinsmitglieder war unglaublich und so war es nicht verwunderlich, dass pünktlich zu Beginn unseres Jubiläums das Dojo fein herausgeputzt und geschmückt war. Auch unsere Vereinsmitglieder waren für den Ehrentag ausgerüstet: Anlässlich des 40-jährigen gab es spezielle schwarze Karate-T-Shirts, die ruck-zuck ausverkauft waren. Als traditioneller Karateverein wollten wir anlässlich des runden Geburtstages natürlich nicht nur feiern, sondern vor allem auch trainieren! Als besonderes Geschenk an unsere Mitglieder hatten wir als Trainer Hanskarl Rotzinger (6. Dan) und Markus Rues (4. Dan, Bundestrainer Jugend im DJKB) gewinnen können. Diese waren extra aus dem fernen Konstanz quer durch die Bundesrepublik angereist, um uns im Karate zu unterweisen. Warum grade das Trainerduo Rotzinger/Rues? Neben ihren herausragenden Verdiensten für die deutsche Karateszene und exzellenten Reputationen als Trainer sind beide als Mitglieder des Karate Fitness Dojo Konstanz unserem Verein seit vielen Jahren auch persönlich verbunden.

Rund 120 Übungswillige fanden sich gegen 11 Uhr ein, um in zwei Gruppen je bei Sensei Rotzinger oder Sensei Rues zu trainieren. Es wurde hierbei nicht nur Rücksicht auf unterschiedliche Graduierungen genommen. Jung und alt von 6 bis 66 Jahren mischten sich auch in der dritten Einheit am Samstagnachmittag, als wir die Wahl hatten zwischen gezieltem Wettkampftraining bei Markus und einem eher traditionell orientierten Lehrgangsabschnitt bei Hanskarl.

Markus Rues bot uns ein dynamisch-bewegliches Karate der feinsten Art! Am Samstag wurden wir in drei und am Sonntag in einer Übungseinheit unterwiesen, wie am effektivsten zu kämpfen sei. Zahlreiche Partnerübungen mit zum Teil sehr komplexen Technikfolgen und häufigen Partnerwechseln erforderten ein hohes Maß an physischer und mentaler Flexibilität. Mit Suri-Ashis und Sabakis glitten wir im Oberstufentraining so über den Hallenboden, dass sich bald ein bekanntes brennendes Druckgefühl an den Fußballen bemerkbar machte! Der Übergang vom Kihon-Partnertraining zum Freikampf lag Markus besonders am Herzen. Sobald uns ein Parnter mit erkennbar weniger Kampferfahrung gegenüberstand, sollten wir ihm nicht zeigen "wie toll wir sind", sondern uns auf den Partner einstellen und ihm ermöglichen, mit uns und durch uns etwas zu lernen. Besonders beeindruckt war ich von einem jungen Braungurt, der auch aus Konstanz angereist war: Der junge Karateka kämpfte mit Handicap - er hat keine Arme. Als ich ihm beim Partnertraining gegenüberstand und wir abwechselnd Gyaku-Tsuki ausführen sollten, wartete ich gespannt, ob ich von ihm eine besondere Anweisung erhalten würde. Er aber grüßte mich nur wie selbstvertändlich an und attackierte mich einfach mit Maegeri, statt mit Gyaku-Tsuki. Auch alle anderen Trainingsteilnehmer übten mit einer Selbstverständlichkeit mit diesem jungen Mann, die einfach nur beeindruckte und für mich ein Zeichen großer Toleranz unter Karateka ist.

Obgleich die Trainingseinheiten auf 60 Minuten begrenzt waren, sehnte man doch besonders während des Trainings bei Markus stets erschöpft bereits lange vor Ende des Unterrichts die nächste Pause herbei. Glücklicher Weise war der Weg zur Erholung nicht weit, denn in unserem an die städtische Lehrgangs-Turnhalle angrenzenden Trainingszentrum warteten schon Brötchen, Kuchen und Getränke auf die erschöpften Karateka.

Hanskarl Rotzinger hatte neben zahlreicher traditioneller Karatetechniken noch einige besondere Spezialitäten im Gepäck, die bewiesen, dass man auch mit 67 Jahren noch lange nicht zum alten Karate-Eisen gehören muss. Vielmehr verfügt man offenbar durch fortgeschrittene Kampfsporterfahrung über ganz besondere Fähigkeiten, die manchem jungen Wettkampfsportler oder Karateküken noch gänzlich abgehen: Wir erhielten von Hanskarl einige beeindruckende Einblicke in das Wesen des Ki, der Energie, die in uns allen steckt und nur darauf wartet, erweckt zu werden! Leider war für mich und auch einige andere dieser Einblick zu flüchtig, als dass wir uns diese Kraftquelle spontan hätten erschließen können. Auf jeden Fall eröffnete dieser Trainingsaspekt für viele von uns eine neue Karate-Perspektive und bewies wieder einmal, dass Karate eine echte Lebensaufgabe ist und wahrlich "ein weites Feld".

Eine weitere interesante Erfahrung, die uns Sensei Hanskarl vermitteln konnte, war: Wie finde ich Schwachstellen beim Partner? "Am Besten trifft man ihn, wenn er blinzelt oder einatmet." Ach, so einfach also!?!? Weit gefehlt. Zunächst testeten wir das "Blinzeln". Wir standen uns gegenüber und "blinzelten" uns abwechselnd zu. Das Gegenüber musste dann schnell reagieren, möglichst noch bevor die Augen ganz geöffnet und "scharf gestellt" waren. Das ging ja noch recht einfach - aber dann sollten wir es ohne Absprache und aus der Bewegung heraus üben. Jetzt fragte ich mich ernsthaft: Wer hat denn hier Probleme, mit dem "Scharfstellen"? Ich jedenfalls konnte bald gar nicht mehr erkennen, ob mein Partner blinzelte oder ob ich mir das nur einbildete, weil er sich sowieso bewegte. Doch gar nicht so einfach also! Nächste Übung: den Partner treffen, wenn er einatmet. Es war ein Wunder, mit wie wenig Sauerstoff mein Gegenüber auszukommen schien - ich konnte überhaupt keine Brustkorbhebung erkennen und auch im Gesicht machten sich keine Anzeichen einer Atmung erkennbar. Zum Glück war ich nicht die einzige, die sich hier schwer tat und Hanskarl bemerkte dies auch. Erst mal "Yame" und dann ließ uns der Sensei ohne erkennbaren Zusammenhang zur vorherigen Übung auf einem Bein durch die Halle hüpfen, während wir mit den Armen oder dem anderen Bein Karatetechniken ausführen sollten. Hierbei kamen wir ganz schön außer Puste - und das war auch Ziel des "Spiels": Als wir dem Partner nämlich nun gegenüberstanden, war es plötzlich gar kein Problem mehr, eine Atembewegung festzustellen ;-)

Glücklicher Weise ging uns durch das unglaublich bereichernde Training nicht vollständig die Luft aus! So konnten wir noch zusammen mit vielen Freunden und Bekannten, die aus verschiedenen Gründen am Training nicht teilnehmen konnten, am Abend bei Livemusik, Getränken und einem reichhaltigen Buffet ein rauschendes Fest bis in die frühen Morgenstunden feiern. Was soll ich sagen? Ich freu mich jetzt schon auf den 50. Vereins-Geburtstag!

Mittwoch, 9. Mai 2007

Sensei wird sechzig - Risto garantiert "rostfrei"

Am 04.05.1947 irgendwo in Finnland - ein kleiner Junge erblickt das Licht der Welt und wohl niemand ahnt, dass dieser Knabe, den man Risto nennt, einst in das ferne Deutschland gehen und dort die japanische Kampfkunst Karate lehren wird. Ein Zufall hat Risto Kiiskilä vor vielen Jahren ausgerechnet nach Frankfurt verschlagen - aus Finnland, in dem sich der klare Himmel noch über der unversehrten Natur ausbreitet, ausgerechnet in die Bankenmetropole, in der die Häuser bis in den Himmel wachsen! Aus dem geplanten Kurz-Aufenthalt zur Überbrückung einer Leerlaufzeit bis zum Beginn seiner Ausbildung an einer Kadettenschule wurde dann fast ein ganzes Leben. Eine ereignisreiche Zeit, in der Risto zunächst als aktiver Kämpfer der deutschen Karate-Nationalmannschaft viele Erfolge errungen hat. Anschließend hat er sein Wissen über Karate in unzähligen Lehrgängen an seine wachsende Fangemeinde weitergegeben.

Und nun waren alle zu seinem Geburtstagslehrgang eingeladen, der am 05.05.2007 in Obertshausen stattfand. Während sich in den Unterstufeneinheiten nur eine erlesene Auswahl an Lernwilligen von Risto im Karate unterweisen ließ, war die Oberstufe beeindruckend stark vertreten: Zahlreiche Trainierende aus Finnland, Estland, Berlin, Kamenz, Rotenburg und sonstigen nahen und weit entfernten Orten ließen es sich nicht entgehen, ihre Karatekenntnisse aufzufrischen. Ich sage bewusst "aufzufrischen", da ich davon ausgehe, dass nur wenige "Neulinge" anwesend waren. Dies muss auch Risto so wahrgenommen haben, denn er fing bei seinem Trainingskonzept nicht bei "Adam und Eva" an, sondern wiederholte kurz bekannte Übungen, um dann mit Vollgas die Kata Hokkyokuko (japanisch: Polarlicht) anzugehen. Für alle, die mit dieser von Risto entwickelten Kata noch nicht vertraut waren, wurde sie etliche Male wiederholt. Und die komplexen Schrittkombinationen, Gleitschritte und Sprungwechsel wurden dann auch anhand zahlreicher Partnerübungen vertieft. Bei der Hokkyokuko handelt es sich um eine Halbfreikampf-Kata, die von den bekannten Shotokan-Katas insofern abweicht, als sie sehr dynamisch ist und kaum die klassischen Grundschul-Stände beinhaltet: hier darf und soll das Bein gebeugt sein wie beim Jiju-Ippon-Kumite. Den Ausführenden wird viel abverlangt, was Koordination und Beweglichkeit angeht. Als ich die Kata vor knapp einem Jahr erstmals kennenlernte, hatte ich ehrlich gesagt meine Bedenken, dass die Anwendungsmöglichkeiten (Bunkai) der Kata eingeschränkt seien. Durch die Nähe zum Kumite ist bereits bei Ausführung der einzelnen Techniken ziemlich klar erkennbar, um welche Technik es sich handelt. Oder? Aber nein: Ein Ashi-Barei muss in der Anwendung nicht unbedingt ein Ashi-Barei sein, sondern kann auch als Mae-Geri ausgeführt werden, als Mawashi-Geri, und, und, und. So allmählich erschließt sich für mich die Vielfalt dieser Kata und ich bin fasziniert davon, was alles "zwischen den Techniken" zu lesen ist.

Jene Karateka, die -wie auch ich- zwischendurch vielleicht einmal verwirrt waren, wie denn jetzt die eine oder andere bestimmte Technik ausgeführt werden sollte, wurden von Risto aufgeklärt: "Das ist alles ganz einfach - da steckt ein System hinter".
Und es stimmt - richtig betrachtet werden alle Übungen, die Risto in seinem Training verwendet, nach einem bestimmten System entwickelt. Wer dieses System einmal entschlüsselt hat, der kann fast alle anderen Techniken und Bewegungen für sich selber daraus ableiten. "Das System ist einfach, die Entwicklung war es nicht." Das glaube ich gerne. Denn die Logik, die dahinter steckt, beruht nicht nur auf dem Ableiten von Theorien aus bekannten Lehrbüchern. Es ist vielmehr eine Art System-Baukasten, mit dem man sich selber sein eigenes Karate "konstruieren" kann. Und Risto ist der Karate-Ingenieur.

Leider gibt es für diesen Baukasten (noch) keine Bau-Anleitung. Und so werde ich wohl noch etliche Male die Reise nach Finnland oder Frankfurt antreten müssen, um mich in das Geheimnis des Systems einweisen zu lassen. In jedem Fall lohnt es sich, denn durch Ristos Art und Weise, Karate zu beschreiben, verstehe ich auch die Absichten meiner Trainer im heimatlichen Dojo besser.

Aber natürlich haben wir nicht nur trainiert - nach dem Lehrgang lud Risto uns ein, bei Bier und alkoholfreien Getränken sowie Bratwurst und etlichen Salaten mit ihm gemeinsam seinen Geburtstag zu feiern. Die Reihe der Gratulanten schien kein Ende zu nehmen. Ein Mitglied des Karatevereins aus Oulu in Finnland überreichte Risto ein ganz besonderes Geschenk: einen traditionellen Gürtel für Rentierzüchter, mit dem Risto wohl demnächst seine Wanderungen durch das weite Land im hohen Norden antreten wird. Ein weiteres besonderes Geschenk war die unglaublich starke Aufführung der Geschichte von den "10 Samurais aus Nagano", die nach und nach ihre letzten Schlachten schlugen, bis nur noch einer übrigblieb: Die Risto-Fans aus Berlin und Kamenz führten in fantasievollen Kostümen furchterregende Kamf- und Kataszenen auf, nicht ohne den ein oder anderen Lachmuskel der Zuschauer dabei zu beanspruchen. Als letzten Höhepunkt des Abends wurde eine mit Musik untermalte Dia-Show gezeigt, die Bilder aus Ristos Karate-Laufbahn zeigte. Nicht nur bei Risto wurde hierbei wohl die ein oder andere schöne Erinnerung geweckt.

An dieser Stelle nochmals vielen Dank lieber Risto für die vielen Trainingsimpulse und die unendliche Geduld mit mir und all Deinen Sempais! Bitte bleib noch viele Jahre gesund, "jung und beweglich", wie Du es so schön in Deinen Übungen demonstriert hast!

Herzlichen Glückwunsch und "hyvää syntymäpäivää"!

Oss, Icky

Donnerstag, 3. Mai 2007

Crodile Dundee - Kurzversion für Finnen

Mein finnischer Bekannter Reijo Kangas, der mir Ende Februar diesen Jahres eine wunderschöne und aufregende Lappland-Rundreise ermöglicht hatte, sollte vom 1. bis zum 7. Mai anlässlich des 60. Geburtstags unseres gemeinsamen Trainers Risto Kiiskilä nach Deutschland kommen. Er plante, am 1. Mai in Frankfurt-Hahn zu landen und sich dort von einem Freund abholen zu lassen. Der Freund ist wie Reijo und ich Karateka und wohnt in Frankfurt City. Die zwei hatten sich in der Zeit vor Reijos Deutschlandreise auf Englisch per E-Mail verabredet. Aber die Kommunikation schlug irgendwie fehl und so erreichte mich am 1. Mai abends ein Hilferuf: "Stehe hier seit Stunden am Flughafen und komme nicht weg, habe kein Bargeld mehr, meine Visakarte wird nicht akzeptiert und ich habe nur noch ein Sandwich!" Tja, Frankfurt-Hahn liegt von Münster aus nicht grade vor der Tür und so deutete ich an, dass ich hier wohl leider nicht helfen könne. "Aber du hast doch eine Schwester in Frankfurt....." Ohje, ob die so begeistert sein würde, einen fremden Finnen mal eben am Flughafen abzuholen? Womöglich hatte sie auch den 1. Mai gefeiert und dürfte sowieso gar nicht mehr Autofahren? Na ja, ich versprach, sie anzurufen und da ich die tollste Schwester auf der Welt habe, sagte sie zu, "mal eben" Taxifahrer zu spielen. Man muss sich hierbei klar machen, dass der Flughafen Frankfurt-Hahn mit dem Frankfurter Flughafen ungefähr genau soviel zu tun hat wie der Flughafen Düsseldorf mit dem in Münster-Osnabrück. Es waren pro Weg "mal eben" 130 km. Da mein Bekannter seinen Freund nach wie vor nicht erreichen konnte, durfte er auch bei meiner Schwester übernachten und bekam für den nächsten Tag noch ihren Haustürschlüssel. Das nenne ich deutsche Gastfreundschaft!

Am Mittwoch kam ich kurz vor dem ersten gemeinsamen Karatetraining in Frankfurt an. Nach dem Training gab es noch ein nettes Beisammensein und dann brachte ich Reijo und seinen Freund noch zu dessen Wohnung. Nun heim zu meiner Schwester. Mit Navigationsgerät wird das ja auch im nächtlichen Frankfurt am Main kein Problem sein - oder? Oder. Mein Navi, auch zärtlich "Else" genannt, dirigierte mich mit fester und überzeugter Stimme durch die Straßen und meinte dann ca. alle fünf Minuten "bei der nächsten Möglichkeit bitte wenden". Als ich zum 4. Mal an einem Haus mit der Aufschrift "Redisson" vorbeikam, ignorierte ich das protestierende Gemecker meiner virtuellen Beifahrerin und orientierte mich an der Ausschilderung Richtung Hanau. Bald war ich dann auch wieder in vertrauten Gefilden und nach fast einer Stunde "daheim". Else nahm mich und später auch Reijo und mich noch des Öfteren auf die Schippe und lotste uns am Samstagmorgen sogar durch ein Parkhaus!

Am Donnerstag wollte ich Reijo um 12 Uhr am Frankfurter Hauptbahnhof treffen. Pünktlichkeit scheint aber wahrlich eher eine deutsche Tugend zu sein, denn als er endlich -mit einer schweren Sporttasche, in der sich sein Karate-Anzug für das abendliche Training befand- eintraf, war es schließlich viertel nach eins. Ich hatte mich derweil schon in einem Cafe auf der gegenüberliegenden Straßenseite niedergelassen. Es störte mich auch fast gar nicht, dass ich genau zwischen "Beate Uhse" und "Erotic World" saß. Ist halt Frankfurt und ich denke, fast alle Bahnhofsgegenden sind diesbezüglich gleich. Alle Bahnhofsgegenden? Nun, zumindest in Deutschland, denn mein finnischer Bekannter war doch sichtlich überrascht, um nicht zu sagen schockiert über dieses Übermaß an industrieller Erotik. Aber die Bahnhofsgegend lag auf unserer nun beginnenden Sightseeing-Tour ja auch bald hinter uns. Ich erwartete, ihn nun in entspannterer Laune vorzufinden. Aber weit gefehlt. Er war immer noch wortkarg und wirkte ungewohnt verschlossen. Was war mit ihm los? "So viele Häuser und so viele Menschen - und überall diese Men in Black (Geschäftsleute in schwarzen Anzügen)!" Aber ich hatte mir schon einige Attraktionen überlegt, die ich ihm zeigen wollte und die meine Begeisterung für diese faszinierende, pulsierende Großstadt sicherlich auf ihn übertragen würden. Als erstes wollte ich mit ihm den Wolkenkratzer der Hessischen Landesbank "besteigen". Dort wird man für ein paar Euro per Aufzug in Sekundenschnelle in schwindelnde Höhen katapultiert und kann vom Aussichtsdach aus ganz Frankfurt und Umgebung anschauen. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert - der Main schlängelt sich friedlich durch die Häuserschluchten, der Flughafen mit den zum Greifen nahen startenden und landenden Maschinen, der Bahnhof, viele Sehenswürdigkeiten winzigklein! Aber als ich dem Finnen sagte, dass wir jetzt auf einen Wolkenkratzer fahren würden, fragte er mich entsetzt: "Was soll ich dort?" Ein sattes Unwohlsein saß ihm wohl auch im Nacken, als wir uns für den Sicherheitscheck vor Besteigen des Aufzuges anstellten. Was wohl in der großen roten Tasche sei, die mein Bekannter bei sich führte, wollen die Kontrolleure wissen. Halbautomatische Handfeuerwaffen? Granaten oder Minibomben? Nein, nein, nur ein leise vor sich hinmüffelnder Karate-Anzug! Auch mein kleiner Scherz im Zusammenhang mit den Twin-Towers und dem nahe gelegenen Flughafen konnte meinen Bekannten nicht aufheitern. Als wir in einer kleinen Gruppe vor dem Aufzug warteten und Reijo diesen skeptisch beäugte, prustete ich plötzlich los: "Weißt du, wer du bist? Du bist absolut Crocodile Dundee in New York!" Zum ersten Mal heiterte sich seine Miene auf - ja, da hätte ich absolut Recht - genau so würde er sich fühlen! Und so war das dann unser geflügeltes Wort, jedes Mal, wenn der Kulturschock den Naturburschen aus Oulu zu übermannen drohte - "Crocodile Dundee"!

Auch an diesem Abend gab es wieder eine Trainingseinheit, die es in sich hatte. Nach vielen Kampfübungen mit wechselnden Partnern und steigendem Niveau sehnte ich dringend eine warme Dusche herbei. Oft ist das Wasser der Duschen in dem Frankfurter Dojo leider recht kalt und erschwert besonders das Haarewaschen. Sensei Risto meint hier drauf allerdings stets nur: "Wenn es noch fließt, ist es nicht zu kalt!" Typisch finnisch halt! Heute jedoch: Überraschung - das Wasser war nicht nur warm, sondern heiß. Und zwar so heiß, dass es einem die Haut verbrannte. Ich weiß, ich weiß, jeder, der dies hier liest, denkt: typisch Frau, man kann es ihr einfach nicht Recht machen! Aber es war wirklich so, dass ich nicht mal meinen Fuß unter die Dusche halten konnte, ohne mir den Fußrücken zu verbrennen! So warf ich mir nur hektisch ein paar Handvoll Wasser auf den Körper und nahm mir vor, in der Wohnung meiner Schwester das Duschen und Haarewaschen nachzuholen. Auch in der Männerdusche war offenbar ein ordnungsgemäßer Reinigungsvorgang nicht möglich. Selbst die Herren der Schöpfung beklagten sich über das zu heiße Wasser. "Das gibt’s ja nicht, einfach zu heiß!", meinte ein Sports-Kamerad, "nur der Finne duscht in Ruhe!" Ich muss sagen, jetzt war ich echt beeindruckt! Ich nahm meinen frisch duftenden finnischen Freund dann mit vom heißen Wasser krebsroter Haut auf unsere nächste Touristentour: ein Kneipenabend in Sachsenhausen! Die Lokalitäten sind dem münsterschen Kuh-Viertel sehr ähnlich - urige kleine Kneipen mit traditionellem Charme und vielen Touristen. Hier musste Reijo unbedingt die erste Frankfurter Spezialität testen:
Ebbelwoi! Als das Glas vor ihm stand und er mal dran geschnuppert hatte, meinte er voller Abscheu: "I don't drink this!" Aber er musste, auch wenn er sich noch so schüttelte! Und ich ergötzte mich an seinem angeekelten Gesichtsausdruck ;-)

Die Nacht verbrachte mein Bekannter wieder bei meiner Schwester, damit wir am folgenden Morgen gemeinsam unser nächstes Abenteuer antreten konnten: eine Radtour am Main entlang! So saßen wir also am späten Vormittag auf zwei Drahteseln und fuhren bei strahlendem Sonnenschein und "spanischen" Temperaturen am Main entlang. Es ist immer wieder beeindruckend, wie hier die augenscheinlich unberührte Natur direkt neben der Schwerindustrie liegt! Bald tauchte die Skyline der Stadtmitte vor uns auf und allmählich fing auch Reijo "Dundee" Kangas an, sich hierfür zu begeistern: alle paar Minuten mussten wir anhalten, damit ein Foto geschossen werden konnte! Unsere Mittagspause legten wir im Ruderdorf ein. Hier, in unmittelbarer Nähe der Gerbermühle, in der auch der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe schon zu speisen pflegte, haben zahlreiche Rudervereine ihre Heimat und es gibt auch einige Restaurants mit Biergärten. Wieder gab es eine Frankfurter Spezialität zu kosten: Schnitzel mit grüner Sauce! Der Kellner war so freundlich, die Sauce gesondert zu servieren, damit nicht das ganze Gericht verdorben ist, falls sie nicht schmeckt. Aber der Finne war jetzt sehr aufgeschlossen und es wurde alles ratzeputz aufgegessen. Auch wenn sich jetzt ein gewisses Siesta-Bedürfnis breit machte, zogen wir anschließend weiter Richtung City. Nun ging es auf abenteuerlichen Pfaden per Fahrrad durch die Hochhausschluchten. Reijo hatte sogar ein paar erfreute Deja Vus mit einigen Sehenswürdigkeiten, die ich ihm schon am Vortag gezeigt hatte.

Leider waren wir durch die ausgiebige Radtour spät für das abendliche Training und ich versuchte, die "verlorene" Zeit durch einen "Bleifuß" im Auto wieder wett zu machen. Leider hatte ich meine Rechnung ohne die Frankfurter "Sheriffs" gemacht und so war mein Fluchen laut, nachdem ich durch einen feuerroten Blitz auf den von mir gemachten Schnappschuss aufmerksam gemacht wurde. Mist - geblitzt! Und ganz schön schnell gewesen! Als ich Reijo erzählte, dass es hier in Deutschland fast "normal" sei, hin und wieder mal "geblitzt" zu werden und mir das so im Schnitt einmal im Jahr passiere, war er total schockiert! Ihm würde das höchstens einmal in fünf Jahren passieren! Na ja, vermutlich sind dafür in Finnland die Alkoholkontrollen häufiger als hier.
Das tolle und anspruchsvolle Karatetraining ließ mich meinen Ärger schließlich schnell vergessen und als wir alle anschließend von ganzem Herzen ein Geburtstagsständchen darboten, war die Welt wieder in Ordnung!

Am Samstag früh stellte Reijo fest, dass der Akku seines Handys leer war und sich das Ladegerät noch in der Wohnung seines Freundes befand. Ein finnischer Mann ohne sein Mobiltelefon - undenkbar! Also ließen wir uns von "Else" durch die Stadt (und durch ein Parkhaus...) lotsen, bevor wir zu dem Geburtstagslehrgang unseres Sensei nach Obertshausen fuhren. Der Lehrgang war gut besucht und sehr anspruchsvoll und schon während der ersten Einheit bereute ich, nicht ein zweites Brötchen gefrühstückt zu haben! Reijo ging es wohl ähnlich, denn bereits in der ersten Pause schaute er mich hungrig wie ein Wolf an und ich fürchtete schon, er könne mich anfallen und auffressen! Glücklicher Weise fanden wir bald ein Geschäft, in dem er Nahrungsmittel kaufen konnte, um seine alimentären Bedürfnisse zu befriedigen. Gleich nach der zweiten Einheit gegen 18 Uhr ging die Geburtstagsfeier los und ich war mir sicher, dass unter dem reichhaltigen Nahrungsangebot zwischen unzähligen Salaten und Würstchen für alle etwas dabei sei. Ein enttäuschtes Kopfschütteln war die finnische Antwort. Die Salate entsprachen nicht seinen Vorstellungen einer ausreichenden Ernährungsgrundlage und die Bratwürste wurden aus mir völlig unerfindlichen Gründen kategorisch abgelehnt. Was blieb mir anderes übrig, als mich mit ihm in mein Auto zu setzen und in Obertshausen nach einem Imbiss zu suchen? Eine Döner-Bude entsprach dann Reijos Geschmack. Kurz überlegte ich, ob ich ihm sagen soll, dass das es sich bei einem Döner nur um Pressfleisch handelt, ließ es dann aber aus pragmatischen Erwägungen sein. Schließlich wollte ich nicht noch mehr von der Feier verpassen, nur wegen der Suche nach einem adäquaten Nahrungsangebot. Wieder bei der Feier angekommen, überreichten wir weitere Geburtstagsgeschenke: Reijo hatte aus Lappland einen traditionellen Gürtel für Rentierzüchter mitgebracht, über den Risto sich sehr freute! Bis kurz vor Mitternacht feierten wir dann noch mit vielen Bekannten aus ganz Deutschland, Finnland und Estland ein rauschendes Fest.

Der Sonntag bildete dann den Abschluss meines deutschen Erlebnisses mit dem finnischen Crocodile Dundee. Als letzter Höhepunkt erwartete uns eine Einladung zum Brunch bei den Karate-Freunden Andi und Marion in Neu-Isenburg. Reijo bereitete sich ein lustiges finnisches Sandwich zu, bestehend aus Brötchen, Schinken, Paprika, Käse und ich glaube noch mal Schinken. Dann erzählte er ausgiebig von Finnland und finnischen Gewohnheiten. Auch wenn ich vieles zum wiederholten Male hörte, war es nicht langweilig und besonders amüsierte ich mich über seine Beschreibungen der finnischen Elchjagd: Mit authentischer Mimik berichtete er darüber, wie man die Tiere hypnotisieren muss, damit sie sich nicht erschrecken oder wie man ihnen mit der Waffe schnell zu folgen hat, wenn sie sich in gestrecktem Galopp davon machen wollten. In Andis Augen blitzte schon der Jagdinstinkt - als Reijo dann einräumen musste, dass solche lustigen und spannenden Momente doch sehr selten seien. Meist säße man nur stundenlang wartend im kalten Regen und es passiert gar nichts.

Bald hieß es dann Abschied nehmen und ich brachte Reijo noch zu seinem Freund in die Stadtmitte. Wir drückten uns noch mal und sagten "heippa" bis zu unserem nächsten Wiedersehen beim Karate-Sommercamp in Lohijärvi Ende Juli.

Crocodile Dundee - Kurzversion für Karateka

Mein finnischer Bekannter Reijo Kangas, der mir Ende Februar diesen Jahres eine wunderschöne und aufregende Lappland-Rundreise ermöglicht hatte, sollte vom 1. bis zum 7. Mai anlässlich des 60. Geburtstags unseres gemeinsamen Trainers Risto Kiiskilä nach Deutschland kommen. Er plante, am 1. Mai in Frankfurt-Hahn zu landen und sich dort von einem Freund abholen zu lassen. Der Freund ist wie Reijo und ich Karateka und wohnt in Frankfurt City. Die zwei hatten sich in der Zeit vor Reijos Deutschlandreise auf Englisch per E-Mail verabredet. Aber die Kommunikation schlug irgendwie fehl und so erreichte mich am 1. Mai abends ein Hilferuf: "Stehe hier seit Stunden am Flughafen und komme nicht weg, habe kein Bargeld mehr, meine Visakarte wird nicht akzeptiert und ich habe nur noch ein Sandwich!" Tja, Frankfurt-Hahn liegt von Münster aus nicht grade vor der Tür und so deutete ich an, dass ich hier wohl leider nicht helfen könne. "Aber du hast doch eine Schwester in Frankfurt....." Ohje, ob die so begeistert sein würde, einen fremden Finnen mal eben am Flughafen abzuholen? Womöglich hatte sie auch den 1. Mai gefeiert und dürfte sowieso gar nicht mehr Autofahren? Na ja, ich versprach, sie anzurufen und da ich die tollste Schwester auf der Welt habe, sagte sie zu, "mal eben" Taxifahrer zu spielen. Man muss sich hierbei klar machen, dass der Flughafen Frankfurt-Hahn mit dem Frankfurter Flughafen ungefähr genau soviel zu tun hat wie der Flughafen Düsseldorf mit dem in Münster-Osnabrück. Es waren pro Weg "mal eben" 130 km. Da mein Bekannter seinen Freund nach wie vor nicht erreichen konnte, durfte er auch bei meiner Schwester übernachten und bekam für den nächsten Tag noch ihren Haustürschlüssel. Das nenne ich deutsche Gastfreundschaft!

Am Mittwoch kam ich kurz vor dem ersten gemeinsamen Karatetraining in Frankfurt an. Das Training war toll und anspruchsvoll. Risto trainierte uns in dieser Einheit nicht selber, schaute aber kritisch zu und anschließend gab es noch stundenlange Korrekturvorschläge. Nun ja, zu diesem Zwecke komme ich ja auch regelmäßig nach Frankfurt, denn nur so kann man sich verbessern. Anschließend gab es noch ein nettes Beisammensein und dann brachte ich Reijo und seinen Freund noch zu dessen Wohnung. Und fuhr dann heim zu meiner Schwester.

Am Donnerstag wollte ich Reijo mittags um 12 Uhr am Frankfurter Hauptbahnhof treffen. Pünktlichkeit scheint aber wahrlich eher eine deutsche Tugend zu sein, denn als er endlich -mit einer schweren Sporttasche, in der sich sein Karate-Anzug für das abendliche Training befand- eintraf, war es schließlich viertel nach eins. Ich hatte mich derweil schon in einem Cafe auf der gegenüberliegenden Straßenseite niedergelassen. Es störte mich auch fast gar nicht, dass ich genau zwischen "Beate Uhse" und "Erotic World" saß. Ist halt Frankfurt und ich denke, fast alle Bahnhofsgegenden sind diesbezüglich gleich. Alle Bahnhofsgegenden? Nun, zumindest in Deutschland, denn mein finnischer Bekannter war doch sichtlich überrascht, um nicht zu sagen schockiert über dieses Übermaß an industrieller Erotik. Aber die Bahnhofsgegend lag auf unserer nun beginnenden Sightseeing-Tour ja auch bald hinter uns. Ich erwartete, ihn nun in entspannterer Laune vorzufinden. Aber weit gefehlt. Er war immer noch wortkarg und wirkte ungewohnt verschlossen. Was war mit ihm los? "So viele Häuser und so viele Menschen - und überall diese Men in Black (Geschäftsleute in schwarzen Anzügen)!" Aber ich hatte mir schon einige Attraktionen überlegt, die ich ihm zeigen wollte und die meine Begeisterung für diese faszinierende, pulsierende Großstadt sicherlich auf ihn übertragen würden. Als erstes wollte ich mit ihm den Wolkenkratzer der Hessischen Landesbank "besteigen". Dort wird man für ein paar Euro per Aufzug in Sekundenschnelle in schwindelnde Höhen katapultiert und kann vom Aussichtsdach aus ganz Frankfurt und Umgebung anschauen. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert - der Main schlängelt sich friedlich durch die Häuserschluchten, der Flughafen mit den zum Greifen nahen startenden und landenden Maschinen, der Bahnhof, viele Sehenswürdigkeiten winzigklein! Aber als ich dem Finnen sagte, dass wir jetzt auf einen Wolkenkratzer fahren würden, fragte er mich entsetzt: "Was soll ich dort?" Ein sattes Unwohlsein saß ihm wohl auch im Nacken, als wir uns für den Sicherheitscheck vor Besteigen des Aufzuges anstellten. Was wohl in der großen roten Tasche sei, die mein Bekannter bei sich führte, wollen die Kontrolleure wissen. Halbautomatische Handfeuerwaffen? Granaten oder Minibomben? Nein, nein, nur ein leise vor sich hinmüffelnder Karate-Anzug! Auch mein kleiner Scherz im Zusammenhang mit den Twin-Towers und dem nahe gelegenen Flughafen konnte meinen Bekannten nicht aufheitern. Als wir in einer Gruppe vor dem Aufzug warteten und Reijo diesen skeptisch beäugte, prustete ich plötzlich los: "Weißt du, wer du bist? Du bist absolut Crocodile Dundee in New York!" Zum ersten Mal heiterte sich seine Miene auf - ja, da hätte ich absolut Recht - genau so würde er sich fühlen! Und so war das dann unser geflügeltes Wort, jedes Mal, wenn der Kulturschock den Naturburschen aus Oulu zu übermannen drohte - "Crocodile Dundee"!

Auch an diesem Abend gab es wieder eine Trainingseinheit, die es in sich hatte. Nach vielen Kampfübungen mit wechselnden Partnern und steigendem Niveau sehnte ich dringend eine warme Dusche herbei. Oft ist das Wasser der Duschen in dem Frankfurter Dojo leider recht kalt und erschwert besonders das Haarewaschen. Sensei Risto meint hier drauf allerdings stets nur: "Wenn es noch fließt, ist es nicht zu kalt!" Typisch finnisch halt! Heute jedoch: Überraschung - das Wasser war nicht nur warm, sondern heiß. Und zwar so heiß, dass es einem die Haut verbrannte. Ich weiß, ich weiß, jeder, der dies hier liest, denkt: typisch Frau, man kann es ihr einfach nicht Recht machen! Aber es war wirklich so, dass ich nicht mal meinen Fuß unter die Dusche halten konnte, ohne mir den Fußrücken zu verbrennen! So warf ich mir nur hektisch ein paar Handvoll Wasser auf den Körper und nahm mir vor, in der Wohnung meiner Schwester das Duschen und Haarewaschen nachzuholen. Auch in der Männerdusche war offenbar ein ordnungsgemäßer Reinigungsvorgang nicht möglich. Selbst die Herren der Schöpfung beklagten sich über das zu heiße Wasser. "Das gibt’s ja nicht, einfach zu heiß!", meinte ein Sports-Kamerad, "nur der Finne duscht in Ruhe!" Ich muss sagen, jetzt war ich echt beeindruckt! Ich nahm meinen frisch duftenden finnischen Freund dann mit vom heißen Wasser krebsroter Haut auf unsere nächste Touristentour: ein Kneipenabend in Sachsenhausen! Die Lokalitäten sind dem münsterschen Kuh-Viertel sehr ähnlich - urige kleine Kneipen mit traditionellem Charme und vielen Touristen. Hier musste Reijo unbedingt die erste Frankfurter Spezialität testen:
Ebbelwoi! Als das Glas vor ihm stand und er mal dran geschnuppert hatte, meinte er voller Abscheu: "I don't drink this!" Aber er musste, auch wenn er sich noch so schüttelte! Und ich ergötzte mich an seinem angeekelten Gesichtsausdruck ;-)

Die Nacht verbrachte mein Bekannter wieder bei meiner Schwester, damit wir am folgenden Morgen gemeinsam unser nächstes Abenteuer antreten konnten: eine Radtour am Main entlang! So saßen wir also am späten Vormittag auf zwei Drahteseln und fuhren bei strahlendem Sonnenschein und "spanischen" Temperaturen am Main entlang. Es ist immer wieder beeindruckend, wie hier die augenscheinlich unberührte Natur direkt neben der Schwerindustrie liegt! Bald tauchte die Skyline der Stadtmitte vor uns auf und allmählich fing auch Reijo "Dundee" Kangas an, sich hierfür zu begeistern: alle paar Minuten mussten wir anhalten, damit ein Foto geschossen werden konnte! Unsere Mittagspause legten wir im Ruderdorf ein. Hier, in unmittelbarer Nähe der Gerbermühle, in der auch der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe schon zu speisen pflegte, haben zahlreiche Rudervereine ihre Heimat und es gibt auch einige Restaurants mit Biergärten. Wieder gab es eine Frankfurter Spezialität zu kosten: Schnitzel mit grüner Sauce! Der Kellner war so freundlich, die Sauce gesondert zu servieren, damit nicht das ganze Gericht verdorben ist, falls sie nicht schmeckt. Aber der Finne war jetzt sehr aufgeschlossen und es wurde alles ratzeputz aufgegessen. Auch wenn sich jetzt ein gewisses Siesta-Bedürfnis breit machte, zogen wir anschließend weiter Richtung City. Nun ging es auf abenteuerlichen Pfaden per Fahrrad durch die Hochhausschluchten. Reijo hatte sogar ein paar erfreute Deja Vus mit einigen Sehenswürdigkeiten, die ich ihm schon am Vortag gezeigt hatte.

Abends waren wir recht spät dran für das abendliche Training und ich versuchte, die "verlorene" Zeit durch einen "Bleifuß" im Auto wieder wett zu machen. Leider hatte ich meine Rechnung ohne die Frankfurter "Sheriffs" gemacht und so war mein Fluchen laut, nachdem ich durch einen feuerroten Blitz auf den von mir gemachten Schnappschuss aufmerksam gemacht wurde. Mist - geblitzt! Und ganz schön schnell gewesen! Als ich Reijo erzählte, dass es hier in Deutschland fast "normal" sei, hin und wieder mal "geblitzt" zu werden und mir das so im Schnitt einmal im Jahr passiere, war er total schockiert! Ihm würde das höchstens einmal in fünf Jahren passieren! Na ja, vermutlich sind dafür in Finnland die Alkoholkontrollen häufiger als hier.

Am Samstagmorgen ging es dann zum gut besuchten Geburtstags-Lehrgang von Risto Kiiskilä. Die Oberstufeneinheit war gut besucht und das Training sehr anspruchsvoll. Schon während der ersten Einheit bereute ich, nicht ein zweites Brötchen gefrühstückt zu haben! Reijo ging es wohl ähnlich, denn bereits in der ersten Pause schaute er mich hungrig wie ein Wolf an und ich fürchtete schon, er könne mich anfallen und auffressen! Glücklicher Weise fanden wir bald ein Geschäft, in dem er Nahrungsmittel kaufen konnte, um seine alimentären Bedürfnisse zu befriedigen. Gleich nach der zweiten Einheit gegen 18 Uhr ging die Geburtstagsfeier los und ich war mir sicher, dass unter dem reichhaltigen Nahrungsangebot zwischen unzähligen Salaten und Würstchen für alle etwas dabei sei. Ein enttäuschtes Kopfschütteln war die finnische Antwort. Die Salate entsprachen nicht seinen Vorstellungen einer ausreichenden Ernährungsgrundlage und die Bratwürste wurden aus mir völlig unerfindlichen Gründen kategorisch abgelehnt. Was blieb mir anderes übrig, als mich mit ihm in mein Auto zu setzen und in Obertshausen nach einem Imbiss zu suchen? Eine Döner-Bude entsprach dann Reijos Geschmack. Kurz überlegte ich, ob ich ihm sagen soll, dass das es sich bei einem Döner nur um Pressfleisch handelt, ließ es dann aber aus pragmatischen Erwägungen sein. Schließlich wollte ich nicht noch mehr von der Feier verpassen, nur wegen der Suche nach einem adäquaten Nahrungsangebot. Wieder bei der Feier angekommen, überreichten wir weitere Geburtstagsgeschenke: Reijo hatte aus Lappland einen traditionellen Gürtel für Rentierzüchter mitgebracht, über den Risto sich sehr freute! Bis kurz vor Mitternacht feierten wir dann noch mit vielen Bekannten aus ganz Deutschland, Finnland und Estland ein rauschendes Fest.

Der Sonntag bildete dann den Abschluss meines deutschen Erlebnisses mit dem finnischen Crocodile Dundee. Als letzter Höhepunkt erwartete uns eine Einladung zum Brunch bei den Karate-Freunden Andi und Marion in Neu-Isenburg. Reijo bereitete sich dort ein lustiges finnisches Sandwich zu, bestehend aus Brötchen, Schinken, Paprika, Käse und ich glaube noch mal Schinken. Dann erzählte er ausgiebig von Finnland und finnischen Gewohnheiten. Auch wenn ich vieles zum wiederholten Male hörte, war es nicht langweilig und besonders amüsierte ich mich über seine Beschreibungen der finnischen Elchjagd: Mit authentischer Mimik berichtete er darüber, wie man die Tiere hypnotisieren muss, damit sie sich nicht erschrecken oder wie man ihnen mit der Waffe schnell zu folgen hat, wenn sie sich in gestrecktem Galopp davon machen wollten. In Andis Augen blitzte schon der Jagdinstinkt - als Reijo dann einräumen musste, dass solche lustigen und spannenden Momente doch sehr selten seien. Meist säße man nur stundenlang wartend im kalten Regen und es passiert gar nichts.

Bald hieß es dann Abschied nehmen und ich brachte Reijo noch zu seinem Freund in die Stadtmitte. Wir drückten uns noch mal und sagten "heippa" bis zu unserem nächsten Wiedersehen beim Karate-Sommercamp in Lohijärvi Ende Juli.

Crocodile Dundee in Main-Hatten (die Lappland-Revanche)

Mein finnischer Bekannter Reijo Kangas, der mir Ende Februar diesen Jahres eine wunderschöne und aufregende Lappland-Rundreise ermöglicht hatte, sollte vom 1. bis zum 7. Mai anlässlich des 60. Geburtstags unseres gemeinsamen Trainers Risto Kiiskilä nach Deutschland kommen. Er plante, am 1. Mai in Frankfurt-Hahn zu landen und sich dort von einem Freund abholen zu lassen. Der Freund ist wie Reijo und ich Karateka und wohnt in Frankfurt City. Die zwei hatten sich in der Zeit vor Reijos Deutschlandreise auf Englisch per E-Mail verabredet. Aber die Kommunikation schlug irgendwie fehl und so erreichte mich am 1. Mai abends ein Hilferuf: "Stehe hier seit Stunden am Flughafen und komme nicht weg, habe kein Bargeld mehr, meine Visakarte wird nicht akzeptiert und ich habe nur noch ein Sandwich!" Tja, Frankfurt-Hahn liegt von Münster aus nicht grade vor der Tür und so deutete ich an, dass ich hier wohl leider nicht helfen könne. "Aber du hast doch eine Schwester in Frankfurt....." Ohje, ob die so begeistert sein würde, einen fremden Finnen mal eben am Flughafen abzuholen? Womöglich hatte sie auch den 1. Mai gefeiert und dürfte sowieso gar nicht mehr Autofahren? Na ja, ich versprach, sie anzurufen und da ich die tollste Schwester auf der Welt habe, sagte sie zu, "mal eben" Taxifahrer zu spielen. Man muss sich hierbei klar machen, dass der Flughafen Frankfurt-Hahn mit dem Frankfurter Flughafen ungefähr genau soviel zu tun hat wie der Flughafen Düsseldorf mit dem in Münster-Osnabrück. Es waren pro Weg "mal eben" 130 km. Da mein Bekannter seinen Freund nach wie vor nicht erreichen konnte, durfte er auch bei meiner Schwester übernachten und bekam für den nächsten Tag noch ihren Haustürschlüssel. Das nenne ich deutsche Gastfreundschaft!

Am Mittwoch kam ich kurz vor dem ersten gemeinsamen Karatetraining in Frankfurt an. Das Training war toll und anspruchsvoll. Risto trainierte uns in dieser Einheit nicht selber, schaute aber kritisch zu und anschließend gab es noch stundenlange Korrekturvorschläge. Nun ja, zu diesem Zwecke komme ich ja auch regelmäßig nach Frankfurt, denn nur so kann man sich verbessern. Anschließend gab es noch ein nettes Beisammensein und dann brachte ich Reijo und seinen Freund noch zu dessen Wohnung. Nun heim zu meiner Schwester. Mit Navigationsgerät wird das ja auch im nächtlichen Frankfurt am Main kein Problem sein - oder? Oder. Mein Navi, auch zärtlich "Else" genannt, dirigierte mich mit fester und überzeugter Stimme durch die Straßen und meinte dann ca. alle fünf Minuten "bei der nächsten Möglichkeit bitte wenden". Als ich zum 4. Mal an einem Haus mit der Aufschrift "Redisson" vorbeikam, ignorierte ich das protestierende Gemecker meiner virtuellen Beifahrerin und orientierte mich an der Ausschilderung Richtung Hanau. Bald war ich dann auch wieder in vertrauten Gefilden und nach fast einer Stunde "daheim". Else nahm mich und später auch Reijo und mich noch des Öfteren auf die Schippe und lotste uns am Samstagmorgen sogar durch ein Parkhaus!

Am Donnerstag wollte ich Reijo um "high noon", also mittags um 12 Uhr am Frankfurter Hauptbahnhof treffen. Pünktlichkeit scheint aber wahrlich eher eine deutsche Tugend zu sein, denn als er endlich -mit einer schweren Sporttasche, in der sich sein Karate-Anzug für das abendliche Training befand- eintraf, war es schließlich viertel nach eins. Ich hatte mich derweil schon in einem Cafe auf der gegenüberliegenden Straßenseite niedergelassen. Es störte mich auch fast gar nicht, dass ich genau zwischen "Beate Uhse" und "Erotic World" saß. Ist halt Frankfurt und ich denke, fast alle Bahnhofsgegenden sind diesbezüglich gleich. Alle Bahnhofsgegenden? Nun, zumindest in Deutschland, denn mein finnischer Bekannter war doch sichtlich überrascht, um nicht zu sagen schockiert über dieses Übermaß an industrieller Erotik. Aber die Bahnhofsgegend lag auf unserer nun beginnenden Sightseeing-Tour ja auch bald hinter uns. Ich erwartete, ihn nun in entspannterer Laune vorzufinden. Aber weit gefehlt. Er war immer noch wortkarg und wirkte ungewohnt verschlossen. Was war mit ihm los? "So viele Häuser und so viele Menschen - und überall diese Men in Black (Geschäftsleute in schwarzen Anzügen)!" Aber ich hatte mir schon einige Attraktionen überlegt, die ich ihm zeigen wollte und die meine Begeisterung für diese faszinierende, pulsierende Großstadt sicherlich auf ihn übertragen würden. Als erstes wollte ich mit ihm den Wolkenkratzer der Hessischen Landesbank "besteigen". Dort wird man für ein paar Euro per Aufzug in Sekundenschnelle in schwindelnde Höhen katapultiert und kann vom Aussichtsdach aus ganz Frankfurt und Umgebung anschauen. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert - der Main schlängelt sich friedlich durch die Häuserschluchten, der Flughafen mit den zum Greifen nahen startenden und landenden Maschinen, der Bahnhof, viele Sehenswürdigkeiten winzigklein! Aber als ich dem Finnen sagte, dass wir jetzt auf einen Wolkenkratzer fahren würden, fragte er mich entsetzt: "Was soll ich dort?" Ein sattes Unwohlsein saß ihm wohl auch im Nacken, als wir uns für den Sicherheitscheck vor Besteigen des Aufzuges anstellten. Was wohl in der großen roten Tasche sei, die mein Bekannter bei sich führte, wollen die Kontrolleure wissen. Halbautomatische Handfeuerwaffen? Granaten oder Minibomben? Nein, nein, nur ein leise vor sich hinmüffelnder Karate-Anzug! Auch mein kleiner Scherz im Zusammenhang mit den Twin-Towers und dem nahe gelegenen Flughafen konnte meinen Bekannten nicht aufheitern. Als wir in einer kleinen Gruppe vor dem Aufzug warteten und Reijo diesen skeptisch beäugte, prustete ich plötzlich los: "Weißt du, wer du bist? Du bist absolut Crocodile Dundee in New York!" Zum ersten Mal heiterte sich seine Miene auf - ja, da hätte ich absolut Recht - genau so würde er sich fühlen! Und so war das dann unser geflügeltes Wort, jedes Mal, wenn der Kulturschock den Naturburschen aus Oulu zu übermannen drohte - "Crocodile Dundee"!

Auch an diesem Abend gab es wieder eine Trainingseinheit, die es in sich hatte. Nach vielen Kampfübungen mit wechselnden Partnern und steigendem Niveau sehnte ich dringend eine warme Dusche herbei. Oft ist das Wasser der Duschen in dem Frankfurter Dojo leider recht kalt und erschwert besonders das Haarewaschen. Sensei Risto meint hier drauf allerdings stets nur: "Wenn es noch fließt, ist es nicht zu kalt!" Typisch finnisch halt! Heute jedoch: Überraschung - das Wasser war nicht nur warm, sondern heiß. Und zwar so heiß, dass es einem die Haut verbrannte. Ich weiß, ich weiß, jeder, der dies hier liest, denkt: typisch Frau, man kann es ihr einfach nicht Recht machen! Aber es war wirklich so, dass ich nicht mal meinen Fuß unter die Dusche halten konnte, ohne mir den Fußrücken zu verbrennen! So warf ich mir nur hektisch ein paar Handvoll Wasser auf den Körper und nahm mir vor, in der Wohnung meiner Schwester das Duschen und Haarewaschen nachzuholen. Auch in der Männerdusche war offenbar ein ordnungsgemäßer Reinigungsvorgang nicht möglich. Selbst die Herren der Schöpfung beklagten sich über das zu heiße Wasser. "Das gibt’s ja nicht, einfach zu heiß!", meinte ein Sports-Kamerad, "nur der Finne duscht in Ruhe!" Ich muss sagen, jetzt war ich echt beeindruckt! Ich nahm meinen frisch duftenden finnischen Freund dann mit vom heißen Wasser krebsroter Haut auf unsere nächste Touristentour: ein Kneipenabend in Sachsenhausen! Die Lokalitäten sind dem münsterschen Kuh-Viertel sehr ähnlich - urige kleine Kneipen mit traditionellem Charme und vielen Touristen. Hier musste Reijo unbedingt die erste Frankfurter Spezialität testen:
Ebbelwoi! Als das Glas vor ihm stand und er mal dran geschnuppert hatte, meinte er voller Abscheu: "I don't drink this!" Aber er musste, auch wenn er sich noch so schüttelte! Und ich ergötzte mich an seinem angeekelten Gesichtsausdruck ;-)

Die Nacht verbrachte mein Bekannter wieder bei meiner Schwester, damit wir am folgenden Morgen gemeinsam unser nächstes Abenteuer antreten konnten: eine Radtour am Main entlang! Noch während des Frühstücks telefonierte Reijo mit unserem Sensei Risto, der an diesem Tag seinen Syntymäpäivää, seinen Geburtstag hatte. Von dem langen, auf finnisch geführten Telefonat verstand ich nur Bruchstücke. Um so überraschter war ich dann, als Reijo mir nach Beendigung des Gesprächs verkündete, dass wir gegen halb 12 Uhr mittags an irgendeiner Eishalle zu sein hätten, um aus Finnland mitgebrachte Beeren (Hilla) als Geburtstagsgeschenk zu überreichen. Äh - und die geplante Radtour? Das war ein echt ungünstiger Zeitpunkt, so mitten am Tag! Nee, da gäb es jetzt auch nichts mehr zu ändern, der Sensei hätte das so gesagt und da gibt man keine Widerworte. Mir klappte die Kinnlade runter und es fiel mir der Kitt aus der Brille! Ich war sprachlos und echt sauer - alle Tagespläne umgeworfen? Und ohne mich überhaupt mal zu fragen? Das gibt’s ja wohl nicht! Nach einer Weile bemerkte mein Bekannter, dass ich hier absolut nicht einverstanden war und glücklicher Weise konnten wir durch ein weiteres Telefonat den Geschenk-Übergabe-Termin vor- und unsere Tagesplanung durchziehen.

So saßen wir also am späten Vormittag auf zwei Drahteseln und fuhren bei strahlendem Sonnenschein und "spanischen" Temperaturen am Main entlang. Es ist immer wieder beeindruckend, wie hier die augenscheinlich unberührte Natur direkt neben der Schwerindustrie liegt! Bald tauchte die Skyline der Stadtmitte vor uns auf und allmählich fing auch Reijo "Dundee" Kangas an, sich hierfür zu begeistern: alle paar Minuten mussten wir anhalten, damit ein Foto geschossen werden konnte! Unsere Mittagspause legten wir im Ruderdorf ein. Hier, in unmittelbarer Nähe der Gerbermühle, in der auch der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe schon zu speisen pflegte, haben zahlreiche Rudervereine ihre Heimat und es gibt auch einige Restaurants mit Biergärten. Wieder gab es eine Frankfurter Spezialität zu kosten: Schnitzel mit grüner Sauce! Der Kellner war so freundlich, die Sauce gesondert zu servieren, damit nicht das ganze Gericht verdorben ist, falls sie nicht schmeckt. Aber der Finne war jetzt sehr aufgeschlossen und es wurde alles ratzeputz aufgegessen. Auch wenn sich jetzt ein gewisses Siesta-Bedürfnis breit machte, zogen wir anschließend weiter Richtung City. Nun ging es auf abenteuerlichen Pfaden per Fahrrad durch die Hochhausschluchten. Reijo hatte sogar ein paar erfreute Deja Vus mit einigen Sehenswürdigkeiten, die ich ihm schon am Vortag gezeigt hatte.

"Iss deinen Teller auf, dann wird das Wetter schön." Dieses Sprichwort schien sich an diesem Tag nicht zu bewahrheiten, denn als wir nach einer kleinen Shopping-Tour für die in Finnland Daheimgebliebenen aus dem Kaufhaus kamen, hatte sich der Himmel bezogen. Durch eine stramme Strampeleinlage versuchten wir auf dem Rückweg, dem Regen zu entkommen, was auch einigermaßen gelang. Bei meiner Schwester angekommen, waren wir dann aber so kaputt, dass wir uns erst mal ausruhen mussten - und ich bin hierbei prompt fest eingeschlafen.

Leider waren wir hierdurch recht spät für das abendliche Training und ich versuchte, die "verlorene" Zeit durch einen "Bleifuß" im Auto wieder wett zu machen. Leider hatte ich meine Rechnung ohne die Frankfurter "Sheriffs" gemacht und so war mein Fluchen laut, nachdem ich durch einen feuerroten Blitz auf den von mir gemachten Schnappschuss aufmerksam gemacht wurde. Mist - geblitzt! Und ganz schön schnell gewesen! Als ich Reijo erzählte, dass es hier in Deutschland fast "normal" sei, hin und wieder mal "geblitzt" zu werden und mir das so im Schnitt einmal im Jahr passiere, war er total schockiert! Ihm würde das höchstens einmal in fünf Jahren passieren! Na ja, vermutlich sind dafür in Finnland die Alkoholkontrollen häufiger als hier (diesbezüglich bin ich nämlich erst einmal an Karneval vor ein paar Jahren in eine Kontrolle gekommen - und war natürlich "clean"). Das tolle und anspruchsvolle Karatetraining ließ mich meinen Ärger aber schnell vergessen und als wir alle anschließend von ganzem Herzen ein Geburtstagsständchen darboten, war die Welt wieder in Ordnung!

Am Samstag früh stellte Reijo fest, dass der Akku seines Handys leer war und sich das Ladegerät noch in der Wohnung seines Freundes befand. Ein finnischer Mann ohne sein Mobiltelefon - undenkbar! Also ließen wir uns von "Else" durch die Stadt (und durch das Parkhaus...) lotsen, bevor wir zu dem Geburtstagslehrgang unseres Sensei nach Obertshausen fuhren. Der Lehrgang war gut besucht und sehr anspruchsvoll und schon während der ersten Einheit bereute ich, nicht ein zweites Brötchen gefrühstückt zu haben! Reijo ging es wohl ähnlich, denn bereits in der ersten Pause schaute er mich hungrig wie ein Wolf an und ich fürchtete schon, er könne mich anfallen und auffressen! Glücklicher Weise fanden wir bald ein Geschäft, in dem er Nahrungsmittel kaufen konnte, um seine alimentären Bedürfnisse zu befriedigen. Gleich nach der zweiten Einheit gegen 18 Uhr ging die Geburtstagsfeier los und ich war mir sicher, dass unter dem reichhaltigen Nahrungsangebot zwischen unzähligen Salaten und Würstchen für alle etwas dabei sei. Ein enttäuschtes Kopfschütteln war die finnische Antwort. Die Salate entsprachen nicht seinen Vorstellungen einer ausreichenden Ernährungsgrundlage und die Bratwürste wurden aus mir völlig unerfindlichen Gründen kategorisch abgelehnt. Was blieb mir anderes übrig, als mich mit ihm in mein Auto zu setzen und in Obertshausen nach einem Imbiss zu suchen? Eine Döner-Bude entsprach dann Reijos Geschmack. Kurz überlegte ich, ob ich ihm sagen soll, dass das es sich bei einem Döner nur um Pressfleisch handelt, ließ es dann aber aus pragmatischen Erwägungen sein. Schließlich wollte ich nicht noch mehr von der Feier verpassen, nur wegen der Suche nach einem adäquaten Nahrungsangebot. Wieder bei der Feier angekommen, überreichten wir weitere Geburtstagsgeschenke: Reijo hatte aus Lappland einen traditionellen Gürtel für Rentierzüchter mitgebracht, über den Risto sich sehr freute! Bis kurz vor Mitternacht feierten wir dann noch mit vielen Bekannten aus ganz Deutschland, Finnland und Estland ein rauschendes Fest.

Der Sonntag bildete dann den Abschluss meines deutschen Erlebnisses mit dem finnischen Crocodile Dundee. Als letzter Höhepunkt erwartete uns eine Einladung zum Brunch bei den Karate-Freunden Andi und Marion in Neu-Isenburg. Diese Einladung hat mich besonders gefreut, da ich Andi erst zweimal und Marion erst ein einziges Mal gesehen habe. Danach hatten wir uns auch nur wenig per E-Mail unterhalten und so konnte ich dieses Treffen kaum abwarten, denn wir würden uns bestimmt viel zu erzählen haben. Leider kannte ich die Adresse von den beiden nicht genau und musste erst ein bisschen Detektiv spielen, um sie heraus zu finden. Eigentlich hätte ich Andi bei der Geburtstagsfeier am Vortag treffen sollen, damit wir dort alles weitere besprechen könnten. Aber leider hatten wir uns knapp verpasst - wegen des Ausflugs zur Döner-Bude. Nun ja, irgendwann hatten uns das Internet und Else den Weg nach Neu-Isenburg gewiesen und wir hatten einen sehr netten und entspannten Brunch. Reijo bereitete sich ein lustiges finnisches Sandwich zu, bestehend aus Brötchen, Schinken, Paprika, Käse und ich glaube noch mal Schinken. Dann erzählte er ausgiebig von Finnland und finnischen Gewohnheiten. Auch wenn ich vieles zum wiederholten Male hörte, war es nicht langweilig und besonders amüsierte ich mich über seine Beschreibungen der finnischen Elchjagd: Mit authentischer Mimik berichtete er darüber, wie man die Tiere hypnotisieren muss, damit sie sich nicht erschrecken oder wie man ihnen mit der Waffe schnell zu folgen hat, wenn sie sich in gestrecktem Galopp davon machen wollten. In Andis Augen blitzte schon der Jagdinstinkt - als Reijo dann einräumen musste, dass solche lustigen und spannenden Momente doch sehr selten seien. Meist säße man nur stundenlang wartend im kalten Regen und es passiert gar nichts.

Bald hieß es dann Abschied nehmen und ich brachte Reijo noch zu seinem Freund in die Stadtmitte. Wir drückten uns noch mal und sagten "heippa" bis zu unserem nächsten Wiedersehen beim Karate-Sommercamp in Lohijärvi Ende Juli.